Christian Y. Schmidt über Joseph Fischer

»Von Rasierklingen weiß ich nichts«

Der Außenminister verrät der Republik sein Geheimrezept: Wie schafft man es von der Sponti-Szene ins Ministeramt? Die Fotos, die letzte Woche im stern erschienen sind, zeigen, wie Joseph Fischer auf einer Frankfurter Demo im April 1973 einen Polizisten verdrosch. Christian Y. Schmidt hat die Karrieresprünge des Ex-Spontis und Außenministers in seinem 1998 erschienenen Buch »Wir sind die Wahnsinnigen - Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang« nachgezeichnet.

Kurz vor Fischers Zeugenaussage im Opec-Prozess sorgt seine Spontizeit noch einmal für Wirbel. Dabei gibt es doch nichts Neues.

Doch. Im Gespräch mit dem Spiegel hat Fischer implizit zugegeben, dass er an dem Angriff auf das spanische Generalkonsulat im September 1975 beteiligt war. Brisant ist die Aussage deshalb, weil nachweisbar ist, dass die Stürmung des Konsulats - entgegen Fischers Behauptung, es habe sich um eine spontante Aktion gehandelt - generalstabsmäßig vorbereitet war.

Fischer selbst hat doch das größte Interesse daran, vor dem »Terroristen«-Prozess noch einmal über seine damalige Rolle in der militanten Szene zu sprechen. Ihm geht es vor allem um eine Trennung zwischen dem militanten Spontimilieu, dem er zugehörte, und der miltärisch operierenden terroristischen Szene, mit der er auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden will. Diese Strategie ist doch erfolgreich.

Das würde sich aber ändern, wenn sich herausstellen sollte, dass er im Spiegel-Interview nicht immer die Wahrheit gesagt hat. Das wäre doch der Punkt, wo ihm die Öffentlichkeit nicht mehr verzeiht. Denn Fischer weiß natürlich, dass man ihm mehr nachweisen kann, als er selbst zugibt. Beispielsweise die Rolle, die er am Vorabend der Meinhof-Demo gespielt hat. Das ist schon von anderer Qualität als die Prügelei mit dem Polizisten, die er von sich aus eingeräumt hat. Wenn er jetzt, nachdem die Tatsachen bekannt werden, Stück für Stück zugeben muss, dass er mehr gemacht hat, verhält er sich auch nicht anders als Helmut Kohl. Auch ein Peter Boenisch oder ein Heribert Prantl werden dann von ihm abrücken.

Was würde das bedeuten?

Wenn sich beweisen lässt, dass Fischer im Zusammenhang mit der Aktion vor dem Generalkonsulat die Unwahrheit gesagt hat; wenn sich durch mehrere Zeugen verifizieren lässt, dass seine Rolle in der Nacht vor der Meinhof-Demo eine andere war als von ihm behauptet; wenn sich als wahr erweisen sollte, dass die rot-grüne Regierung in Wiesbaden 1985 Fischers Staatsschutzakten zu diesem Komplex hat verschwinden lassen - dann ist es vorbei. Er hat sich einfach zu weit aus dem Fenster gelehnt, indem er gesagt hat, mit dem Einsatz von Mollies habe ich überhaupt nichts zu tun.

Sie haben Fischers Part in den Diskussionen am Vorabend der Meinhof-Demo bereits in Ihrem Buch dargestellt. Nach Ihren Recherchen war Fischer keineswegs derjenige, der sich für den Verzicht auf Molotow-Cocktails ins Zeug gelegt hat.

Neben dem Zeugen, der in meinem Buch seine Angaben machte, bringt der Spiegel jetzt eine zweite Quelle, die - wenn auch abgeschwächt - aussagt, dass Fischer die Diskussion über die Demo geleitet, sich aber nicht für den Einsatz von Mollies ausgesprochen habe. Widersprochen hat er aber auch nicht, sondern die Diskussion beendet mit dem Satz: »Dann sei's drum.«

Alle sind damals davon ausgegangen, Ulrike sei ermordet worden, und die Stimmung war dementsprechend. Viele junge Kämpfer waren dabei, die sich vehement dafür ausgesprochen haben, Molotow-Cocktails einzusetzen. Fischer als älterer und erfahrener Genosse hätte da intervenieren können und sagen: »nee, so nicht«, wie es eine Minderheit auf der Versammlung auch getan hat. Das hat er nicht getan, sondern sich am Ende auf die Seite der Mehrheit geschlagen und den Einsatz unterstützt.

In der Debatte, ob, wie und wann Fischer mit Molotow-Cocktails hantiert hat, geht der eigentliche politische Kontext unter.

Mir geht es nicht darum, den militanten Widerstand zu deligitimieren. Vor allem nicht, wenn es um den Angriff auf das spanische Generalkonsulat geht, wo Frap- und Eta-Leute von einem faschistischen Regime bedroht und auch tatsächlich hingerichet wurden. Wenn Leute in so einer Situation Molotow-Cocktails schmeißen, ist das verständlich, aber politisch blödsinnig. Ich denke, dass es bei der Meinhof-Demo nicht geplant war, dass ein Polizist angezündet wird. Ich glaube auch, dass das Fischer und den anderen einen großen Schock versetzt hat. Danach gerieten sie ja auch tatsächlich in Bedrängnis. Nur, es ist ihnen eben nichts passiert.

Bettina Röhl behauptet in der Sunday Times, die Fischer-Leute seien militärisch und generalstabsmäßig organisiert vorgegangen. Sie kolportiert, die Spontis hätten Rasierklingen an Knüppel befestigt, mit denen sie auf Polizisten losgegangen seien.

Von Rasierklingen weiß ich nichts. Militärisch geplante Aktionen hat es aber auf jeden Fall gegeben. Und das ist auch der Punkt, an dem Fischer nicht die Wahrheit sagt, wenn er beispielsweise behauptet, der Angriff auf das spanische Generalkonsulat sei eine spontane Aktion gewesen. Der Sturm ist tatsächlich generalstabsmäßig abgelaufen, dazu braucht man nur die Schilderungen im Polizeibericht nachlesen. So ist zum Beispiel der Funkverkehr fachmännisch gestört worden, Mollies und Zivilkleidung zum Wechseln sind deponiert worden. Die erste Formation hat die Farbbeutel auf das Konsulat geworfen, die zweite hat die Steine geschmissen und die dritte die Mollies. Danach ist die Polizei systematisch abgelenkt worden.

Dass die Aktionen damals generalstabsmäßig geplant wurden, beweisen auch die Artikel in wir wollen alles, wo von einer Massenguerilla die Rede war, die dem RAF-Konzept der Stadtguerilla durchaus ähnelte. Der Unterschied ist der, dass die Spontis individuellen Terror als politisches Mittel immer abgelehnt haben - wie auch die K-Gruppen. Wenn er jetzt im Nachhinein sagt, das war die böse RAF, dann eben betreibt er Geschichtsfälschung. So gesehen hat Röhl schon Recht.

Fischers verschwundene Staatsschutzakte könnte die Vorgänge um die Meinhof-Demo aufklären helfen?

Was in der Akte steht, weiß ich natürlich nicht. Und auch nicht, ob Details über die Nacht, die er in Haft verbracht hat, darin aufgezeichnet wurden. Klar ist, dass es damals Verhöre gab, schließlich gehörte Fischer zu den fünf Hauptverdächtigen. Falls die Focus-Information stimmt, kann man schon annehmen, dass da Details drinstehen, die Fischer sehr unangenehm sind. Im Spiegel-Gespräch kann er sich an sehr viel erinnern. Aber ausgerechnet nicht an die Geschichte mit der Meinhof-Demo. Das ist merkwürdig.

Würde es Sie freuen, wenn der Kriegsminister ausgerechnet über einen Mollie stürzen sollte?

Ja - auch wenn er aus den falschen Gründen zurücktreten müsste.

Was wäre der eigentliche Rücktrittsgrund?

Für mich hätte er wegen des Kosovo-Krieges zurücktreten müssen.

Haben Sie mit Ihrem Buch zu der jetzigen Kampagne beigetragen?

Sicherlich auch, aber so unbekannt sind die ganzen Geschichten ja gar nicht gewesen. Wolfgang Kraushaar hatte eigentlich schon alles über die Grundstruktur und die Historie der Spontiszene in Frankfurt in seinem Aufsatz in der Zeitschrift 1999 gebracht. Mir ging es allerdings nie darum, diese Militanz zu delegitimieren. Deshalb habe ich in meinem Buch auch bestimmte Recherchen nicht verwendet.