Enttarnung eines Münchener Spitzels

Bond für Arme

Der Münchener Manfred Schlickenrieder ist als Spitzel enttarnt worden. Über den Zusammenhang von linkem Autoritarismus und Verrat.

Der Lockspitzel der zaristischen Geheimpolizei und ehemalige Bolschewisten-Führer in der Duma, Malinowski, war 1918 bereits seit langem entlarvt. Dennoch kehrte er aus der relativen Sicherheit Deutschlands nach Russland zurück und willigte ein, sich von einem Kommando der revolutionären Macht in den Kremlgärten erschießen zu lassen. Grund: Er habe gegen seinen Willen für beide Seiten gearbeitet.

Diese Haltung gewährt einen Einblick in die Psychologie eines Nachrichtenagenten, der sich sein Leben lang in semi-klandestinen, umstürzlerischen Zusammenhängen bewegt hat. Auch der kürzlich enttarnte Münchner Spitzel Manfred Schlickenrieder, Deckname »Camus«, scheint dieser psycho-politischen Disposition nicht ganz fern zu stehen. Der Aktivist der Gruppe 2, eines linksradikalen Dokumentarfilm- und Archivprojekts in Unterhaching bei München, das er in Ein-Mann-Regie bestritt, sieht sich mit einer Unzahl von Dossiers und Protokollen konfrontiert, die seine nahezu zwanzigjährige Spitzelpraxis im Umfeld vorwiegend marxistisch-leninistischer und antiimperialistischer Gruppen belegen.

Trotzdem feilt Schlickenrieder zur Zeit an einer Erklärung, die sein obskures Verhalten und seine eindeutigen Verbindungen zu Geheimdienstkreisen gegenüber seinen Genossen rechtfertigen soll. Seine Genossen sind sich als Kommunisten verstehende Menschen, in Zirkeln organisiert, die zumindest ein Anliegen miteinander teilen: Sie bemühen sich um eine »parteiische Aufarbeitung« der Geschichte des bewaffneten Kampfes. Des Konzepts also, das verschiedene europäische Stadtguerillagruppen - wie die italienischen Brigate Rosse, die deutsche RAF, die spanische Grapo, die Action Directe in Frankreich oder die Kämpfenden Kommunistischen Zellen (CCC) in Belgien - in den Dekaden nach dem allgemeinen gesellschaftlichen Aufbegehren der sechziger Jahre verfolgt haben.

In Abgrenzung zu reformistischen Traditionen im organisierten Linksradikalismus oder in der Arbeiterbewegung sollte in den achtziger und neunziger Jahren die Erfahrung des bewaffneten Kampfes debattiert werden und in den Aufbau einer »kämpfenden kommunistischen Partei« einfließen.

Schlickenrieder veröffentlichte über Jahre hinweg unter der Rubrik »Dokumentationen zur Zeitgeschichte« Auszüge dieser Organisations- und Strategiedebatte, darunter viele Texte und Erklärungen von Gefangenenkollektiven, hauptsächlich aus Italien, in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschriftenreihe -texte-. Pikant ist, dass einige dieser Verlautbarungen von einem auch geheimdienstlich genutzten Übersetzungsdienst, der anscheinend bei der Europäischen Weltraumbehörde angesiedelt ist, ins Deutsche übertragen wurden. Dieses Detail geht aus den Unterlagen hervor, die dem Revolutionären Aufbau Schweiz zugespielt wurden.

Darunter finden sich Namenslisten von »Personen mit Präzedenzfällen umstürzlerischer Art« genauso wie Dokumente über Telefon- und Kontakt-Obversationen vermeintlicher Mitglieder der französischen Guerillagruppe Action Directe, offensichtlich von einem Geheimdienst stammende Personendossiers italienischer Aktivisten, Lageberichte des italienischen Geheimdienstes SISDE wie auch von Schlickenrieder selbst gefertigte und mit eigenen Fotoaufnahmen versehene Aktennotizen über »seine« Schweizer Genossen beim Revolutionären Aufbau.

»Camus« geizte auch mit operativen Vorschlägen an seine obskuren Dienstherren nicht, wie man näher an einschlägige Strukturen in Italien und Belgien herankommen könnte. Ein altes, nicht vollendetes Videoprojekt zur Geschichte der Roten Brigaden sollte wieder aufgenommen werden. Die Kontakte, die sich bei den Filmaufnahmen und Interviews ergaben, sollten helfen, tiefer in das Umfeld militanter Gruppen einzudringen.

Dieses Vorgehen wandte Manfred Schlickenrieder mehr oder weniger erfolgreich gleich in mehreren Fällen an. Die Objekte seiner Kameraführung als linker Dokumentarfilmer waren ehemalige Gefangene aus der RAF, britische Docker oder Umweltschützer der Anti-Shell-Kampagne. Seine Objektwahl ermöglichte es »Camus«, ein legitimes politisches Projekt mit der Verfolgung eines geheimdienstlichen Auftrags zu verknüpfen. Dieses schizophrene »Malinowski-Syndrom«, beiden Seiten zu dienen, kam auch bei der Filmproduktion »Business as usual« zum Tragen. Schlickenrieder drehte einen Film, der vielleicht für die Anti-Shell-Kampagne nützlich war, und gleichzeitig lieferte er einen Bericht über die Interna der Protestbewegung, den er an die Londoner Firma Hakluyt verkaufte. Diese Firma wird zum Teil von ehemaligen MI6-Agenten betrieben, deren zweifellos brillante Geschäftsidee nach eigener Aussage darin besteht, »für die Industrie das zu tun, was wir früher für die Regierung taten«.

Schlickenrieder ließ sich seine Informantendienste teuer bezahlen. Gefundene Abrechnungen und Spesenquittungen geben Aufschluss über seinen stets argwöhnisch betrachteten, leicht aufwendigen Lebensstil als James Bond für arme Leute, der schon mal Sportwagen fährt.

Andere Ungereimtheiten harren aber noch der Aufklärung. Das »Pharaonengrab«, der umfangreiche vom Revolutionären Aufbau Schweiz aufgefundene Dokumentenschatz, gibt zwar Aufschluss über Schlickenrieders Doppelleben, sagt aber nichts über dessen tatsächlichen Auftraggeber aus. Man kann allenfalls darüber spekulieren, was einen anscheinend hemmungslosen Bürokraten und autoritären Sozialisten wie Schlickenrieder, der ein Leben lang abgeheftet, notiert und »dokumentiert« hat, dazu verleiten mochte, ausgerechnet den Decknamen »Camus« zu benutzen. Schließlich war Albert Camus ein erklärter Feind »einer Welt der Büros und Maschinen, der absoluten Ideen und des undifferenzierten Messianismus«, wie er in »Weder Opfer noch Henker« schrieb. Zudem hatte Camus so einiges gegen »legitimierten Mord« vorzubringen.

Liest man jetzt noch einmal die »Phantomdebatte« durch, die Schlickenrieder in seiner Zeitschriftenreihe -texte- aneinander montiert hat, fällt einem folgendes auf: Wenn sich der ideologische Nebel, der über einer endlosen Reihung leninistischer Worthülsen aufsteigt, etwas gelichtet hat und einem die Großbuchstaben der kämpfenden Organisationen nicht länger den Blick verstellen, sieht man, wie da durchaus die eine oder andere Leiche als materielles Resultat solcher Debatten reklamiert wird. Es ist erstaunlich, dass der im Gewand der Dritten Internationale daherkommende Starrsinn alle Mühe hat, sich etwa von der gelebten Radikalität der anarchistischen Propaganda der Tat eines Emile Henry oder von den Enteignungsaktionen der Bonnot-Bande abzugrenzen, um das eigene Ergebnis an Liquidationen in die Bewegung für den Kommunismus wissenschaftlich einzuordnen.

Es ist eine Folge solch langwieriger und strohtrockener Praxisbestimmung, dass Aktionen einer so genannten kämpfenden kommunistischen Zelle zum Parteiaufbau, wie der Mord an dem Gewerkschaftssoziologen und Regierungsberater Massimo D'Antona in Rom letztes Jahr, völlig diachron und quer zu den tatsächlich ablaufenden Ereignissen und Mobilisierungen liegen, die sich 1999 gegen den Jugoslawienkrieg der Nato richteten. Aber danach wird wieder umso ausgiebiger in umfänglichen Strategiedebatten theoretisiert.

Dass an der Schnittstelle der verschiedenen militant-kommunistischen Gruppen eine verdeckte transnational operierende Nachrichtenagentur wie die Gruppe 2 solchen Debatten Raum gab und diese verbreitete, wirft kein gutes Licht auf die Praxis und die theoretische Legitimation dieser Organisationen. Selbst wenn man die raison d'etre von Gruppen wie den Brigate Rosse keineswegs aus einer geheimdienstlichen Beeinflussung ableiten will, so müssen sich die Zirkel, die von sich selbst behaupten, eine schöpferische Aufarbeitung der Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf zu leisten, doch einige Fragen gefallen lassen.

Ist es möglich, dass ihre Theorie schematisch und ihre Praxis autoritär und bürokratisch ist? Begünstigt ihr Milieu das Auftreten von Figuren wie »Camus«? Lässt sich, wie der Pfarrer Don Milvo in Antonio Tabucchis erstem Roman »Piazza d'Italia« zuletzt verneint, die »Gleichheit mit hydraulischen Pumpen herstellen«? Und steckt nicht doch ein Körnchen Wahrheit in dem paranoiden Kommentar, den Guy Debord, durch die italienische Erfahrung gewitzt, seiner Schrift »Gesellschaft des Spektakels« hinzugefügt hat: »Höchstes Bestreben des Spektakels ist jedoch, dass die Geheimagenten zu Revolutionären und die Revolutionäre zu Geheimagenten werden«?

Umfassendes Dossier unter www.aufbau.org