Brasilianische Fußballmeisterschaft

São Caetano und die Wilde 13

Der mühselige Weg zur Meisterschaft im brasilianischen Fußball.

Dass die Organisatoren des brasilianischen Fußballs ihre Kundschaft bislang dadurch gelangweilt hätten, dass sie Jahr für Jahr die immer gleichen Wettbewerbe abspulten, lässt sich wahrlich nicht behaupten. So wurde gerade mal drei Jahre lang ohne bedeutsame Änderungen des Reglements der brasilianische Meister ermittelt, ehe im Sommer 2000 wieder alles umgeworfen wurde. Mit der Copa João Havelange wurde quasi über Nacht ein neuer Wettbewerb aus der Taufe gehoben, der nun, nach etlichen Turbulenzen und gut einen Monat später als ursprünglich geplant, am 18. Januar mit Vasco da Gama auch einen Titelträger gefunden hat.

Schon der Auftakt war verheißungsvoll, weniger das im engeren Sinne Sportliche als vielmehr die Manöver hinter den Kulissen. Denn eigentlich war in der Saison 1999 mit Botafogo einer der Traditionsclubs aus Rio de Janeiro abgestiegen. Er konnte sich jedoch auf dem Umweg über die Sportjustiz die Punkte eines verlorenen Matches erkämpfen und so mit Gama - nicht zu verwechseln mit Vasco da Gama - eine unbedeutende Mannschaft aus der Hauptstadt Brasília in die Zweitklassigkeit stürzen. Alle waren also zufrieden.

Keiner hatte damit gerechnet, dass der kleine Verein vor ein ordentliches Gericht ziehen würde, um sich dort sein Recht auf die erste Klasse bestätigen zu lassen, und Erfolg haben könnte. Mit dem Urteil war nun unversehens der brasilianische Fußballverband CBF in eine Zwickmühle geraten. Einerseits gehalten, den Richterspruch zu erfüllen, wurde ihm für den Fall, dass er dies täte, vom Weltfußballverband Fifa - dort wertet man die Entscheidungen staatlicher Gerichte als unbefugte Einmischung von außen - angedroht, die brasilianische Nationalmannschaft von der nächsten Weltmeisterschaft auszuschließen.

In der Not war nun der Club der 13, ein Zusammenschluss der zwanzig einflussreichsten Vereine Brasiliens, dem CBF zur Seite gesprungen und hatte angeboten, die brasilianische Meisterschaft zu organisieren. Das Ergebnis war die Copa João Havelange, ein System, in dem 116 Mannschaften auf vier hierarchisch gegliederte Ligen verteilt wurden. Gama und Botafogo blieben erstklassig, und, weil man schon mal bei der Neuorganisation war, stockte man die höchste Spielklasse auf 25 Mannschaften auf und ermöglichte so auch den beiden Traditionsclubs Fluminense und Bahia, die sich sportlich nicht hatten qualifizieren können, die Teilnahme.

Auf dem Spielfeld konnte dieses von den Funktionären vorgegebene Niveau nur selten gehalten werden. Es gab wenig mitreißende Partien, das Publikum quittierte dies mit mäßigem Interesse. Der Zuschauerschnitt fiel von über 16 000 in der letzten Saison auf gut 11 500. Mannschaften mit großen Namen wie Santos und Flamengo, die viel Geld für neue Spieler ausgegeben hatten, konnten sich nicht für die Play-offs qualifizieren.

Corinthians, im letzten Jahr brasilianischer Champion und Vereinsweltmeister, war den umgekehrten Weg gegangen, der jedoch auch zum Misserfolg führte, und hatte, den Wünschen des die wirtschaftlichen Geschicke des Vereins bestimmenden nordamerikanischen Investmentfonds HMTF folgend, fast sämtliche Stars verkauft. Es wurde von der Krise geraunt, die nicht nur die National-, sondern auch die Vereinsmannschaften heimsuche. Und so hätten denn die wenigen Glanzlichter von Palmeiras und Fluminense, zwei großen Teams, die ohne bekannte Spieler erfolgreich spielten, gesetzt werden können, wenn nicht São Caetano gewesen wäre.

São Caetano do Sul, eine Kleinstadt in der Peripherie São Paulos, die sich, glaubt man dem, was so geschrieben wird, in erster Linie durch kleinbürgerliche Tristesse auszeichnet, ist seit elf Jahren auch Heimat eines Fußballvereins, dem es bislang noch nie vergönnt war, in einer der höchsten Ligen des Landes zu spielen. Mit Spielern, die bis dato nicht von sich reden machen konnten, spielte man sich durch die zweite Liga bis in die Play-offs, wo man dann nacheinander Mannschaften wie Fluminense, Palmeiras und Grêmio schlecht aussehen ließ und schließlich bis ins Endspiel der Copa João Havelange vorstieß.

Und man spielte nicht nur erfolgreichen, sondern obendrein noch sehr attraktiven Fußball. Der Verein erzielte mit 77 Toren so viele, wie es keine andere Mannschaft in einer brasilianischen Meisterschaft geschafft hatte. Alte, verloren geglaubte Tugenden des brasilianischen Fußballs wurden im Spiel dieses Underdogs wieder entdeckt. Zudem eignete sich die Mannschaft auch hervorragend, die Geschichte vom Aufstand der Kleinen gegen die Etablierten zu erzählen. Und im Finale wartete ausgerechnet Vasco da Gama, der Club, der mit Eurico Miranda die Mensch gewordene Skrupellosigkeit zur Galionsfigur hat.

Elf Unbekannte gegen Romário und die beiden Juninhos, die drei herausragenden Individualisten der Saison. Ein Finale, das die Mittelmäßigkeit des bis dahin Gebotenen vergessen ließ.

Das Finale hielt denn auch alle in Atem, wenn auch aus Gründen, mit denen vorher niemand hatte rechnen können. Nachdem man sich in São Paulo 1:1 getrennt hatte, hielt Vasco vor dem Rückspiel am 30. Dezember auf eigenem Platz alle Trümpfe in der Hand. Es blieb dann Romário vorbehalten, eine Kette von Ereignissen auszulösen, die die Meisterschaft um drei Wochen verlängerten und dem Club der 13 die Chance boten, sich wieder in den Vordergrund zu spielen.

Romário, der einsame Superstar des brasilianischen Fußballs, solange Ronaldo noch verletzt ist, der mit seinen 34 Jahren fast nach Belieben trifft und die brasilianische Nationalmannschaft im Alleingang aus der Krise schoss, hatte sich in der 23. Minute eine leichte Muskelverletzung zugezogen, weshalb er beim Stande von 0:0 ausgewechselt werden musste. Im Fanblock von Vasco - Fans von São Caetano waren ohnehin nicht im Stadion, weil Eurico Miranda es für überflüssig befunden hatte, ihnen Tickets zukommen zu lassen - kam es daraufhin zum Streit darüber, ob diese Auswechslung nötig gewesen sei. In dem Handgemenge verloren einige Fans den Halt, stürzten und brachten wieder andere zum Sturz. Der Masse der die Ränge hinabstürzenden Fans konnte ein Absperrgitter nicht standhalten. Insgesamt trugen mehr als 200 Menschen Verletzungen davon.

Während Miranda noch über das Spielfeld lief und versuchte, die Verletzten zum Verlassen desselben zu bewegen, damit das Finale endlich weitergehen könne, ließ schließlich Anthony Garotinho, der Gouverneur von Rio, die Anweisung ergehen, dass das Spiel abzubrechen sei. Dies bewog nun Miranda dazu, seinen Spielern zu befehlen, sicherheitshalber schon mal mit dem Pokal eine Ehrenrunde auf dem Rasen zu drehen, auf dem eben noch den Verletzten erste Hilfe geleistet worden war.

Die Konfusion war auf dem Höhepunkt. Was bedeutete das alles für die Entscheidung der Meisterschaft? Es kursierten verschiedene Gerüchte. Man könne ja den Titel einfach teilen, womit aber keiner so richtig zufrieden wäre. Einem neuen Spiel stand entgegen, dass ab dem ersten Januar viele Spieler keine gültigen Verträge mehr hatten und alle sich in den Ferien befanden. Außerdem war das Fernsehen dagegen. Dem Reglement zufolge hätte man auch São Caetano den Titel zusprechen können, wenn man Vasco als Gastgeber für den Unfall verantwortlich gemacht hätte. Aber São Caetano war doch ein bisschen zu unbedeutend, um das Reglement für sich in Anspruch zu nehmen.

Die 13 Weisen haben dann schließlich gesprochen, man solle allen Hindernissen zum Trotz noch einmal am 18. Januar spielen. Und, klar, wie hätte es anders sein sollen, Goliath gewann mit 3:1.