Schmeißfliegen über Montpellier

Gegen José Bové und andere wurden in Montpellier mehrere Strafprozesse geführt. Die Soli-Bewegung war auch da.

Ich will nicht werden, was mein Alter ist ...« Das Motto von Ton, Steine, Scherben scheint auch auf José Bové junior zuzutreffen, der populäre Anführer der linksalternativen Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne (Conf'). Denn sein Vater ist Biochemiker im Ruhestand und ehemaliger Regionaldirektor des Instituts für agronomische Forschung (Inra) in Bordeaux. Er hat einen Beitrag zur Entwicklung der Genforschung und ihrer (land-) wirtschaftlichen Anwendung geleistet, insbesondere bei der Entschlüsselung des Genoms der Bakterie xyllela fastidiosa.

Des Juniors Sache ist das nicht. Er widmet sich lieber der Zerstörung von genmanipulierten Organismen oder entsprechendem Saatgut. Beispielhaft prallten ihre unterschiedlichen Auffassungen Anfang Februar im US-Magazin Newsweek aufeinander. Bové senior wirft einen Blick auf die künftige schöne neue Welt der Gentechnologie: »In manchen afrikanischen Ländern, wo die Leute nicht genügend Geld haben, um sich Zahnpasta zu kaufen, könnten sie genmanipulierte Bananen essen, die gegen Karies vorbeugen.« Das »Verbrennen gentechnisch veränderter Kulturen« heutzutage vergleicht er mit den Hexenverbrennungen im Mittelalter. Bové junior betont dagegen, die technisch angewandte Wissenschaft könne keinesfalls gesellschaftliche (Verteilungs-) Defizite beheben.

Die entschiedene Opposition gegen Genmanipulationen in der Landwirtschaft hat dem jüngeren Bové und seinen Mitstreitern reichlich Ärger mit der Justiz gebracht. Drei Anklagen wurden in anderthalb Wochen gegen ihn und jeweils drei weitere Beschuldigte verhandelt. Die Verfahren fanden in Montpellier statt, und dort fanden sich auch die Sympathisanten ein.

Am vorletzten Donnerstag und Freitag ging es um die Zerstörung genmanipulierter Reissetzlinge. Rund 3 000 Pflanzen hatten die drei Angeklagten im Juni 1999 auf einem Forschungsfeld des Zentrums für internationale Kooperation in der agronomischen Forschung für Entwicklung (Cirad) ausgerissen - daran beteiligt waren auch einige Hundert indische Bauern, die in einer internationalen Karawane durch Europa reisten, um gegen die Praktiken des Agromultis Monsanto in ihrem Land zu protestieren.

Angeklagt in dieser Sache sind José Bové, Dominique Soullier, der Sprecher der Conf' im Bezirk von Montpellier, sowie René Riesel. Riesel, ehemaliges Mitglied der Situationistischen Internationale, war 1995 vorübergehend Generalsekretär der Confédération, kehrte ihr allerdings im März 1999 den Rücken. Wie Bové junior war Riesel ursprünglich ein städtischer Radikaler, der Anfang der siebziger Jahre aufs Land zog. Heute wirft er der Conf' vor, einem Aktivismus verfallen zu sein, bei dem die radikale Kritik der modernen Verhältnisse zu kurz komme.

Riesel selbst hängt einer von ihm selbst als »kritische antiindustrielle Strömung« bezeichneten Richtung an, die scharfen Antikapitalismus mit einer oft pauschalisierenden Industriekritik vermengt. So erklärte er Anfang Februar in einem Interview mit Libération »Auschwitz und Hiroshima« zum manifest gewordenen Ausdruck des eigentlichen Wesens der Industriegesellschaft. Überspitzt scheint seine politische Kritik an der Conf' zu sein, wenn er etwa ihre Zusammenarbeit mit dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac pauschal als Beleg dafür wertet, dass sie ein staatsgläubiges Projekt verfolge und den Bauern zum »Agenten des bürokratischen Staates« machen wolle.

Zum Beweis dient ihm in dem Libération-Interview die Behauptung, dass Attac ein »Versuch der Restaurierung der Partei der historisch Besiegten, das heißt der Anhänger des Staates« sei. Tatsächlich ist Attac ein Bündnis, das sowohl Verfechter der nationalstaatlichen Regulierung gegenüber der neoliberalen Globalisierung als auch Anhänger einer weltweiten Koordination der antikapitalistischen und staatsfernen Oppositionsbewegungen umfasst. Im übrigen ist auch die Conf' ein Bündnis, das von Sozialdemokraten und Grünen bis zu Linksradikalen in 68er-Tradition und erklärten Anarchisten reicht. José Bové gehört dabei tendenziell der anarcho-syndikalistischen Richtung an.

Diese Differenzen hinderten die Conf'-Aktivisten und Riesel jedoch nicht, gemeinsam an der Aktion gegen das Cirad-Versuchsfeld teilzunehmen und sie auch gemeinsam vor Gericht zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite der Barriere standen vorletzte Woche die Cirad-Wissenschaftler. Noch zu Beginn des Prozesses glaubten sie, leichtes Spiel mit den »populistischen Bewegungen« zu haben, die vermeintlich über keine seriösen Argumente verfügten. Das Forschungszentrums sei ein staatliches Institut und könne daher nicht mit den - Rentabilitätszwecken dienenden - privaten Einrichtungen auf eine Stufe gestellt werden. Und wenn man bei Cirad an Genmanipulationen forsche, dann deshalb, damit man der privaten Konkurrenz, aber auch den Amerikanern Paroli bieten könne. Dies angeblich nur, damit man nicht auf deren Informationen angewiesen sei.

Einige Nachfragen genügten, um in den Augen der meisten Beobachter aus den Klägern die wahren Angeklagten zu machen. Weiß Gérard Matheron, der Direktor des Zentrums, in welchem Radius sich die Pollen der genmanipulierten Pflanzen ausbreiten können? Nein, da hat er keine Ahnung. Weiß Bernard Bachelier, der Generaldirektor des Cirad, ob eine Versicherung für den Fall eines Pollenflugs und einer Bestäubung bisher nicht genetisch manipulierter Gewächse abgeschlossen worden sei? Nein, darum hat er sich nicht gekümmert.

Offiziell wird am Prinzip der Risikovermeidung festgehalten. Bei den Cirad-Kadern aber scheint vollständige Ahnungslosigkeit gegenüber den selbst produzierten Risiken zu herrschen. René Riesel schlussfolgert daraus, die einzig mögliche Art der Umsetzung dieses Prinzips der Risikovermeidung sei »diejenige, die wir praktizieren«.

Am Donnerstag vergangener Woche wurde der Berufungsprozess gegen Bové und sieben weitere Mitglieder der Conf' eröffnet, denen die - ein paar Minuten dauernde - »Freiheitsberaubung« an zwei Beratern des Agrarministers Jean Glavany zur Last gelegt wird. Die Berater waren im März 1999 in der Bezirkshauptstadt Rodez wegen der EU-Agrarpolitik zur Rede gestellt worden - in der Präfektur, die von vier Hundertschaften Bereitschaftspolizei abgeriegelt war. Von effektiver Freiheitsberaubung kann somit kaum die Rede sein.

Schließlich stand wegen der berühmt gewordenen »McDonald's-Affäre von Millau« (vgl. Jungle World, 27, 28 und 40/00) am Freitag das Revisionsverfahren gegen Bové und neun Mitangeklagte an. Alle Angeklagten hatten Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Zudem hatten 420 Personen sich selbst der Teilnahme an der McDo-Demontage bezichtigt und gefordert, neben den zehn auf der Anklagebank zu sitzen. Die Justiz hatte das jedoch abgelehnt.

Staatsanwalt Michel Legrand ist ein Scharfmacher, der in den siebziger Jahren noch als Richter am so genannten Staatssicherheitsgericht agierte, das 1981 abgeschafft wurde. In allen drei Prozessen fordert Legrand Haftstrafen ohne Bewährung für Bové als »Rädelsführer«. Folgen die Richter in den drei Fällen den Anträgen der Staatsanwaltschaft, dann wird auch die Bewährung aufgehoben, die in einer anderen Sache - wegen der Zerstörung von Genmais in Agen - gegen Bové verhängt worden war. Insgesamt drohen ihm dann 19 Monate hinter Gittern.

Die Solidarität mit Bové und den anderen Angeklagten wächst weiter. Zwischen 11 000, so die Polizei, und 20 000 Menschen, so die Veranstalter, waren am Freitag nach Montpellier gekommen, um bei strahlendem Wetter an einer Mischung aus Straßenkarneval, Techno- oder Rock-Parade und politischer Demonstration teilzunehmen. Aufgerufen hatten die Conf' und ihre Unterstützer: linke bis linksradikale Parteien, Gewerkschaften, Erwerbslosenbewegungen, Initiativen. Zwei Frauen hatten sich als traditionelles Hochzeitspaar verkleidet, um die Heirat von »öffentlicher Forschung« und »privaten Interessen der Agroindustrie« darzustellen. Auf Handzetteln wurde das Recycling kommunistischer Traditionssymbole gefordert: »Die Sichel, um die genmanipulierten Organismen abzumähen; und den Hammer, um die multinationalen Konzerne zu demolieren.« Über dem munteren Demo-Zug schwebte eine acht Meter große, aufblasbare Schmeißfliege, ein Symbol für den Ekel vor dem »Drecks- und Giftfraß« aus der profitorientierten Produktion.

Indessen wächst auch in der Landwirtschaft der Einfluss der Conf'. Bei der Neuwahl zu den Landwirtschaftskammern am 31. Januar konnte sie ihren Stimmenanteil von 20,1 Prozent (1995) auf 27 Prozent steigern.