Leuna-Affäre

Schwarzes Geld

Vom Parteispendenskandal zur Staatsaffäre: Im Fall Leuna ermittelt jetzt erstmals eine deutsche Staatsanwaltschaft wegen Bestechlichkeit der Regierung Kohl.

Die letzte DDR-Zapfstation fiel Mitte Oktober am Rande der A 10, südlich von Berlin. Es war eine Tanke der besonderen Art: Der rote Backsteinbau aus den dreißiger Jahren dürfte nicht nur die bekannteste von einst 1 400 Tankstellen des DDR-Mineralöl-Monopolisten Minol gewesen sein, sondern auch die am besten beobachtete. Gelegen an der Transitstrecke zwischen Bundesrepublik und West-Berlin, trafen sich hier Verwandte und Freunde aus Ost und West zum Abschied und zum Wiedersehen. »Tankstelle der Tränen« oder »Stasi-Tanke« wurde die umsatzstärkste Intertank-Station an den deutsch-deutschen Transitstrecken deshalb bis zur Wende genannt.

Zehn Jahre später jedoch kann hier keiner mehr Kraftstoffe von Minol tanken. Denn während die Backstein-Station auf dem alten Minol-Grundstück im brandenburgischen Michendorf abgerissen wird, entsteht direkt daneben eine moderne Tankstelle in den Farben des französischen Mineralölkonzerns TotalFinalElf. Der Konzern hatte das ostdeutsche Minol-Tankstellennetz 1993 aufgekauft - und damit einen der umstrittensten Privatisierungsdeals der Nachwendezeit getätigt. Auf 4,8 Milliarden Mark beliefen sich allein die Subventionen durch die Bundesregierung in Bonn.

Weitaus brisanter jedoch als die staatlichen Unterstützungen für den Konzern sind die Zahlungen des Multis an staatliche Bedienstete. Dass bis Mitte der Neunziger heftig geschmiert wurde, bestreitet nicht einmal mehr die neue Elf-Spitze. Und der ehemalige EU-Kommissar Karel van Miert berichtete der Super Illu vor zwei Wochen entsetzt von einer EU-Anfrage zu Leuna aus dem Jahre 1994: »Als wir die Bundesregierung dazu um Akten baten, trauten wir unseren Ohren nicht, als wir hörten, da wären keine Akten mehr.« Für ihn sei »ganz klar«, dass »erhebliche Beträge« gezahlt wurden.

Doch bis heute ist unklar, wer die immensen Bestechungsgelder im Zusammenhang mit der Privatisierung der Raffinerie im sachsen-anhaltinischen Leuna an deutsche und französische Politiker weitergeleitet hat: 256 Millionen Francs soll Elf zu diesem Zwecke Ende 1992 an die beiden Liechtensteiner Firmen Stand-By Establishment und Showfast überwiesen haben. Mutmaßlicher Chef der Unternehmen: der Deutsche Dieter Holzer. In einer weiteren Holzer-Firma namens Delta International sollen die so genannten Beraterhonorare gewaschen worden sein.

Doch damit nicht genug: Nach Erkenntnissen der Genfer Staatsanwaltschaft sind durch das verwirrende Firmen- und Stifungs-Konglomerat Holzers zwischen 1987 und 1997 insgesamt 200 Millionen Schweizer Franken geflossen - etliche davon auch nach Deutschland. Untersuchungsrichter Paul Perraudin, der den Fall in der Schweiz seit gut drei Jahren bearbeitet, geht davon aus, dass zumindest Teile der Provisionen »an Dritte, öffentliche Bevöllmächtigte, staatliche Entscheidungsbefugte, gewählte Vertreter und andere Mittelsleute überwiesen worden sind«. Doch zu untersuchen, inwieweit damit die schwarzen Konten der CDU gefüllt und Unionspolitiker geschmiert wurden, ist nicht Aufgabe der Schweizer Justizbehörden - sondern der deutschen.

Sechs Jahre nach der französischen, die im August Haftbefehl gegen Holzer erließ, und drei Jahre nach der Schweizer Justiz hat sich Anfang letzter Woche nun auch die Staatsanwaltschaft Saarbrücken dazu durchgerungen, wegen des Verdachts der Geldwäsche ein Ermittlungsverfahren gegen den 59jährigen Geschäftsmann einzuleiten, der unter dem Decknamen »Baumholder« auch für den Bundesnachrichtendienst (BND) tätig war. In Liechtenstein wird ebenfalls seit geraumer Zeit gegen Holzer ermittelt. Und vor über einem Jahr schon hatte der Genfer Untersuchuchungsrichter Perraudin die Staatsanwaltschaft Augsburg aufgefordert, Ermittlungen gegen den einstigen Franz-Josef-Strauß-Vertrauten einzuleiten.

Doch noch Mitte letzten Monats lehnte Generalbundesanwalt Kay Nehm eine Zuständigkeit seiner Behörde für Leuna ab, obwohl sich der Fall in Frankreich zum größten Korruptionsskandal der Nachkriegsgeschichte ausgeweitet hat. Ex-Außenminister Roland Dumas, der frühere Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn sowie zahlreiche andere führende Politiker sind in die Elf-Affäre verwickelt. Zentrale Bedeutung erlangt das Ermittlungsverfahren der Saarbrücker Staatsanwälte dadurch, dass vom einst 15 Meter langen Aktenbestand zu Leuna im Archiv des Kanzleramtes gerade noch ein Meter vorhanden ist. Somit wird die CDU-Spendenaffäre ein Jahr nach ihrem Beginn zumindest strafrechtlich zur Staatsaffäre.

Nach Angaben des Sonderermittlers der Bundesregierung, Burkhard Hirsch (FDP), handelt es sich bei den im Kanzleramt verbliebenen Akten um »weitgehend totes Material, aus dem sich kein Verwaltungsablauf nachvollziehen lässt«. Hirsch ist beauftragt, den Verbleib von Regierungsakten zu Geschäftvorgängen im Kanzleramt zu untersuchen, die mit Spenden an die CDU in Verbindung gebracht werden können. Doch der ehemalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl lehnt die Herausgabe der von ihm als »persönlich« deklarierten Akten weiter ab. Darunter soll sich auch ein Schreiben des untergetauchten Ex-Staatssekretärs im Verteidungsministerium, Holger Pfahls, befinden, das sich an Helmut Kohl richtete und die gegen Pfahls eingeleiteten Ermittlungen wegen Bestechlichkeit.

Mit der Aufnahme der Ermittlungen in Saarbrücken gewinnt der Komplex Leuna in Deutschland auch deshalb eine neue Dimension, weil dadurch der Bundestags-Untersuchungsausschuss seine alleinige Zuständigkeit für den Fall verliert. Erstmals sind auch strafrechtliche Konsequenzen für Mitglieder der Regierung Kohl wegen der Vorgänge um die Privatisierung der Raffinerie in Leuna und die Lieferung von 36 »Fuchs«-Spürpanzern an Saudi-Arabien 1991 nicht mehr auszuschließen. Denn in diesem Zusammenhang taucht Holzer ebenfalls immer wieder auf. Wie sein Partner Pierre Léthier, gegen den die französische Justiz im Oktober einen Haftbefehl ausstellte, dem Spiegel im September bestätigte, sei auch Pfahls in den Leuna-Fall verwickelt gewesen. Aus einem einfachen Grund: Der einstige Staatssekretär und Ex-Verfassungsschutzchef hatte beste Kontakte zu den richtigen Stelllen. Oder, wie Léthier, der Anfang der neunziger Jahre umgerechnet 29 Millionen Mark von Elf kassiert haben soll, es ausdrückte: »Pfahls wusste, wie in Deutschland regiert wird.« Auch die ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Agnes Hürland-Büning steht im Verdacht der Bestechlichkeit.

Genau ein Jahr nachdem die Staatsanwaltschaft Augsburg am 4. November 1999 wegen einer Millionenzahlung des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber gegen den früheren CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep zu ermitteln begann und damit den Spendenskandal der Union erst ins Rollen brachte, müssen sich fast alle Akteure der Affäre inzwischen strafrechtlich verantworten. Gegen Kiep wird wegen Steuerhinterziehung ermittelt, Schreiber sowie den früheren Thyssen-Managern Winfried Haaster und Jürgen Maßmann - die beiden sind sowohl in die Leuna-Affäre wie in die Panzer-Lieferungen nach Saudi-Arabien verwickelt - soll im kommenden Jahr wegen Steuerhinterziehung, Untreue und Betrug vor dem Augsburger Landgericht der Prozess gemacht werden. Und die Staatsanwaltschaft Bonn will demnächst darüber entscheiden, ob sie die Ermittlungen gegen Altkanzler Kohl wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil der CDU einstellt oder ob ein Verfahren eröffnet wird.

Am Wochenende schließlich zeigte Schreiber, der auch mit Holzer in Kontakt stand, Wolfgang Schäuble an. Dem früheren CDU-Chef wirft er vor, den Ausschuss des Bundestages belogen zu haben. Der Untersuchungsausschuss wiederum hat im selben Zusammenhang der Staatsanwaltschaft Berlin empfohlen, Ermittlungen auch gegen die frühere CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage aufzunehmen. Schäuble unbd Baumeister hatten im August behauptet, 1994 von Schreiber 100 000 Mark in Empfang genommen zu haben, widersprachen einander jedoch in Details. Der Waffenhändler stützt die Baumeister-Version. Ob die Staatsanwälte auch herausbekommen wollen, zu welchem Zwecke Schreiber das Geld herausrückte, ist eine andere Frage.