Jürgen Elsässer zum Kosovo-Krieg

Antinationale vor Gericht

Aufklärung durch Auslassung: In seinem Kosovo-Kriegsbuch wirft Jürgen Elsässer den linksradikalen Kriegsgegnern mangelnde Gegeninformation vor.

Weil die Verhältnisse so sind, wie sie sind, haben Linke schon immer gerne Tribunale veranstaltet und bürgerliches Gericht gespielt. Am aufschlussreichsten war meistens noch die Rollenverteilung: Wer gibt sich her als Richter, wer imitiert den Staatsanwalt? Wo sitzen im Gericht die Nebenkläger, und wer muss auf die Anklagebank?

konkret-Redakteur Jürgen Elsässer hat gleich mehrere Rollen übernommen. In seinem Buch »Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt« ist er alles zugleich: Ankläger, Richter und Verteidiger. Versehen ist der Band mit der großlettrigen Aufschrift »tribunal«. Vor diesem Gericht werden Kriegsgegner und Kriegsführende unter einem Aktenzeichen verhandelt, angeklagt sind Rot-Grün und die Kritiker der deutschen Kriegsminister gleichermaßen.

Elsässers zentrale Anklagepunkte lauten: Schröder, Scharping und Fischer haben mit ihren Propagandalügen den Boden bereitet für den ersten deutschen Angriffskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Weil die Linke sich weigerte, die »Hauptlüge« der Bundesregierung zu dementieren, wonach die Luftangriffe nur eine Reaktion auf die Verbrechen Milosevics gewesen seien, machte sie sich mitschuldig. »Die Empörung blieb geschmäcklerisch - Das tut man nicht! - und konnte so die Position der Kriegsbefürworter nicht ernsthaft schwächen. Das wäre nur möglich gewesen, wenn man ihre Faktendarstellung bestritten hätte.«

Mit »Kriegsverbrechen« ist Elsässer angetreten, jene Dementis nachzuliefern, die die Linke angeblich nicht liefern wollte. Das Material, das er zusammen gestellt hat, ist umfassend - und im besten Sinne propagandistisch. Ähnlich wie vor ihm Matthias Küntzel in »Der Weg in den Krieg« zeichnet er die deutsche Rolle bei der Zuspitzung des Konflikts mit Jugoslawien nach, kommt über die Stationen Racak, Rambouillet und Rogova zur Erfindung des Hufeisenplans durch Scharping - das Meisterstück rot-grüner Propaganda zerlegt er, dass es ein Genuss ist. Sein Hauptanliegen, die »tödlichen Lügen der Bundesregierung« und ihre Funktion für die Legitimierung des Luftkrieges zu entlarven, löst Elsässer ein, auch den Ethnoterror im Kosovo nach dem Einrücken der Kfor-Truppen beschreibt er faktenreich und anschaulich.

Bei diesem Lob könnte man es belassen, träte Elsässer nicht mit dem Anspruch auf, dass seine Arbeit - eine originär journalistische - die Hauptaufgabe aller linken Kriegsgegner hätte sein müssen. Sein Vorwurf an die Antinationalen, mit ihrer Kritik am Nationalismus Milosevics der Bundesregierung erst den propagandistischen Freiraum zur Legitimation des Krieges geschaffen zu haben, muss schon deshalb zurückgewiesen werden, weil nicht jede andere Ansicht von der Situation in Jugoslawien per se kriegsunterstützend ist. Das freilich suggeriert Elsässer, indem er »Hauptlügen« gegen Nebenwidersprüche ausspielt: »Die Hauptlüge bestand vielmehr im bewußten Verschweigen der Tatsache, daß diese Verschlechterung (im Kosovo, M.B) nicht auf Aktionen der serbischen Sicherheitskräfte, sondern vor allem auf Terrorakte der UCK zurückging.« Die Forderung an die ohnehin marginialisierte Linke, störende Elemente in der eigenen Antikriegspropaganda - d.h., Kritik an Milosevic - wegzulassen, ist aber auch deshalb unlauter, weil sie der Antikriegsbewegung eine Bedeutung zumisst, die sie objektiv nicht hatte.

Gegen die Behauptung, massive Gegenöffentlichkeit hätte den Krieg wenn nicht ver-, dann zumindest behindern können, spricht mindestens zweierlei. Zum einen funktioniert die von ihm postulierte Aufklärungsmechanik nicht so, wie Elsässer sich das wünscht. Die Zweifel am vermeintlichen Massaker von Racak, die Tatsache, dass in Rambouillet nur zum Schein verhandelt wurde - all das war bekannt, lange bevor der Krieg begann, und nachzulesen in der von ihm viel geschmähten und viel zitierten bürgerlichen Presse war es auch.

Zum Beleg seiner These von der antiserbischen Einseitigkeit der Medien muss er deshalb schon mal selbst die Fakten zurechtbiegen. Beispiel Racak: »In Deutschland gab es nur eine einzige Zeitung, die in jener Zeit eine Gegenrecherche anstellte und schließlich gewichtige Indizien präsentierte, dass es sich bei dem vermeintlichen Massenmord wohl um eine Inszenierung der UCK gehandelt haben dürfte - die Berliner Zeitung. Alle anderen übernahmen die Propaganda ihrer militärischen und politischen Führung.« Dass sogar die konservative Welt ausführlich über die vom Figaro und von Le Monde aufgedeckten Widersprüche im Fall Racak berichtete - Elsässer ist es keine Silbe wert.

Zweitens verdirbt sein Glaube an die Wichtigkeit der eigenen Mission die Glaubwürdigkeit der Recherche. Um die Lügen von Rot-Grün als besonders dreist erscheinen zu lassen, greift er immer wieder auf die Mittel zurück, die er der Gegenseite vorwirft. Zum Beispiel sind Zeugen immer dann glaubwürdig, wenn sie die eigene These stützen, selbst wenn sie sonst als unglaubwürdig gelten.

So wird dem Hauptpropagandisten Scharping schon mal eingeräumt, dass seine »Zahlen in diesem Fall ausnahmsweise stimmen«. Weshalb, schreibt Elsässer nicht. Und um seine alte These aufzufrischen, die Bundesregierung habe die USA in den Krieg getrieben, nimmt er eben die parteiischen Berichte des Staatssekretärs Ludger Volmer für bare Münze. Kein Wunder, dass demnach die Deutschen in Rambouillet das Sagen hatten. Offen bleibt auch, woher Elsässer an anderer Stelle die Gewissheit nimmt, dass »das US-Außenministerium korrekte Zahlen bekannt« gab, das Fischer-Ministerium aber nicht.

An den Fakten jedenfalls kann es nicht gelegen haben, denn wer in »Kriegsverbrechen« zum glaubwürdigen Kronzeugen geadelt wird, verwundert manchmal schon. Beispiel Srebrenica: Elsässer selbst ist es, der Scharpings Lüge, 1995 seien in der bosnischen Enklave 30 000, und nicht wie vom Roten Kreuz ermittelt, über 7 000 Menschen ermordet worden, entscheidene Bedeutung für die rot-grüne Propaganda zumisst. Das Kapitel »Die Rampe von Srebrenica« folgt deshalb direkt auf das Vorwort, hätten sich die Serben damals doch »endgültig als die Hauptschuldigen der bosnischen Tragödie etabliert«, wie er die Neue Zürcher Zeitung zitiert. Fazit: »Auf dieser Grundlage konnte die deutsche Propaganda im Kosovo-Krieg aufbauen.«

Was zu beweisen wäre. Doch Elsässers Beweisführung basiert nicht nur auf ähnlichen Quellen wie jenen »erwünschten Zeugen«, die er Scharping & Co. zu Recht vorhält, sondern war, abgesehen von einigen Ergänzungen, bereits im Januar 1997 in konkret nachzulesen. Wieder zitiert er Zeile um Zeile einen gewissen Ibran Mustafic, von dem »die präzisesten Angaben kommen«. Präzise? »Ich habe von Leuten, die der kroatischen Staatssicherheit nahestehen und Kontakte zu den Serben halten, gehört, daß sich an verschiedenen Orten noch 5 600 Überlebende aus Srebrenica befinden.« Sehr präzise.

Diese Unstimmigkeiten sind es, die Elsässers Analyse zum Ärgernis machen. Absichtlich lässt er unerwünschte Aussagen weg, greift Seite um Seite auf die Recherchen von Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen oder, wenn es gerade ins Bild passt, der Gesellschaft für bedrohte Völker zurück. Und behauptet zugleich, rechtzeitig und energisch verbreitet, hätten diese Informationen die Kriegsbefürworter schwächen können. Analyse durch Auslassung könnte man die Methode nennen, mit der man vielleicht linke Saalschlachten führen kann, Tribunale aber nicht.

Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt. konkret Texte 27, Hamburg 2000, 190 S., DM 26,80