Die 51. Berlinale

Schlangen auf der Bärenjagd

Pathos aus Vietnam, Pulp aus Finnland, Splatter aus Hongkong - Berlinale, die 51.

Mittwoch, 7. Februar, 12 Uhr mittags, Berlinale die 51. Der Potsdamer Platz bei Sonnenschein, normales Besucheraufkommen. Ich umkreise das Volksbankgebäude, in dem sich irgendwo der Counter für meine Anmeldung versteckt hat.

Auch wenn das Ganze offiziell erst heute Abend mit Jean-Jacques Annauds 180 Millionen Mark teurem Megaprojekt »Enemy at the Gates« eröffnet wird, hat für das Fußvolk der Festivalbesucher und das Heer der Filmschaffenden schon jetzt die knapp zweiwöchige Pause vom normalen Leben begonnen: das Einüben der alljährlichen Berlinale-Riten, das Anstehen nach Akkreditierungen und Karten, das große Hallo in den Schlangen und in den Cafés und - nicht zu vergessen - das Auskundschaften der besten und wichtigsten Partys. Nebenher werden schnell noch Treffen mit Redakteuren, Produzenten und potenziellen Geldgebern in die Wege geleitet, damit vielleicht schon im nächsten Jahr der eigene Film endlich auch dabei ist und sich damit Akkreditierung und eigener Stellenwert innerhalb des Festivals verbessern.

Der erste Tag ist zum Eintauchen in die die große weite Berlinalewelt am Potsdamer Platz, in der man sich praktischerweise nie wirklich aus den Augen verliert. Also zunächst einen Kaffee. In Tschibos Coffee Bar gibt es für Berlinalebesucher die Smart Card: achtmal bezahlen, neunmal trinken. Prima. Wenn bloß der Kaffee eine Spur besser wäre. Aber was soll's?

In der traditionell ersten Veranstaltung gibt es zwei Stunden lang Kurzfilme im großen Cinemaxx. Und damit leider die erste Enttäuschung. Zu gefällig wirkt das Programm, das mit zehn Filmen um die Welt führt und auch wirklich jedem Anspruch gerecht werden will, ohne dabei auch nur das Geringste zu riskieren. Einzige Ausnahme ist Toby MacDonalds Belmondo-Hommage »Je t'aime John Wayne«. Dann doch lieber auf die ersten Partys.

Donnerstag. Kopfschmerzen. Sollten nach den schlechten Kritiken in Rundfunk und Tagespresse auch Moritz de Hadeln und die Macher von »Enemy at the Gates« haben. Heute läuft im Wettbewerb Steven Soderberghs als kontroverse Auseinandersetzung mit dem Thema Drogen gehandelte Hollywoodproduktion »Traffic«. Trotz einer gelungenen Inszenierung und einer Dramaturgie, die auch einzelne Handlungsteile für sich stehen lassen kann, ohne ihnen mit ihrer Verknüpfung Gewalt anzutun, wird wenig Neues zum Thema geboten. Aber soll man das von einem Unterhaltungsfilm erwarten? Wenn nur am Ende nicht so deutlich die heile Kleinfamilie als Lösung aller Probleme in den Kinosaal zurückkehren würde.

Für andere filmische Ansätze hat die Berlinale seit 31 Jahren das Internationale Forum des Jungen Films, das der Avantgarde ebenso einen Platz einräumt wie Produktionen aus - kinematografisch gesehen - entlegenen Winkeln der Welt. Der Fokus liegt in diesem Jahr auf dem Filmland Vietnam, womit Forummacher Ulrich Gregor an die Anfänge dieser Sektion im Jahr 1971 anknüpft.

Und hier öffnet sich dann wirklich der Blick auf so noch nicht Gesehenes. Zum Beispiel »Ai Xuoi Van Ly« (»Die lange Reise«, R.: Le Hoang) und »Doi Cat« (»Auf Sand gebaut«, R.: Nguyen Thanh Van), die sich beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, mit den Nachwirkungen des Krieges auf die vietnamesische Gesellschaft auseinandersetzen. Da trotz staatlicher Förderung wenig Geld vorhanden ist - »Die lange Reise« hat 70 000 Dollar gekostet -, gestaltete sich die Produktion zu einem Abenteuer für sich, nicht zuletzt weil in Ermangelung kostengünstiger Alternativen für Kampfszenen auf echte Waffen und scharfe Munition zurückgegriffen werden musste.

»Die lange Reise« ist ein Roadmovie mit einigen witzigen Episoden, viel Heldenpathos und einem unmotivierten Happy End. Plausibler konstruiert ist das Ehedrama »Auf Sand gebaut«, über einen Kriegsheimkehrer und seine Frau, die ihm 20 Jahre die Treue gehalten hat. Auf eindrucksvolle Weise wird hier von einer Gesellschaft erzählt, in der sich die Traumata des Krieges in die Beziehungen der Menschen eingeschrieben haben.

Schrill und laut geht es zu in Olli Saarelas »Bad Luck Love«, Pulp aus Finnland im Panorama: harte Jungs, unverstandene Frauen, Drogen, Crime, Gewaltexzesse, Gefängnis, Läuterung, mehr Gewalt, Katharsis, ironische Erlösung in der piefigen Kleinfamilie. Das alles ist perfekt und macht einfach Spaß.

Berlinfilme haben weiterhin Konjunktur, wobei die Stadtkulisse zumeist die Aufgabe hat, von der Dürftigkeit des Plots abzulenken. Auch »Zoom« von Otto Alexander Jahrreis, ein auf DV gedrehter Berlinfilm, zieht sich trotz guter Darsteller (Florian Lukas, Oana Solomon) quälend dahin, ohne mehr zu erzählen als das Klischee vom Mann, der - ohne dabei über sich zu sprechen - die gefallene Frau rettet. Die ist in diesem Fall eine junge rumänische Prostituierte und ist von ihrem selbst ernannten Beschützer wenig begeistert. »Taxi Driver« auf Berlinisch.

Freitagfrüh, eine Doppelstunde Filmseminar im Forum. Adam Simons »The American Nightmare« ist eine spannende Doku über den amerikanischen Horrorfilm der sechziger und siebziger Jahre und darüber, welche Bezüge das Genre zum Protest gegen den Vietnamkrieg, zu den Studentenunruhen und zum konsumistisch-konservativen Rollback um 1978 entwickelt. Filme, lernt man hier, sind nicht dazu da, gut zu unterhalten, sie sollen auch weh tun, in die Träume eindringen und das Unbewusste mit dem realen Schrecken der Welt kurzschließen.

Nach der Vorführung entwickelt sich eine rege Diskussion um Horror, Zensur und die Macht der Bilder, und darum, was wir heute wo zu sehen bekommen und warum eigentlich fast nur Männer im Horrorgenre tätig sind. Beim Thema Frauen und Horror gehen die Meinungen auseinander. Diskutiert wird darüber, dass Frauen immer schon von filmischen Produktionsmitteln ferngehalten worden sind, und darüber, ob Frauen nicht doch ein entspannteres Verhältnis zum Körper besitzen und deshalb keine Angstbilder von sich im Bauch entwickelnden Aliens produzieren müssen.

Noch mal Berlin im Film: In Hubertus Siegerts Doku-Essay »Berlin Babylon« geht es um den Bauboom in der neuen Hauptstadt. Leider verspielt der Regisseur die Chance, den Zusammenhang von gebauter Ideologie im Herzen der Metropole und der Vernichtung des öffentlichen Raumes genauer zu untersuchen. Da können die Einstürzenden Neubauten noch soviel Krach machen. Ziemlich anstrengend und sehr blutig wird es für den Zuschauer mit dem mitteleuropäischen Blick in Johnny Tos hysterisch alberner Krankenhaus-Satire aus Hongkong mit hohem Splatter-Faktor. Titel: »Help!!!«