Reaktionen in Deutschland

Parmesan und Partisan

Der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen und seine brutale Niederschlagung durch die Sicherheitskräfte hat im weihnachtlichen Deutschland ungefähr soviel Interesse hervorgerufen wie die Verhandlungen zwischen kolumbianischer Regierung und der Farc-Guerilla bei gleichzeitiger Entdeckung der ersten deutschen BSE-Kuh. Selbst in gewöhnlich gut informierten Kreisen rief die Präsenz von einigen Mannschaftswagen und einem Wasserwerfer in der Frankfurter Innenstadt zunächst Stirnrunzeln hervor. Die bloße Erfahrung, dass in den letzten Jahren nur kurdische Demonstrationen ein solches Polizeiaufgebot mit sich brachten, führte zu des Rätsels Lösung. Ein paar Hundert Türken und Kurden in einem Meer von roten Fahnen demonstrierten gegen die Verlegung der politischen Häftlinge in die Gefängnisse des neuen Typs F.

Die verschiedenen Aktionen der türkischen oder kurdischen SympathisantInnen waren auch die einzigen nennenswerten politischen Reaktionen auf den Hungerstreik, die es in Deutschland gab. Innerhalb der deutschen Linken interessieren sich nur noch wenige für die politischen Verhältnisse in der Türkei. Der Rest ist noch immer mit der Frage beschäftigt, was von dem kurdischen Nationalismus und den teilweise dubiosen Praktiken der PKK zu halten ist.

Und auch die rot-grüne Regierungskoalition übte sich in vornehmer Zurückhaltung und sorgte sich vor allem um innenpolitische Konsequenzen. Das zeigte sich schon bei Öcalans Festsetzung in Italien, als Deutschland auf einen Auslieferungsantrag verzichtete. Zahlreiche Botschaftsbesetzungen und ähnliche Aktionen hatten damals für Wirbel gesorgt, den die deutschen Behörden heute möglichst vermeiden wollen. Vermutlich sind sich die Verantwortlichen in Berlin auch noch nicht sicher, ob sie die brutale Durchsetzung der Gefängnisreform als gelungene Anpassung an europäische Standards oder als erneuten Beweis für die EU-Unreife der Türkei bewerten sollen.

Das Schweigen auf Seiten der Regierenden ist das Resultat ihrer Strategie gegenüber dem Bündnispartner. Denn einerseits wird die Türkei militärisch und politisch unterstützt. Andererseits wird ihr aber im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Debatte um Menschenrechte der Status eines Rechtsstaats aberkannt.

Insbesondere in der linksliberalen Presse weiß man daher nicht so recht, was von der ganzen Sache zu halten ist. Abseits der einigermaßen redlichen Berichterstattung fällt etwa dem Korrespondenten der Frankfurter Rundschau als Kritik an der türkischen Regierung nur ein, dass der »greise Ecevit« und seinesgleichen selbst schuld daran seien, »dass ausgerechnet die Haftanstalten zu rechtsfreien Räumen gemacht wurden«. Nur so konnte es nämlich passieren, dass »die türkischen Knäste zu Brutstätten der Gewalt und Zentren extremistischer Indoktrination« wurden.

Dieses vermutlich einer Presseerklärung des türkischen Innenministeriums entnommene Plädoyer für die Isolation politischer Häftlinge leitete dann auch die Umkehr in der Berichterstattung ein. Nach diesem Kommentar wurden in der FR die Polizeiberichte und Presseerklärungen nicht mehr kritisch hinterfragt, keine Berichte des Menschenrechtsvereins mehr veröffentlicht und keine Angehörigen mehr zitiert. Die Geschichte der Sieger wird schnell geschrieben.

Die taz wiederum schwört auf Zivilgesellschaft und aufrechte Demokraten, die sie zerrieben sieht zwischen den Hardlinern beim Staat und bei den Linksextremen. Doch wer hier wen zerreibt, dürfte nach dem Sturm auf die Gefängnisse klar sein.