Hartwig Berger, Abgeordneter der Berliner Grünen und Castor-Gegner

»Die wenigsten Leute sind Masochisten«

Der erste Atomtransport unter Rot-Grün steht bevor: Ende März sollen sechs Castoren aus der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im französischen La Hague zur Lagerung ins niedersächsische Gorleben rollen. Über die Frage, ob die Transporte akzeptiert, kritisiert oder blockiert werden sollen, ist seit letzter Woche ein heftiger Streit bei den Grünen ausgebrochen. Während der Parteirat lediglich Demonstrationen unterstützt, rufen einige Landesverbände weiter zu Blockaden auf. Hartwig Berger sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Wollen Sie zuerst noch eine Jugendsünde beichten oder einem politischen Ideal abschwören, bevor wir mit dem eigentlichen Gespräch beginnen? Wann haben Sie denn Ihren letzten Stein geschmissen?

Ich habe immer zu den Gewaltfreien gehört, deshalb kann ich auch nichts beichten, sondern werde mich guten Gewissens weiter an Sitzblockaden beteiligen.

Es ist doch gerade die Zeit der großen Bekenntnisse bei den Grünen. Haben Sie gar nichts zu enthüllen, und sei es nur, dass Sie früher mal gekifft haben?

Ich wüsste nicht, weshalb der Konsum von psychedelischen Drogen heutzutage noch eine Enthüllung sein sollte. Da ist das Bekenntnis ja fast spießbürgerlicher als das Eingeständnis, es nicht getan zu haben.

Zurück zur Gewalt: Fängt die für Sie schon bei der Blockade von Schienen und Wegstrecken an, wie es Äußerungen der designierten Parteivorsitzenden Claudia Roth vermuten lassen?

Selbstverständlich nicht. Bei der Blockade von Wegen handelt es sich um eine gewaltfreie Aktion - auch wenn die, die sich daran beteiligen, das Risiko eingehen, es mit Wasserwerfern oder Schlagstöcken zu tun zu bekommen. Deshalb sage ich: Wenn es im März in Gorleben Gewalt geben sollte, dann geht sie von der Polizei aus.

Atomkraftgegner haben immer wieder versucht, die Castor-Transporte effektiver als nur mit Sitzstreiks zu bekämpfen. Was sagen Sie, wenn im Wendland Steine fliegen?

Das halte ich für unklug und falsch, auch wenn ich die Leute dafür nicht verurteilen würde. Kontraproduktiv ist es dennoch, weil sie dadurch ein gewalttätiges Einschreiten der Polizei provozieren. Den staatlichen Kräften wird es so einfach gemacht, die Transporte durchzusetzen.

Ziel der Anti-AKW-Bewegung war es immer, den politischen Preis für die Transporte in die Höhe zu treiben. Nur mit Sitzstreiks, ohne die Präsenz der Militanten, wäre es aber nie zu den extrem kostenaufwendigen Einsätzen der Polizei in Gorleben oder Ahaus gekommen.

Das sehe ich anders. Je weniger Militanz es gibt, um so größer ist die Bereitschaft gerade von jungen Leuten, an den Protesten teilzunehmen. Die wenigsten Leute sind Masochisten, die sich dafür verprügeln lassen wollen, dass sie an gewaltfreien Sitzblockaden teilnehmen. Deshalb ist die direkte Gewalt nicht sinnvoll gegen Castor-Transporte. Sie wirkt geradezu steinzeitlich ...

... das liegt in der Natur der Sache.

Steinzeitlich in dem Sinne, dass man eine Hochrisikotechnologie nicht durch das Werfen von Steinen bekämpfen kann, sondern nur durch den vollen Einsatz von Körper, Geist und Seele.

Das heißt, Sie ziehen eine Trennlinie zwischen guten gewaltfreien und bösen militanten AKW-Gegnern?

Das ist keine Frage von gut und böse, sondern eine von richtig oder falsch, von intelligent oder eher dumm. Es muss doch jeder wissen, dass der wirkungsvollste Einsatz gegen Castor-Transporte gewaltfrei bleiben muss.

Da würde selbst Umweltminister Trittin nicht widersprechen.

Anders als Jürgen Trittin teile ich aber das Anliegen des Protests. Denn erstens richtet er sich gegen die schleichende Errichtung eines Endlagers an einem Ort, der dafür völlig ungeeignet ist. Und zweitens wird mit den Transporten aus La Hague die Voraussetzung dafür geschaffen, neuen Atommüll aus deutschen AKW in die französische Wiederaufbereitungsanlage zu schicken - was angesichts der gravierenden gesundheitlichen und ökologischen Wirkungen ein Umweltverbrechen darstellt. Außerdem sind die Grünen nicht für den Entsorgungsnotstand der deutschen Atomindustrie verantwortlich.

Ein grüner Parteitag hat dem von Trittin ausgehandelten Atomkonsens letztes Jahr seine Zustimmung erteilt.

Ich habe gegen den Beschluss gestimmt und sehe meine Aufgabe auch weiterhin darin, für einen schnellen Ausstieg aus dieser Todestechnologie zu werben.

Und da glauben Sie, bei den Grünen in der richtigen Partei zu sein?

Ich sehe keine andere politische Kraft in Deutschland, die auf der parlamentarischen Ebene ernsthaft Kritik an der Atomwirtschaft betreibt.

Das machen die Grünen spätestens seit dem Parteitagsbeschluss von Münster im letzten Sommer auch nicht mehr.

Die Grünen sind in dieser Frage nicht einheitlich. Und die Regierungsgrünen irren, wenn sie meinen, durch den Atomkonsens den Ausstieg aus der Atomwirtschaft zu beschleunigen. Deshalb bin ich weiter dafür, einen an Sicherheit und Entsorgung orientierten Konfliktkurs gegenüber der Atomwirtschaft zu fahren.

Das Verfahren erinnert an die vergeblichen Versuche grüner Kriegsgegner, den Krieg aus der Partei heraus zu verhindern. Warum machen Sie trotzdem bei den Grünen weiter?

In historischen Prozessen ist das endgültige Urteil selten gesprochen. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Grünen die einzige parlamentarische Kraft sind, die für eine konsequente Umweltpolitik steht. Auch die Migrations- und Flüchtlingspolitik sähe ohne uns anders aus. Und auch wenn ich den Atomkonsens für einen Scheinkonsens halte, hoffe ich, dass durch die Proteste die alten Gegensätze zwischen Grünen und Atomindustrie wieder aufbrechen. So könnte eine Mehrheit innerhalb der Grünen zu einer Konfltiktstrategie zurückfinden.

Sie haben sich als Gewaltfreier bezeichnet, sind aber trotz des Jugoslawien-Krieges in der Partei geblieben.

Ich habe ja nicht gesagt, dass ich ein konsequenter Pazifist bin, sondern dass ich für die Gewaltfreiheit von Aktionen eintrete. Das ist ein Unterschied.

Die Bundesrepublik hat im Rahmen des Nato-Krieges 1999 Jugoslawien bombardiert. Welche Art von Aktion war das?

Die Nato-Angriffe hatten das unmittelbare Ziel, die Ausweitung eines Konfliktes zu einem regionalen Krieg zu verhindern. Der Verfolgung der Kosovo-Albaner sollte damit ein Ende gesetzt werden. Ich gebe zu, dass man sich darüber streiten kann, ob dieses Ziel erreicht worden ist. Ich weise allerdings den Vorwurf zurück, der Beitrag von Außenminister Fischer habe darin bestanden, diesen Krieg zu eröffnen oder gar zu verschärfen. Immerhin hat er während des Krieges mit Erfolg versucht, einen diplomatischen Ausweg zu suchen.

Das beantwortet nicht die Frage nach der Rolle der Grünen. Zum ersten Mal seit 1945 hat Deutschland wieder Krieg geführt, und die grüne Partei wurde durch ihre Zustimmung selbst zur Kriegspartei.

Das bestreite ich ja gar nicht.

Neben den grünen Versuchen, ein Ende der Bombardements per Resolution zu erreichen, gab es auch handfestere Aktionen, die Kriegsführenden - zumindest symbolisch - zu behindern. Was halten Sie von dem Farbbeutelwurf auf Fischer?

Richtig war das nicht, trotzdem kann ich es aus der Sicht der Werferin nachvollziehen. Anders als Fischer hätte ich den Vorfall nie zum Thema einer Strafverfolgung gemacht.

Dann müssten Sie doch auch verstehen, dass Leute, die den Castor wirklich stoppen wollen, mit Steinen auf die Transporter werfen?

Ich habe doch bereits gesagt, dass ich das für falsch halte. Ein breiter Widerstand von Zehntausenden wird nie zustande kommen, wenn Leute mit Gewalt gegen die Transporte vorgehen.