Frauenboxen in Deutschland

Knock-Out für Rumpelstilzchen

Vom Varieté zur Profiszene: Die Geschichte des deutschen Frauenboxens.

Im Juni 1921 musste der Kolumnist der in Berlin erscheinenden Täglichen Rundschau von Schrecklichem berichten: »Preisboxen für Damen«, regelmäßig im Berliner Metropol-Theater. Der Kolumnist zeichnete mit dem Pseudonym »Rumpelstilzchen«, hieß in Wirklichkeit Adolf Stein und war gleichermaßen Major a.D. wie empört: »Man begehret nimmer zu schauen, was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen: eine von diesen armseligen Figuren ist gar nur 153 Zentimeter hoch und macht einen infantilen Eindruck. Der Sweater müsste eigentlich eine Blecheinlage haben, um den für Frauen so gefährlichen Mammalien-Stoß zu parieren. Die Haube schließlich mag eine notwendige Vorsorge dafür sein, daß nicht am Ende einer der Damen eine Haarnadel in die Kopfhaut gehauen wird.

Innerhalb des viereckigen Kampfplatzes, den man ðRingÐ nennt, ist nun noch ein kleineres Viereck abgegrenzt. Auf diesem wird geboxt. Unsäglich komisch geboxt. Um die Federgewichts-Meisterschaften von Mittelgalizien. Eigentlich geben sich die Damen nur operettenhafte Ohrfeigen. Alles ist einstudiert, auch der Sieg der angeblich deutschen über angeblich ausländische Boxerinnen, auch das angeblich impulsive Lospauken der angeblichen Ilona Kowacs, einer drallen Köchinnenfigur, die wegen unfairer Kampfesweise - sie tritt die Gegnerin vor die Schienbeine - distanziert wird und nun dem Manager zu Leibe geht und ihm einen Blecheimer an den Kopf wirft.«

Frauenprofiboxen gab es in Deutschland anfänglich meist nur in Varietés, wo es sportlichen Ansprüchen kaum genügte. Gleichwohl bemühten sich viele der Varietéboxerinnen, ernst genommen zu werden. So forderten die Kämpferinnen des Berliner Friedrichstadt-Palastes im Oktober 1922 die Boxerinnen eines anderen Varietés zu einem Preiskampf heraus, um festzustellen, wo sportiver, also besser geboxt werde.

Für den deutschnationalen Kolumnisten »Rumpelstilzchen«, der sich wieder zu Wort meldete, blieb die Sache klar: »Dies hier ist und bleibt eine lächerliche, mühsam einstudierte Komödie; seit sie zum ersten Mal in Berlin im Metropol-Variété versucht worden ist, ist sie nicht besser geworden. Das vermännlichte Weib, das Weib der Statuetten Konstantin Meuniers, könnte sich ja wohl zum Boxen trainieren. Diese Weibchen aber, die nach Peau d'Espagne duften, manicurt sind und nach der Vorstellung eilends in den Brokatmantel schlüpfen, um sich mit irgend einem Gent Berlin noch weiter anzusehen, haben keine Ahnung von sportlicher Härte. Es sind Puppen, weiter nichts.«

Immerhin konnte »Rumpelstilzchen« nicht umhin, eine der Kämpferinnen selbst zu Wort kommen zu lassen. »Wenn andere Damens sich im Reichstag wählen lassen, warum soll'n wa denn nich boxen dirfen?« gab sie ihm schlagfertig zu verstehen.

Anders als in England und den USA, wo Frauenboxen sich schon im 18. Jahrhundert finden lässt, gab es in Deutschland kaum Vorläufer. In den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts, bedingt durch die Entwicklung des bürgerlichen Frauensports, fand in Salons erstes deutsches Damenboxen statt. Joe Edwards, der eigentlich Paul Maschke hieß und als erster deutscher Profiboxer gelten muss, veröffentlichte in seinem Lehrbuch »Boxen. Ein Fechten mit Naturwaffen« im Jahr 1911 Fotos, die seine Frau Rose bei der Demonstration von Schlägen zeigen.

Edwards begründete sein Engagement für Frauenboxen so: »Wenn man über die feine Kunst des Boxens orientiert ist, findet man es auch gar nicht mehr so verwunderlich, daß jetzt auch viele Damen etwas von dem Enthusiasmus der Jünger der Boxkunst erleben. Denn es gibt keine Leibesübung, die den Damen jugendliche Grazie, geschmeidige Bewegungen und den Kern der Gesundheit besser bewahrt als Boxen.«

Edwards setzte sich auch fürs Boxen als Mädchensport ein: »Eine ganz junge Dame, welche bereits vier Jahre boxt - das kleine Fräulein ist jetzt zehn Jahre alt, etwas rundlich veranlagt und hat ein gutmütiges Gesichtchen mit großen, blauen Augen (es sind stets die gutmütig aussehenden Typen von Menschen, die am leichtesten belästigt werden), wird des öfteren auf dem Heimwege von größeren Lümmeln angeulkt. (...) Der Lümmel gab dem kleinen Fräulein einen Schupps und machte eine rüdige Bemerkung. Das erzeugte nun aber nicht eine starre Hilflosigkeit, wie es der Lümmel aus alter Erfahrung wohl erwartet haben mag. Zunächst wandte sich das Fräulein um und drohte: ðDu, ich kann boxen!Ð Darauf der Lümmel: ðBoxen! Ho, ho!Ð und trat heran, um abermals zu stoßen oder anderweit handgreiflich zu werden. Das Mädchen stellte sich in Boxstellung und mit einem beneidenswerten sang-froid (und einigen kunstgerechten Stößen) konnte sie ihm den Kopf zurechtsetzen.«

Erst in den zwanziger Jahren setzte sich das Varieté-Boxen in Deutschland durch, seine Nähe zum Rotlichtmilieu konnte es nie loswerden. Als sportliches Boxen wurde es erstmals 1921 verboten - vom Amateurboxverband. Der Verband Deutscher Faustkämpfer (VDF) stellte im Jahr 1925 klar, dass auch professionelles Frauenboxen verboten sei.

Dennoch wurde Boxen eine auch bei Frauen »allseits respektierte Ausdrucksform«, wie es der Journalist Birk Meinhardt formuliert: Sandsack- und Punchingball-Training wurden zur verbreiteten Freizeitbetätigung; in ihrem Buch »Auferstehung der Dame« aus dem Jahr 1928 empfahl die Autorin Paula von Reznicek die tägliche Boxarbeit; populäre Frauen der zwanziger Jahre wie die Schauspielerinnen Marlene Dietrich und Carola Neher wurden in boxender Pose von Magazinen abgebildet; und als Gymnastikübung wurde Frauenboxen sogar an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen gelehrt. Auch Leni Riefenstahl erlernte das Boxen in den Zwanzigern im »Studio für Boxen und Leibeszucht« in Berlin-Charlottenburg.

Nach 1945 wurde an diese Tradition zunächst nicht wieder angeknüpft, zumindest nicht mit sportlichen Ambitionen. Sehr wohl gab es immer wieder Oben-ohne-Boxen, das keinen sportlichen Anspruch besaß. 1977 etwa berichtete der Spiegel, einige Städte hätten gerichtliche Anstrengungen unternommen, diese Form von Frauenboxen zu untersagen. Die Verwaltungsgerichte Gelsenkirchen und Karlsruhe lehnten Verbotsanträge aber ab: Eine Erniedrigung der Frau sei nicht gegeben. Max Schmeling kommentierte die Veranstaltungen so: »Eine wirklich billige Schau, sportlich unfair.«

In der Emma erschien 1976 eine Reportage, die sich gegen Frauenboxen wendet. Ganz zu trennen waren die dem Varieté oder den Rotlichtbezirken nahen Formen von Frauenboxen von den eher sportlichen Versuchen nicht. So kämpften 1976, ohne Lizenz und ohne Verband - der BDB nahm keine Frauen auf -, zwei Boxerinnen namens Ursula Döring und Brigitte Meereis in Augustdorf um die, wie verkündet wurde, Europameisterschaft.

Im gleichen Jahr wollte auch der Hamburger Promoter Wilfried Schulz im Rahmenprogramm eines Kampfabends zwei Boxerinnen antreten lassen, die beide eine US-Lizenz besaßen. Der BDB-Präsident Theo Wittenbrink lehnte Schulz' Plan ab, weil nach den BDB-Statuten Frauenboxen nicht zulässig war. Am 22. Februar 1986 kam es dann in der Boxschule des Kleinringveranstalters Helmut Slomke zur Premiere. Vor hundert zahlenden Zuschauern absolvierte Birgit Nuako, vorgestellt als Deutschlands einzige professionelle Boxerin, im »Westerwälder Hof« in Asbach ein öffentliches Sparring. Ihr Trainer und Promoter verkündete, dass er noch zwei weitere Frauen verpflichten wolle.

Das Interesse an Birgit Nuako war groß: Alfred Biolek lud sie in seine Sendung »Mensch Meier« ein. Dort absolvierte sie am 10. Juli 1986 ein Showsparring mit dem Schauspieler Mario Adorf. Was ein Boom zu werden schien, flaute jedoch bald wieder ab. Noch 1990 lehnte der internationale Amateurboxverband Aiba einen Antrag auf Zulassung des Frauenboxens ab. Generalsekretär Karl-Heinz Wehr begründete den Beschluss damit, dass »ethische und gesundheitliche Gründe im Vordergrund standen und nicht etwa Motive, den Frauen auch im Sport eine gleichberechtigte Stellung abzusprechen«.

Das Drängen der Tübinger Theologiestudentin Ulrike Heitmüller auf Zulassung zu Kämpfen - sie hatte als Amateurin schon eine Weile trainiert - lehnte der Deutsche Verband noch im Mai 1994 ab. Der bayerische Präsident verkündete: »Gerade Sie als Theologin sollten eigentlich wissen, dass sich unser Herrgott etwas dabei gedacht hat, als er zwei verschiedene Menschengeschlechter geschaffen hat.«

Der erste öffentliche deutsche Amateurbox-Kampftag für Frauen fand am 19. November 1994 statt, bei den »1. Hamburger Frauensporttagen«, einer Veranstaltung, die von keinem Verband, sondern vom Verein zur Förderung feministischer Sport- und Bewegungskultur und dem Asta der Uni Hamburg ausgerichtet wurde. Es boxten Ulrike Heitmüller und die Hamburger Fitnesstrainerin Marion Einsiedel drei mal drei Minuten. Seither hat sich eine stabile Profiszene entwickelt.

Der stark gekürzte und leicht überarbeitete Beitrag ist dem neu erschienenen Buch »Kampftage. Die Geschichte des deutschen Berufsboxens« von Knud Kohr und Martin Krauß entnommen. Es erschien im Verlag Die Werkstatt, Göttingen, und kostet 36 Mark.