»Der (im-)perfekte Mensch«

Die Erfindung des Normalen

Die Dresdner Ausstellung »Der (im-)perfekte Mensch« plädiert für das Recht auf Unvollkommenheit.

Wollte man sich auf die Suche nach dem verbindenden Element der Ausstellung »Der (im-)perfekte Mensch. Das Recht auf Unvollkommenheit« begeben, so könnte dies die Dichotomie von Licht und Dunkelheit sein. Licht und Dunkelheit begegnen uns hier als Gestaltungselemente und als Leitmotive, sie dienen der Affirmation und dem Widerspruch zur Rationalität des Normierten. Sie sollen klärend wirken und analytisch. Die Exponate, die Bilder, die Texte und die Bauten, die wir im Licht sehen, werfen Schatten.

Dieses Prinzip begegnet dem Besucher in mindestens vier Ausstellungbereichen, durch die der Weg des Betrachters führt, und es macht zugleich die Stärken und Schwächen der Gesamtkonzeption deutlich. Die Lichtmetaphorik der Aufklärung wird hier verwendet, um die Korrelation von Vollkommenheit und Unvollkommenheit darzustellen. Die Ausstellung erzählt davon, dass das philosophische Projekt der Aufklärung, die Erhellung des Rationalen, eine Fiktion ist - man sieht nur, was man auch sehen will -, und sie handelt davon, dass es im Extremfall in Verblendung, der Unfähigkeit zu sehen, enden muss.

»Zweifellos ist diese Ausstellung selbst ein Medium. Allerdings eines, das selbstreflexiv mediale Wirklichkeitsvermittlung zum Thema macht. Indem sie über die gegenwärtig bestehenden Grenzen von normal und anormal, perfekt und (im-)perfekt nachdenkt, soll diese Ausstellung Wege und Möglichkeiten öffnen, jene Grenzen zu verrücken und (gelegentlich) ganz außer Kraft zu setzen«, schreiben Klaus Vogel, der Direktor des Deutschen Hygienemuseums, und die Ausstellungsleiterin Gisela Staupe im Vorwort zum Katalog.

Dieter Stolte, ZDF-Intendant und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Behindertenhilfe - Aktion Mensch e.V., die die Ausstellung initiiert hat, schreibt im Vorwort: »Indem die Ausstellung Ursachen und Folgen eines weiterhin steigenden gesellschaftlichen Normierungsdrucks anschaulich macht, schärft sie den Blick für eben diesen Druck, dem heutzutage nahezu jeder ausgesetzt ist.«

Pars pro toto, der Umgang mit Behinderten wird zum Testfall für die allgemeinen Lebensbedingungen: Die Umbenennung der Aktion Sorgenkind in Aktion Mensch mag hier Bände sprechen. So wie die Umbennung wie eine dramatische Selbstbehauptung wirkt - bloß weil man nicht alle Tassen im Schrank hat, muss einem nicht gleich das Menschsein abgesprochen werden -, so scheint die Dresdner Ausstellung verzweifelt das Menschsein für ihre Protagonisten reklamieren zu müssen, weil mühsam erarbeitete zivilisatorische Standards heute gefährdet scheinen. Das Sorgenkind erwähnen wir lieber nicht mehr. Zwangsläufig geht man in Dresden mit Sorgen durch die Ausstellung.

Trotz der für das Dresdner Museum typischen, manchmal sehr deutlichen Ausstellungspädagogik schwebt über allem die Drohung einer düsteren Zukunft, düsterer als vielleicht zu den Zeiten, als Kriegsversehrte in Deutschland zum Straßenbild gehörten. Ob und wie normal, so könnte man den Leitgedanken der Ausstellung formulieren, das Leben der Unnormalen im Vorzeigeland der Normalität sein kann - das ist der Gradmesser für den politischen Zustand.

Die Idee der Vollkommenheit soll hier einer grundlegenden Kritik unterzogen werden, und auch die über einem Wohngebiet gezündete Atombombe ist im Sinne der Ausstellung genaugenommen ein Beispiel für Perfektion. Der Traum vom vollkommenen Wesen gehöre in die Kirche oder in den Comic. Folglich begrüßt Superman die Besucher am Eingangsportal, einem Ensemble aus den sieben modernen Altären »Schönheit«, »Gesundheit«, »Leistungsfähigkeit«, »Autonomie«, »Rationalität«, »Perfektion« und »Genussfähigkeit«. Der Rundgang ist behindertengerecht ausgestattet, Erklärungen hängen in einer Langfassung, in einer leicht verständlichen Kurzversion und in Blindenschrift aus.

Das Ausstellen von Menschen mit Behinderungen hat Tradition, besuchte man doch im 18. Jahrhundert die Irrenanstalten der Städte quasi aus Sensationslust und oft genug mit wollüstigem Schaudern. Der Kleinwüchsige wurde zum Zwecke der Belustigung als Hofnarr eingesetzt, die Nazis begründeten ihre Gräueltaten u.a. mit Bildern von angeblichen Geisteskranken.

Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war anhand von Bildern des Behinderten die besondere Bedeutung einer »Rassehygiene« für die Allgemeinheit dargestellt worden, auch in einer Ausstellung des Deutschen Hygienemuseums Dresden 1911.

Wer sich mit dem »Behindertsein« und »Behindertwerden« auseinandersetze, komme nicht umhin, sich mit den Begriffen von »Normalität« zu beschäftigen, mit den Voraussetzungen unserer Wahrnehmung und mit unserer Geschichte, schreibt Stolte im Vorwort des Katalogs. Und eben dies solle die Ausstellung leisten.

Generell zeichnen sich die Ausstellungen des Hygienemuseums Dresden durch schlüssige Konzeptionen aus, die der Anschauung und der Interpretation des Besuchers Platz lassen. So geht es auch in dieser Exposition nicht darum, historische Gegenstände in wirkungsvollen Vitrinen zu präsentieren, sondern vielmehr darum, den Wandel von Wertvorstellungen, kulturellen Dichotomien und Sichtweisen darzustellen. So wie Superman auf den Zusammenhang zwischen normal und unnormal verweist, so bekommt das des Gehens mächtige Publikum zunächst die Gehhilfe als Denkhilfe.

In die Ausstellung bewegt man sich über eine kurvige Rollstuhlauffahrt, in deren Boden Schaukästen eingelassen sind. Man findet dort Werkzeuge, Schutzhelme, Handschuhe, Parfümflakons und andere Hilfmittel, die zur Perfektionierung des Körpers benutzt werden. Das Normale, heißt das, will auch ergänzt werden. Nicht nur hier gibt es viel Platz zum Sitzen, denn der normale Mensch wird schnell müde.

Schwarz begegnet dem Betrachter hier zum ersten Mal. Eine Gruppe Stoffschafe steht dort, eines ist schwarz. »Im Grunde bin ich ein einsamer Wolf, aber ich liebe nun mal Gesellschaft«, lässt eine aus Neonleuchten geformte Sprechblase wissen.

Ein schwarzer Tunnel schließt sich an; hier werden die Wörter »Perfekt« und »(Im-)perfekt« ebenfalls in Leuchtbuchstaben gegenübergestellt. Dunkelheit begegnet uns noch zweimal auf unangenehme Weise. Im nächsten Raum, wo u.a. ein sehr effektvoller Labyrinthgarten angelegt ist, in dem man die Zeichen der Gebärdensprache in Form von Gipshänden betrachten kann. Hier ist der »Erlebnispark«. Auf Videoschirmen kommunizieren Menschen mit je verschiedenen Graden der Behinderung den Satz »Hast du noch alle Tassen im Schrank?« Hier steht auch ein zwischen schwarzen Wänden eingezwängter Rollstuhl, in den man sich gerade noch so hineinzwängen kann. Der Raum wird von Zeit zu Zeit vollständig abgedunkelt, um dem sehenden Besucher die Möglichkeit zu geben, sich wie ein Blinder zu fühlen. Ein Übergang bildet das Ensemble »Blicke«: Unter Titeln wie »Der vernichtende Blick« oder »Der bewundernde Blick« erlauben in die Wand eingelassene Fenster die Sicht auf Bilder von Behinderten in verschiedenen historischen Kontexten.

Schwarz gekachelte Steinnischen im nächsten Raum beherbergen die Exponate, die das nationalsozialistische Euthanasieprogramm, dem an die 400 000 Menschen zum Opfer fielen, dokumentieren sollen. Der ansonsten weiß gekachelte Raum widmet sich der Geschichte des Lebens von Kranken in Heimen und zeigt medizinische Geräte, die der Ruhigstellung der Insassen dienten.

Der letzte Raum hat das Motto »Die Lichtung«. Über Kopfhörer kann man Statements von prominenten Figuren wie dem Bioethiker Peter Singer und dem Theaterregisseur Christoph Schlingensief hören; auf Video berichten Menschen von ihren Behinderungen. Behindert ist man nicht, behindert wird man, so der Tenor.

Dass eine Ausstellung, die das Leben der Behinderten in Deutschland zeigt, nicht ohne die Metaphorik von Licht und Dunkelheit, Schwarz und Weiß auskommt, wirkt da wie ein Widerspruch, geht diese Dichotomie doch auf eine visuelle Erfahrung zurück, die der Blinde gar nicht machen kann. Doch mag »Der (im-)perfekte Körper« auch dort, wo es auf das Sehen oder Nichtsehen ankommt, ins Oberflächliche oder gar Kitschige tendieren, so sind daran doch auch die Grenzen des Darstellbaren abzulesen: Wie sollte man das »dunkle« Kapitel deutscher Geschichte auch zeigen, wenn nicht in Schwarz? Die meisten Ausstellungen thematisieren den Holocaust auf diese Weise. Er wird monolithisch, ohne Vorgeschichte, dort abgedunkelt, wo er gerade erhellt werden könnte. Mal als Graphitblock (Haus der Geschichte), mal eingeschlossen im Kubus (Deutsches Historisches Museum) oder in schwarzen Tüchern - in der Dresdner Ausstellung nun verbergen sich die Dokumente und Sterbebücher aus den Anstalten schlecht einsehbar hinter schwarzen Kacheln.

Skizziert wird hier u.a. die Aktion »T4«, das nach der Postadresse der Berliner »Euthanasie«-Zentrale benannte Vernichtungsprogramm der Anstalt Hadamar. Die Geschichte von Selektion und Ermordung und deren theoretische Begründung wird auch über Täterbiografien erzählt. Das Foto »Karneval im Institut für erbbiologische Forschung in Bonn 1937«, das die Ordinarien bei einer ausgelassenen Feier zeigt, macht den Unterschied zwischen normal und unnormal auf seine Weise deutlich. Die abgebildeten ganz »normalen« Professoren waren Gutachter der »Euthanasie« und konnten mit Rückendeckung der Öffentlichkeit nach dem Krieg ihrer Karriere nachgehen.

Offiziell wurde die Aktion »T4« zwar 1941 eingestellt. Aber lediglich die Orte der Vernichtung und die Praktiken änderten sich. Die Bevölkerung hatte beunruhigt reagiert, sie befürchtete die Einbeziehung versehrter Weltkriegsveteranen in das Tötungsprogramm. Davon berichten die beiden Sterbebücher aus der sächsischen Landesanstalt Großschweidnitz.

»Die nationalsozialistische Politik konnte, was den Zugriff auf die Körper der ðAbnormenÐ betraf, eine Tradition fortsetzen«, vermerkt das Autorenkollektiv des Katalogs, »Verwahrung in der Anstalt, Ruhigstellen durch die Methoden der Psychiatrie, Zurechtbiegen durch die Orthopädie. Am Ende stand die Vernichtung. Die Produktion von Normkörpern wurde durch die ðHerstellung toter KörperÐ ergänzt.«

Mag die Licht-und-Schatten-Metaphorik hier an ihre Grenzen gelangen; an anderer Stelle sind sich die Ausstellungsmacher dieser Grenzen sehr wohl bewusst und thematisieren sie zudem genau. Am besten trifft wohl die Abteilung »Mauern« die Idee der Ausstellung, das Interesse auf die Wandelbarkeit der Vorstellung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit zu lenken. Sehschlitze in der Mauer erlauben zehn verschiedene »Blicke« auf das Nicht-Normale. Auf der einen Seite finden sich Sichtweisen, die die Behinderten zu Objekten machen, die es auszustellen, zu bewundern, medizinisch zu klassifizieren, zu vernichten, zu bemitleiden, für eigene Zwecke zu instrumentalisieren oder ethnisch zu lokalisieren gilt; auf der anderen Seite gibt es künstlerische Wahrnehmungen und subjektive Darstellungen von Menschen mit psychischen, körperlichen und geistigen Besonderheiten. »Der mitleidige Blick«: Hier wird das Plakat »Kinderlähmung ist bitter, Schluckimpfung ist süß« gezeigt, ein anderes Motiv dieser Kampagne ist mit »Muß das sein« überschrieben; beide zeigen einen Jungen auf Krücken.

Noch deutlicher wird die Ideologie, die in dieser medizinischen Kampagne transportiert wird, in einem Film der Aktion Sorgenkind aus dem Jahr 1964, wo Gesichter behinderter Kinder gezeigt werden und es im Off heißt: »Das sind Sorgenkinder. Sie werden nie einen Platz an der Sonne finden. Ein Leben lang werden sie auf der Schattenseite des Lebens bleiben. Körperbehindert, schwachsinnig, spastisch gelähmt, blind, taub oder contergangeschädigt.« Auf einem Plakat aus dem Jahr 1936, das in Volk und Rasse erschien, heißt es: »Hier trägst du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50 000 RM.« Einen »instrumentalisierenden Blick« dokumentiert die Ausstellung anhand von Abbildungen, wo Behinderte gezielt für politische Kampagnen - zum Beispiel für oder gegen Krieg - eingesetzt wurden.

Im Beitrag »Der bewundernde Blick« geht es um eine Sichtweise, die die außergewöhnlichen Leistungen Behinderter betont. Eine Perspektive, die auch die Ausstellung manchmal einnnimmt. Marianne Buggenhagen, die mehrfache Paralympics-Gewinnerin taucht hier auf, und Franklin D. Roosevelt, der im Rollstuhl saß. Arbeiten von behinderten Künstlern sollen gerade deren besondere Affinität zur Kunst beweisen. »Kreativität steht mit Störungen menschlichen ðFunktionierensÐ in Beziehung, nicht selten zugunsten von Nichtbehinderten«, schreibt Detlef B. Linke im Katalog.

Aber der Ausstellung gelingt es immer wieder, diese Perspektive zu brechen. Da entblößt der Bergsteiger Clyde Cobb auf dem Mount Wilbur seine Prothese, als Zeichen ewiger Leistungsbereitschaft und Affirmation der Verwertungsprozesse. Auch »der autistische Held in dem Film ðRainmanÐ gewinnt nicht zuletzt die Sympathie des Betrachters dadurch, dass er trotz der Unfähigkeit, den Alltag autonom zu bewältigen, in der Lage ist, auf einen Blick die exakte Anzahl der noch vorhandenen Streichhölzer einer auf den Boden gefallenen Schachtel zu bestimmen«, schreiben die Autoren des Katalogs. Der Rekurs auf die Popkultur mag evident sein, auch hier wird viel mit Blicken und Sichtweisen gearbeitet.

Den Übergang in den letzten Raum, »Die Lichtung«, markiert wiederum ein Bild: ein Ehepaar mit seinem Kind. »Wir mussten uns mit Ärzten und Sozialarbeitern streiten, weil wir ein Kind wollten. Wir waren beide spastisch gelähmt. Deshalb sollten wir das Kind abtreiben lassen. Im sechsten Schwangerschaftsmonat sagte man uns: ðSchaffen Sie sich doch besser einen Hund an. Den Hund können Sie einschläfern lassen, wenn er ihnen zu viel wird.Ы

Ging es bisher um die Themen Leid, Pflege, Vernichtung und Emanzipation, wirft die Geschichte des Ehepaares Fragen auf, die sich aus den Versprechen der Humangenetik ergeben. Mit ihrer Hilfe könnten Behinderungen künftig abgeschafft werden, wie beispielsweise die zukunftsgläubige Getrud Höhler meint. Oder sie könnte einer Politik Vorschub leisten, die statt der Behinderungen die Behinderten abschaffen will.

Hier endet die Ausstellung; sie bezieht Position und lässt den Besucher mit der These zurück, dass es nicht um die Verbesserung von Lebensqualität, sondern vielmehr um die Vereinheitlichung von Lebensentwürfen geht. Wenn die Grundlage des Lebens eine unvollkommene ist, dann müssen die Lebensweisen diversifiziert sein. Auch hier geht es um den Blickwinkel: Insgesamt scheinen die so genannten Normalen stärker auf den medizinischen Fortschritt der Humangenetik im Sinne eines biologischen Konkurrenzausschlussprinzips zu setzen als die »Unnormalen« oder ihre Verbandsvertreter. »Behinderung«, heißt es am Eingang, »bezeichnet die Grenze, an der Verschiedenheit zu einem gesellschaftlichen Problem wird. Wie zukunftstauglich ist unsere Vorstellung von Normalität?«

»Lichtung« steht ebenso für Helligkeit wie für Kahlschlag, und dies ist das Bild einer Zukunft, in der die Bedingungen menschlichen Lebens unter Begründungszwang geraten seien, sagen die Ausstellungsmacher. Ethische Positionen werden hier gegeneinander gestellt. Die Lichtmetaphorik findet hier ihren Schlusspunkt, im diskursiven Prozess. Der Widerspruch zwischen Hell und Dunkel als aufklärerische Doktrin soll überwunden, das Gegensatzpaar normal - unnormal soll aufgehoben werden.

Es ist ein Problem, »Leben auszustellen« und erfahrbar zu gestalten; und wie das Strukturprinzip des Lichtes, so führt auch die gesamte Konzeption der Ausstellung manchmal zu einer Vereinfachung des Themas: Was man zum Beispiel tun kann, wenn man einen Alkoholkranken in der Familie hat, darum geht es weniger - es dreht sich hier um die allgemeinpolitische Debatte. Vielleicht geht es ja nicht anders.

Zu einer Ausstellung gehört ihr öffentliches Echo. Jens Bisky schreibt in der Berliner Zeitung: »Die Institutionen und Techniken, mit denen Gesunde sich durchs Leben helfen, sind für Behinderte meist nur schwer zu nutzen. Um ihnen wenigstens den Besuch der Ausstellung zu ermöglichen, wurde im Hygienemuseum eine Vielzahl von Hilfsmitteln installiert: eine Rampe in der Mitte des Eingangs, Texttafeln in ðleichter SpracheÐ für geistig Behinderte, Infoterminals mit tastbaren Plänen, taktile Bodenleitsysteme, Textführungen für Gehörlose. Die Massierung dieser Mittel zeigt, was möglich wäre, wenn man die Lebenswelt behindertenfreundlich gestalten wollte. Sie demonstriert auch, wie teuer und umständlich das wäre.«

Mag die Ausstellung des Hygienemuseums auch manchmal mit ihrer Ausstellungsästhetik hadern, hier gibt sie sehr wohl eine Antwort: Es gibt verschiedene Grade der Behinderung. In der Logik des Einwands von Bisky käme man zu dem Schluss, dass es aus Kostengründen z.B. zu verhindern wäre, dass ein Rollstuhlfahrer im Bundestag für die Verbesserung seiner Lebensverhältnisse kämpft. Dabei könnte eine Gesellschaft ihr Geld schlechter ausgeben als für Menschen mit Behinderungen, abgesehen davon läuft in dem Bereich einiges über freiwillige Spenden.

Die Ausstellungsmacher gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass die Decke der Zivilisation hierzulande sehr dünn ist. Trotzdem unterläuft ein Irrtum, und der befördert auch die Missverständnisse in der ästhetischen Anlage. Möchte man mit der Ausstellung »Der (im-)perfekte Mensch« gern ausdrücklich auf dem Recht auf Unvollkommenheit beharren, so scheint es sich aber doch noch etwas anders zu verhalten. »Die meisten Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben«, sagt der Ausstellungsteilnehmer Christian Judith, »allein schon deshalb ist die leidfreie Gesellschaft eine Illusion.« Die »Unnormalen« und ihre Angehörigen haben offensichtlich vielmehr die Pflicht zur Unvollkommenheit, damit die »Normalen« nicht durchdrehen. Wen's jetzt noch nicht betrifft, der darf im Alter diese Rolle übernehmen.

»Der (im-)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit.« Deutsches Hygienemuseum, Lingnerplatz 1, Dresden. Bis 12. August