Krise in Westafrika

Ein Schiff wird kommen

Während der Kämpfe in Guinea gerieten Tausende Flüchtlinge zwischen die Fronten. Nun will das UNHCR sie in ihr noch immer unsicheres Herkunftsland zurückschicken.
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Es war eine überraschende Kehrtwende: Vergangene Woche gab das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bekannt, dass bis zu 20 000 Flüchtlinge aus Sierra Leone, die vor dem Bürgerkrieg nach Guinea geflohen waren, mit angemieteten Schiffen zurückgebracht werden sollen. Mit der Repatriierungsaktion wurde sofort begonnen, am 4. Januar waren bereits 1900 Flüchtlinge im Hafen von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, angekommen.

Der dortige Bürgerkrieg hat mittlerweile auf Guinea übergegriffen. Gegenüber Radio France International sagte ein Sprecher des UNHCR, Paul Stromberg: »Viele (der Flüchtlinge) haben in den Tagen nach den Kämpfen sehr unsichere Boote von Conakry (der Hauptstadt Guineas) aus benutzt. Deshalb haben wir ein Schiff organisiert. Doch wir wollen sicher gehen, dass sie verstehen, dass Sierra Leone nicht unbedingt sicherer ist als Guinea.«

In Guinea halten sich nach Schätzungen über 400 000 Sierra-Leoner auf. »Diese Flüchtlinge scheinen zu denken, dass sie in Sierra Leone sicherer sind. Erstens, weil es Rebellenangriffe im Südwesten Guineas gibt, und zweitens, weil die Bevölkerung Guineas sich in manchen Gegenden gegen sie wendet, da sie als die Schuldigen für die Angriffe gesehen werden«, sagte ein anderer UNCHR-Sprecher.

Tatsächlich herrscht an den Kriegsfronten in Sierra Leone derzeit relative Ruhe: Im November einigten sich die Rebellen von der Revolutionary United Front (Ruf) mit den Peacekeepern der Vereinten Nationen (Unamsil) erneut auf einen Waffenstillstand. Vergangene Woche erreichte der kenianische Befehlshaber der Mission, Daniel Opande, dass die Ruf die wichtigsten Straßen in ihrem Gebiet für seine Truppen öffnet. Bei seinem Besuch im Rebellengebiet forderte er die Befehlshaber auf, sich aus Konflikten in Guinea und Liberia herauszuhalten. »Die Vereinten Nationen versuchen, die Ruf zur Vernunft zu bringen, sodass ihre Kämpfer von diesen beiden Ländern nicht als Söldner benutzt werden«, so die Unamsil-Sprecherin Hirut Befecadu.

Trotzdem ist die Lage in Sierra Leone weiterhin angespannt. Der fast zehn Jahre andauernde Bürgerkrieg hat die ländlichen Gegenden entvölkert, da nur in den Städten ein Minimum an Sicherheit für die Zivilbevölkerung gewährleistet ist. Die Unamsil ist seit Oktober 1999 im Land. Mit derzeit 13 000 Soldaten ist sie die weltweit größte UN-Mission, dennoch wurden im Mai letzten Jahres Hunderte Blauhelme von der Ruf als Geiseln genommen, als sie auf ein Gebiet vorrückten, das von den Rebellen gehalten wurde.

Erst das Eingreifen britischer Elite-Einheiten konnte das vollständige Scheitern der Mission verhindern: Die Ruf hätte beinahe die Hauptstadt Freetown erobert. Die Briten weigern sich nach wie vor, ihre Einheiten dem Befehl der UN zu unterstellen, deren Soldaten zumeist aus armen Ländern kommen und völlig unzureichend ausgerüstet sind.

Stattdessen hat die britische Armee die 10 000 Soldaten und die Polizei der schwachen Regierung Sierra Leones unter ihre Kontrolle gebracht. Britische Offiziere bilden die Soldaten aus, ein britischer General überwacht die Armeefinanzen, und auch der Chef der Polizei ist Brite.

Die Ruf wirft der Londoner Regierung deshalb nicht ohne Grund vor, in neokolonialer Weise die Diamantenfelder in Sierra Leone kontrollieren zu wollen. »Wir gehen, wenn der Krieg entweder gewonnen oder unter günstigen Umständen beendet worden ist«, gab der Kommandant der Briten, Jonathan Riley, letzte Woche gegenüber BBC Radio bekannt.

Seit 1991 führt die Ruf Krieg gegen die wechselnden Regierungen in Sierra Leone. Die Guerilla wird angeführt von radikalen ehemaligen Studenten, ihre Basis rekrutiert sie aus der Masse der chancenlosen Jugendlichen aus den ländlichen Gebieten. Unterstützt wird sie angeblich vom gewählten Präsidenten Liberias, Charles Taylor, einem ehemaligen Guerillero. Vor knapp zwei Wochen gaben die UN einen Bericht heraus, in dem Taylor vorgeworfen wird, die in dem Ruf-Gebiet geförderten Diamanten gegen Waffen zu tauschen. Vor allem die USA halten ihn für die Schlüsselfigur in dem Kriegsdrama und planen, einen Antrag auf ein Waffen- und Diamantenembargo gegen Liberia in den UN-Sicherheitsrat einzubringen, obwohl bereits seit 1992 ein weitgehend unbeachtetes Waffenembargo besteht. Taylor bestreitet, Einfluss auf die Ruf zu haben.

»Es gibt ein Syndikat afrikanischer Führer, welche die Basis der Rebellenattacken an den Grenzen sind.« Doch auch Guineas Präsident Lansana Conté beschuldigt Taylor und seinen Alliierten in Burkina Faso, Präsident Blaise Compaoré. Seit September ist die Grenzregion zwischen Liberia, Sierra Leone und Guinea umkämpft. Dort leben die meisten Flüchtlinge aus Sierra Leone und Liberia. Die liberianische Armee gibt an, gegen die Rebellen der Ulimo-K vorzugehen, eines Überbleibsels aus dem liberianischen Bürgerkrieg, der bis 1997 dauerte. Deren Basis liegt in Guinea, die liberianische Armee behauptet jedoch, die Grenze nicht zu überschreiten. In der guineischen Stadt Macenta treten Ulimo-K-Kämpfer offen auf. »Bislang waren sie nur Flüchtlinge«, äußerte sich Conté dazu. »Wenn es unter ihnen Leute gibt, die Herrn Taylor nicht mögen, ist das nicht mein Fehler. Er soll sie zurücknehmen. Sie sind Liberianer.«

Es ist weiterhin unklar, wer das guineische Gebiet von Sierra Leone aus angreift. Zwar haben sich angebliche guineische Dissidenten zu den Angriffen bekannt, doch niemand hatte bislang von ihrer Vereinigung der Demokratischen Kräfte Guineas gehört. Mohamed Lamine Fofana, der sich als ihr Sprecher ausgibt, hat verlangt, sich auf internationalen Radiostationen verbreiten zu dürfen.

Ganz ähnlich begann auch der Kampf der Ruf 1991. Für die Regierung Guineas ist der Fall daher klar: Die Angriffe werden von der Ruf im Auftrag Taylors geführt. In Wahrheit könnten guineische Dissidenten, die möglicherweise zum Teil Armeeangehörige sind, die 1996 erfolglos gegen Conté geputscht hatten, mit der Ruf eine Allianz eingegangen sein. Conté hatte nach Beginn der Angriffe im staatlichen Radio gegen die Flüchtlinge aus den Nachbarländern Stimmung gemacht und damit das Startsignal für eine Hetzjagd gegeben. Der BBC-Conakry-Korrespondent Alhassan Sylla berichtete, dass »die guineische Armee nicht viel Geduld hat herauszufinden, wer Flüchtling und wer Feind ist. Viele Flüchtlinge sind getötet worden.« US-Armeeoffiziere hatten noch vor einem Jahr guineische Soldaten ausgebildet - unter anderem in Menschenrechtsfragen.

Nach dem bislang größten Rebellenangriff in Guinea am 10. Dezember erklärte das UNHCR 420 000 Flüchtlinge für vermisst. Etwa 85 000 sind inzwischen gefunden worden, die anderen werden in der Grenzregion zu Sierra Leone vermutet. Wegen der Kämpfe hatten sich die internationalen Hilfsorganisationen aus dem Gebiet zurückgezogen. Nun hat die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas beschlossen, 1 600 Soldaten zwischen den drei Ländern zu stationieren, um weitere Grenzkämpfe zu verhindern. Doch wie die Soldaten, die zum größten Teil von Nigeria gestellt werden, in diesem unwegsamen Gebiet, in dem es kaum befestigte Straßen gibt, die lange Grenze überwachen sollen, bleibt unklar. Unterdessen versucht die Organisation Afrikanische Einheit (OAU), durch ihren Generalsekretär Salim Ahmed Salim zu vermitteln.

Die Vereinten Nationen stehen kurz vor einem Desaster. Die Repatriierung von Flüchtlingen in ein Bürgerkriegsland ist ein weiteres Zeichen ihrer Hilflosigkeit. Schon längst werden die UN und vor allem die britischen Truppen von der Ruf als Kriegspartei betrachtet und auch so behandelt. Taylor zum Alleinschuldigen an diesem Krieg zu erklären, ist nicht nur ungerecht, es wird auch eine Lösung des Konflikts erschweren. Schon seit mehr als zehn Jahren kämpft Taylor gegen alle mächtigen Akteure in der Region und hat sich bislang immer durchgesetzt. Im Interview mit dem BBC-Magazin Focus on Africa antwortete er auf die Frage, ob er erwarte, eines natürlichen Todes zu sterben: »Das kann allein Gott entscheiden.«