Sibylle Tönnies bemitleidet Neonazis

Der grüne Gurt der Sympathie

Sibylle Tönnies beobachtet einen Pogrom gegen deutsche Neonazis.

Als Neonazis Ende November auf einer NPD-Demo durch Berlin-Mitte marschierten, war auch die taz- und Welt-Kolumnistin Sibylle Tönnies zur Stelle und beobachtete mit Schrecken die Szenen, die sich dort abspielten. Ihre Empörung galt allerdings nicht dem völkischen Mob, sondern dem Auftauchen von linken Gegendemonstranten, die das vorzeitige Ende der Kundgebung erzwangen, wie sie einem in der Welt veröffentlichten Kommentar bekannte.

Von Tönnies, die gelegentlich auch gern in Blättern wie dem rechtsintellektuellen Magazin Mut veröffentlicht, ist man bereits einiges an neurechten »Tabubrüchen« gewohnt. Vor einigen Jahren entdeckte sie die positiven Seiten des NS-Arbeitsdienstes als probates Mittel gegen den Werteverlust der vor allem im Osten orientierungslos auf der Straße herumhängenden jugendlichen Arbeitslosen, die sonst von ihrer Sehnsucht nach festen Orientierungen in die Arme neonazistischer Agitatoren getrieben würden.

Letztes Jahr unterstützte sie, kaum dass Innenminister Otto Schily diese Forderung erneut in die Debatte gebracht hatte, in walserndem Duktus die endgültige Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl. Die nach der Niederlage des Nazismus von ihren Missetaten gramgebeugten Deutschen hätten sich unter dem moralischen Druck ihres eigenen Gewissens das Asylrecht selbst aufgezwungen, um »den Holocaust wieder gutzumachen«. Diese »Sonderleistung« könne und müsse man nun wieder streichen, und zwar sowohl im Interesse der Fremden als auch der Deutschen. »Der ungehinderte Zustrom von Fremden, die ins Land aufgenommen werden müssen, wenn sie nur das Stichwort ðAsylÐ kennen«, so die Bremer Professorin, »ist für einen Staat, und sei er auch noch so schuldbeladen, unerträglich, das Anwachsen einer gewalttätigen Fremdenfeindlichkeit unvermeidlich.«

Gnadenakt statt Asylrecht fordert Tönnies, denn sie mag nicht hinnehmen, dass die selbstbewusste und von historischer Schuld befreite Nation keine »Gelegenheit zu stolzer und gönnerhafter Pose« erhält. Es muss demnach die Kränkung durch das noch existierende Rest-Asylrecht sein, die hierzulande junge kahlköpfige Männer dazu treibt, ihren »Stolz, Deutsche zu sein« gegenüber den Migranten mit Baseballschlägern zum Ausdruck zu bringen, statt die Leute mit Gönnermiene zu begrüßen.

In einer Kolumne der Welt hat Tönnies nun noch einmal ihr Verständnis für die gestressten Rechtsextremen anlässlich der aufgelösten NPD-Demo bekundet. Zu Recht hat Henryk M. Broder diesen unter dem programmatischen Titel »Deutsche Momente« veröffentlichten Text als das »Beste« gewürdigt, »was seit den Tagen geschrieben wurde, da deutsche Soldaten bei Stalingrad gedemütigt wurden«.

Bereits der sprachliche Gestus signalisiert, dass Tönnies nun wohl endgültig den Anschluss an andere völkisch geerdete 68er vom Schlage eines Horst Mahler, Bernd Rabehl oder Rainer Langhans gefunden hat.

»Der Neptunbrunnen am Alexanderplatz«, so ihr ganz persönlicher Eindruck, »bietet ein bizarres, halb steinernes, halb lebendes Bild. Hoch oben der Wassergott in schäumend königlicher Pose, um ihn herum wogen Nixen. Um Nixen und Brunnen herum formt sich ein weiterer Kranz aus kahlen, hellen Schädeln. Es sind Neonazis, die eine Kundgebung abhalten. Sie bilden einen engen Kreis, weil sie nicht anders können - um sie schlingt sich wiederum ein grüner Gurt, der sie zusammendrückt: die Polizei. Eine politisch-plastische Rosette.«

Ein Kreis, ein Kranz, ein Leib - ein schöneres Bild des Naziaufmarschs hätte auch eine Leni Riefenstahl nicht liefern können. Tönnies phantasiert sich einen Kreis der Leiber zusammen und nimmt auch dort, wo selbst der Staatsschutz den Hitlergruß erkennen würde, nur sportliche Körper und ästhetische Bewegungen wahr: »Pfeilgleich stechen ihre ausgestreckten Arme gegen die feindliche Mitte (...) Dazu werden mit heiserer Stimme Parolen skandiert.« Von wem, den Nazis? Nein, von außen, »aus der Menge, in der sich die ðAntifaÐ badet«. Entsetzt meint Tönnies pogromartige Szenen erleben zu müssen: »Aber jetzt fliegen Steine nach innen (...) Die kahlen Schädel (...) sind freie, leuchtende Zielscheiben.«

Sie wird endgültig von einem Erbarmen gepackt, das keinen Fetzen Restverstand mehr duldet: »Das Bild erinnert in erschütternder Weise an einen KZ-Marsch. Die rasierten, geneigten Köpfe, die bewaffnete Eskorte (...) Diese Nazis befinden sich in Schutzhaft. Die Polizei (...) schützt sie vor den Angriffen einer zum Lynchen aufgelegten Menge.«

Sibylle Tönnies beschreibt Szenen, die nur Sibylle Tönnies gesehen haben kann, sie bemerkt »wissende, von Hass ausgezehrte Mienen. Einige sehen aus wie glühende Totenschädel. Man kann annehmen, dass nicht der Rechtsradikalismus diese Unglücklichen so geformt hat, sondern ein in ihrer Biographie wütendes Schicksal. Sie brauchen den Rechtsradikalismus, um mit einer furchtbaren Kränkung zurechtzukommen.«

Aber worin bestand sie nur, fragt man sich mit Henryk M. Broder, diese Kränkung, die »wie ein Stahlgewitter in der Biographie wütet. (...) War bei Aldi das Dosenbier alle?« Oder liegt es doch am immer noch nicht endgültig abgeschafften Asylrecht, dass ihnen »als Stolz nichts übrig (bleibt) als der Stolz, darauf, Deutsche zu sein« und sie diesen »brauchen, weil er ihrem Hass auf die Glücklicheren Ausdruck und Ziel gibt«?

Aber Sibylle Tönnies bleibt die Antwort diesmal schuldig. Die geschockte Professorin für Sozialwesen stammelt nur noch von der »Ähnlichkeit dieser Nazis mit Häftlingen« als »Ergebnis einer zumindest halbbewussten Annäherung« und stellt die Frage: »Wer wollte da den ersten Stein heben?« Für so viel Mitgefühl mit den Gedemütigten dieses Landes hat Frau Tönnies sich die nachträgliche Ehrenmitgliedschaft im BDM verdient.