Nach den Luftangriffen auf den Irak

Bombardieren und zuhören

Nach ihren Luftangriffen auf den Irak kündigten die USA und Großbritannien eine Änderung des Sanktionsregimes an.

Auf die Bomben folgten freundlichere Signale: Es sei »wichtig für uns, einen Konsens in der Region aufzubauen«, erklärte US-Präsident George W. Bush nach einem Treffen mit dem britischen Premierminister Tony Blair Ende letzter Woche. Bei seiner Rundreise durch den Nahen Osten werde Außenminister Colin Powell »Meinungen sammeln und zuhören«. Zuvor hatten Regierungsvertreter der USA und Großbritanniens ihre Absicht erklärt, die den Waffen- und Technologieimport betreffenden Sanktionen zu verschärfen, zugleich aber das Wirtschafts- und Handelsembargo gegen den Irak zu lockern.

Nachdem bereits eine Woche zuvor britische und US-amerikanische Flugzeuge irakische Radarstellungen und Kommandostellen südlich von Bagdad bombardiert hatten, protestierte neben jenen Staaten, die schon seit Jahren gegen die Embargopolitik opponieren, erstmals auch ein kaum verzichtbarer Verbündeter von Bush und Blair. Prinz Saud al-Feisal, Außenminister Saudi-Arabiens, erklärte Mitte letzter Woche, er empfinde »Gefühle der Verurteilung und der Besorgnis wegen der jüngsten Eskalation gegen Süd-Bagdad«. Dass er diese Gefühle ausgerechnet bei einem Staatsbesuch in Syrien entwickelte, wo er gemeinsam mit dem syrischen Außenminister Farouq al-Shara erklärte, die Irak-Frage müsse »in einer Weise, die die Sicherheit in der Region und die Souveränität und territoriale Integrität des Irak bewahrt«, gelöst werden, konnten die USA nicht ignorieren.

Von den einst 38 Alliierten der Golf-Kriegs-Koalition unterstützen nur noch Großbritannien und Kuwait die US-Politik. Die angekündigte neue Linie ist daher zunächst schlicht eine Anerkennung der Realitäten. Seit 1996, als das Food-for-Oil-Programm begrenzte Geschäfte mit dem Irak wieder erlaubte, haben die meisten arabischen Staaten Handelskontrakte abgeschlossen. Ägypten liegt mit 1,9 Milliarden Dollar Handelsvolumen an der Spitze, aber auch Saudi-Arabien ist mit immerhin 339 Millionen Dollar im Geschäft. Zudem wird über diverse Wege durch Syrien, Jordanien, den Iran und die Türkei das Embargo schon seit Jahren massiv und mittlerweile auch offen gebrochen: Syrien hat am 31. Januar ein Freihandelsabkommen mit dem Irak unterzeichnet, bereits zuvor war eine Pipeline zum syrischen Hafen Baniyas wieder eröffnet worden. Die Nebeneinnahmen des Saddam-Clans aus diesem und anderen illegalen Geschäften werden auf eine Milliarde Dollar jährlich geschätzt.

Das Food-for-Oil-Programm erlaubt den Export von zwei Millionen Barrel Öl pro Tag. Die etwa 400 000 Barrel hinzugerechnet, die der Irak nach einer Schätzung von Walid Khadduri, dem Herausgeber des Middle East Economic Survey, illegal exportiert, ist die Produktionsquote der Vorkriegszeit von 2,6 Millionen Barrel fast wieder erreicht.Auf die Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen soll die politische Rehabilitation Saddam Husseins folgen. Die Demonstration überlegener Militärmacht, die am 22. Februar mit der Bombardierung einer Luftabwehrstellung im Nordirak fortgesetzt wurde, hat diesen Druck eher noch verstärkt.

Die offizielle Begründung für die, so Bush, »Routinemission« am 16. Februar war die wachsende Bedrohung der Patrouillenflüge durch die Modernisierung der irakischen Luftabwehr. Bush beschuldigte speziell China, »Anlagen zu entwickeln, die unsere Piloten gefährden« - eine nicht überprüfbare Angabe, die von chinesischer Seite dementiert wurde. Tatsächlich gibt es ernst zu nehmende Hinweise auf neue irakische Rüstungsanstrengungen - allerdings dürfte der am vergangenen Samstag veröffentlichte Bericht des BND, dem zufolge irakische Mittelstreckenraketen im Jahre 2005 Europa erreichen können, eher dazu dienen, die Debatte um ein eigenständiges EU-Raketenabwehrsystem voranzutreiben.

Dass Saddam Hussein derzeit wieder aggressiver auftreten kann, ist Folge der US-Politik, die das irakische Regime konservierte und bei der Durchsetzung des Embargos ihren weltpolitischen Einfluss überschätzte. Diese Politik soll mit einer Strategie der Eindämmung den Irak schwächen, aber nicht zu einem Sturz des Regimes führen, solange kein zuverlässiger Ersatzkandidat für Saddam Hussein in Sicht ist. 1991 hatte die Kriegskoalition die irakischen Elitetruppen bei der Bombardierung verschont und es dem Regime gestattet, Kampfhubschrauber bei der Bekämpfung des Aufstandes zu benutzen, der nach der Niederlage ausgebrochen war. Ein Zusammenbruch des Regimes hätte entweder zu einem Zerfall des Landes oder einer Demokratisierung geführt - in beiden Fällen wäre die Stabilität der Nachbarstaaten gefährdet gewesen. Die US-Regierung setzte auf einen kontrollierten Machtwechsel durch einen Militärputsch. Doch diese Pläne scheiterten am straff organisierten Repressionapparat des Regimes, und 1996 vertrieben irakische Truppen die CIA und den Oppositionsverband Irakischer Nationalkongress (INC) aus der Autonomieregion.

Einzelne US-Politiker und Publizisten hatten immer wieder den Aufbau einer Guerillaarmee befürwortet, um das irakische Regime zu stürzen. Derzeit hoffen INC-Vertreter auf eine ernsthafte Unterstützung, da Bushs neuer Veteidigungsminister Donald Rumsfeld zu den Initiatoren des Iraq Liberation Act gehörte, den der US-Kongress 1998 verabschiedete. 98 Millionen Dollar sollten an irakische Oppositionsgruppen fließen - doch das Geld wurde bisher nicht ausgezahlt. Im September 2000 waren dann vier Millionen Dollar für den Aufbau oppositioneller Medien und Aufklärungsmissionen im Irak bereitgestellt worden. Teil dieses Hilfsprogramms ist eine paramilitärische Ausbildung für einige INC-Mitglieder bei der von Ex-Geheimdienstlern betriebenen Guidry Group. Das fünftägige, 98 000 Dollar teure Seminar, »ist wichtig, weil wir das erste Mal militärisches Training erhalten, das von der Regierung der Vereinigten Staaten finanziert wird«, so Francis Brooke, ein US-Berater des INC. Ein Vertreter des Außenministerium dagegen bezeichnete das Programm als »rein schützend und defensiv«.

Obwohl der Irak für die US-Politik derzeit wieder größere Priorität hat, dürften die Hoffnungen des INC vergebens auch diesmal sein, denn an den politischen Konstellationen hat sich nichts geändert. Und auch wenn die USA sich zu einer aktiveren Unterstützung der Opposition entschließen sollten, könnte diese sich nicht allein auf den schwachen INC stützen. Die wichtigsten Oppositionsorganisationen, die Kurdische Demokratische Partei (KDP), die Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die schiitisch-islamistische Da'wa-Partei haben jedoch wegen der zehn Jahre andauernden Hinhaltetaktik wenig Vertrauen in die US-Politik.

Weitgehend ignoriert von der westlichen und arabischen Öffentlichkeit, kritisieren die irakischen Oppositionsgruppen aber auch jene, die mit der Aufhebung des Embargos auch die Beziehungen zum irakischen Regime normalisierenwollen. Das Embargo trifft auch die Autonomieregion, doch mit der Wiederherstellung der vollen Souveränität wäre auch eine Rückkehr der irakischen Truppen in dieses Gebiet verbunden. Von westlichen NGO-Delegationen und Friedensaktivisten, die zum zehnten Jahrestag des zweiten Golf-Krieges Hilfsflüge nach Bagdad begleiteten, war zu diesem Thema und zur innenpolitischen Repression bislang wenig zu hören. Diese von der Irakischen Kommunistischen Partei (ICP) als »Propagandaübung für die Diktatur« bezeichnete Kampagne orchestriert die Bemühungen jener Staaten, die aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen Saddam Hussein rehabilitieren wollen.

Einig sind sie sich mit den Befürwortern des Embargos darin, dass unkontrollierbare Entwicklungen vermieden werden müssen und eine Demokratisierung der Golfregion derzeit nicht wünschenswert ist. Während arabische Staaten und die Türkei vor allem eine Destabilisierung fürchten, wollen Frankreich, Russland und China das politische Monopol der USA und Großbritanniens über die ölreiche Golfregion brechen. Frankreich und Russland, einst enge Verbündete des Irak, hoffen zudem auf die Bezahlung alter irakischer Schulden in Milliardenhöhe und auf neue Geschäfte. China, das sich als aufsteigende Weltmacht betrachtet, sieht im Irak-Konflikt ein geeignetes Feld, seinen Einfluss in der internationalen Politik zu verstärken.

Die Konkurrenz zwischen Frankreich und Großbritannien hat bisher eine gemeinsame EU-Politik in der Irak-Frage verhindert. Deutschland nimmt eine bequeme Mittelposition ein und kümmert sich umso intensiver um die Beziehungen zum Iran. Interesse an der Wiederaufnahme der einst lukrativen Geschäfte mit dem Irak dürfte aber auch bei deutschen Konzernen vorhanden sein.