Parlamentswahlen in Serbien

In die Krise investieren

Vor den Parlamentswahlen in Serbien verschärfen sich die Gegensätze innerhalb des ehemaligen Oppositionsbündnisses DOS.

Wir befinden uns in einem Vakuum, aber nach dem 23. Dezember wird sich alles ändern«, verspricht Zoran Djindjic. »Lasst uns vollenden, was wir begonnen haben«, appellierte der Chef der Demokratischen Partei (DS) vergangene Woche an seine Sympathisanten zum Auftakt des Wahlkampfes in Sabac, einem Ort 160 Kilometer südlich von Belgrad. Vollenden will Djindjic den Sturz Slobodan Milosevics und seiner Sozialistischen Partei (SPS), der mit der Erstürmung des Parlaments am 5. Oktober begann. Am 23. Dezember wird nun das serbische Parlament neu gewählt. Djindjic - Spitzenkandidat des an der Macht beteiligten Oppositionsbündnisses DOS und Deutschlands Mann in Belgrad - hat beste Aussichten, den einflussreichen Posten des Ministerpräsidenten zu erringen.

Die komplizierten Machtverhältnisse in Jugoslawien werden zum Ende des Jahres noch einmal umgestaltet. Nach Milosevics Abwahl und seinem erzwungenen Abgang regiert der national-liberale DOS-Frontmann Vojislav Kostunica die aus den Teilrepubliken Montenegro und Serbien bestehende Föderation. Doch viele Schaltstellen der Macht befinden sich auf der Ebene der Republik Serbien, die mit zehn Millionen Einwohnern ungleich größer ist als das nur 600 000 Menschen zählende Montenegro.

Zudem verfügt Serbien über größere innenpolitische Kompetenzen als die Föderation. In zähen Verhandlungen mit der Allianz aus Milosevics SPS und der Vereinigten Jugoslawischen Linken (JUL) konnte DOS im Oktober durchsetzen, dass nach dem Machtwechsel in der Föderation auch in Serbien vorgezogene Neuwahlen abgehalten werden. In der Zwischenzeit regiert ein Übergangskabinett die Teilrepublik, an dem DOS, einige kleinere Oppositionsparteien und die Sozialisten paritätisch beteiligt sind.

Wenn man den Umfragen glauben kann, wird diese fragile Machtbalance am 23. Dezember zugunsten klarer Verhältnisse beendet sein. Djindjics DS liegt demnach weit vor den Sozialisten und anderen oppositionellen Kräften, wie der rechtsextremistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) von Vojislav Seselj und den Monarchisten der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Draskovic.

Fraglich ist jedoch, wie lange ein Wahlsieg von DOS Stabilität schaffen kann. Die Erwartungen der Bevölkerung sind groß, denn die soziale Situation könnte desolater kaum sein. Infolge der Nato-Bombardements und des Embargos gegen Jugoslawien fiel die Industrieproduktion im letzten Jahr um 21 Prozent. Die Löhne sanken gar um mehr als ein Drittel. Der durchschnittliche Monatslohn beträgt derzeit 45 Euro. Das Einkommen der meisten Rentner, der Arbeitslosen oder auch der Lohnabhängigen im so genannten Zwangsurlaub liegt unter 20 Euro. Ohne Aktivitäten in der Schattenwirtschaft, ohne den eigenen Schrebergarten oder die Überweisungen von Verwandten im Ausland, könnten die meisten Jugoslawen nicht überleben. Zusätzlich sind die Lebenshaltungskosten drastisch gestiegen, seit die neue DOS-Regierung die Preise freigegeben hat.

Die von der Europäischen Union und der Weltbank versprochene, aber nur häppchenweise eintreffende Finanzhilfe von etwa 500 Millionen US-Dollar verhindert lediglich den kompletten Zusammenbruch der Wirtschaft, weil sie die Energie- und Lebensmittelversorgung durch Importe für einige Monate sicherstellt. Längerfristig wird Jugoslawien allerdings seine Auslandsschulden in Höhe von 11,7 Milliarden US-Dollar begleichen müssen. Dies machten die Geberländer auf einem Gläubigertreffen mit Delegierten der jugoslawischen Regierung in Brüssel am 12. Dezember deutlich. Auch die Kredite, welche die EU im Rahmen des Balkan-Stabilitätspaktes auf einem Gipfel in Zagreb Ende November versprach, müssen zurückgezahlt werden.

Das zukünftige Verhältnis zu den Geberländern beschreiben die devoten Worte des jugoslawischen Vizepräsidenten Miroljub Labus: »Wir brauchen Hilfe von außen und sind dafür bereit, die entsprechende Politik zu machen.«

Wie diese Politik aussehen soll, ist allerdings umstritten. Bereits vor den Wahlen wird deutlich, dass DOS bald nach dem Urnengang auseinanderbrechen wird. Unüberbrückbar sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen den 18 in DOS vereinigten Parteien, zu markant sind bereits jetzt die Rivalitäten unter den Spitzenpolitikern.

Konflikte zeichnen sich vor allem zwischen dem national-liberalen Etatisten Kostunica und dem neoliberalen Draufgänger Djindjic ab. Während der neue jugoslawische Präsident auf ein Arrangement mit den alten Eliten und deren militärischem Geheimdienstapparat setzt, möchte Djindjic einen Durchmarsch der neuen Kräfte an die Macht. Bestes Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen in den staatseigenen Betrieben. Dort wird seit Oktober heftig um die Kontrolle gerungen. Djindjic unterstützt die zahlreichen neu gegründeten »Krisenkomitees«, welche in den Staatsunternehmen Manager absetzen, die als Milosevic-loyal gelten. Um »Investitionssicherheit« zu garantieren, ein Hauptziel der angestrebten Marktreform, müsse mit »Korruption, Machtmissbrauch und Verbrechen aufgeräumt werden«, begründet Djindjic seine Politik. Dabei kann er sich des Applauses der Beschäftigten sicher sein.

Kostunica reagiert alarmiert. In vielen Fällen scheint Djindjic Vertreter seiner eigenen Seilschaften als neue Betriebsführungen einzusetzen, die sich lediglich dadurch auszeichnen, ihm gegenüber loyal zu sein.

Neben den Konflikten innerhalb des DOS-Bündnisses droht auch der fortgesetzte Desintegrationsprozess des Staates neue Unruhen zu provozieren. Am harmlosesten sind noch die Auseinandersetzungen zwischen den Regionalisten und den Zentralisten um Kostunica in der Provinz Vojvodina. Die Autonomisten der von einer ungarischen Minderheit bewohnten Vojvodina haben auf dem Ticket von DOS Regionalwahlen gewonnen, die gleichzeitig mit den jugoslawischen Präsidentschaftwahlen am 24. September stattfanden. Jetzt bahnt sich eine Konfrontation mit Kostunica an, der gegen die Autonomie der Provinz eintritt. Auch Montenegros Präsident Milo Djukanovic macht weiter für die Unabhängigkeit seiner winzigen Republik mobil, obwohl ihm der Westen zu verstehen gegeben hat, dass diese Frage nicht mehr auf der Tagesordnung steht.

Weiter zugespitzt hat sich der Konflikt zwischen der albanisch-nationalistischen Guerillatruppe UCPMB - ein UCK-Ableger - und serbisch-jugoslawischen Truppen in Südserbien. Hunderte gut bewaffnete UCPMB-Kämpfer operieren vor allem im Presevo-Tal, in dem 70 000 Albaner leben, und versuchen dort eine militärische Reaktion von serbischer Seite zu provozieren. Eine militärische Eskalation des Konfliktes würde sie der Unabhängigkeit des Kosovo näher bringen. Und darauf drängen die albanischen Nationalisten, egal wer in Belgrad regiert und was die »internationale Gemeinschaft« davon hält.

Mehrere Tausend Serben haben vergangene Woche begonnen, auf den Verkehrswegen nach Mazedonien und Griechenland Blockaden zu errichten. Sie fordern Kostunica auf, die Armee einzusetzen, weil sich die Nato-Truppen bisher bei der Kontrolle der UCPMB zurückhalten. Wahlkämpfer Djindjic drängt darauf, »sofort und ohne Kompromisse« zu reagieren.

Und auch im Kosovo ist die Lage angespannt. Belgische Kfor-Einheiten hatten am vergangenen Sonntag einen von der UN-Polizei gesuchten Serben festgenommen. Anschließend kam es in der Ortschaft Leposavic zu gewaltsamen Protesten, bei denen zwei Serben starben.

Slobodan Milosevic können die Auseinandersetzungen nur recht sein. Nach seinem Sturz hatte der Ex-Präsident zwar verkündet, er wolle sich fortan um seine Familie kümmern. Dennoch startete er vor ein paar Wochen ein Comeback. Auf dem Parteitag der SPS ließ er sich erneut zum Parteichef küren. Jetzt kandidiert er für einen Parlamentssitz. Das Motto des Parteitags lautete: »Wir machen weiter.«