Der Undank der Befreiten

Das Nato-Protektorat im Kosovo droht zu scheitern.

Mit Appellen und Ermahnungen versuchen Nato-Offizielle und westliche Politiker, die angespannte Situation im Grenzdreieck zwischen Serbien, Kosovo und Mazedonien zu entschärfen. Dabei verkehren sich die gewohnten Frontstellungen. »Wir verurteilen die Gewalt von Extremisten, welche die Stabilität von Mazedonien, Kosovo und der ganzen Region unterminieren wollen«, wendet sich der US-Regierungssprecher Richard Boucher genervt an die albanischen Separatistenorganisationen. Diese greifen seit Wochen serbische und mazedonische Sicherheitskräfte an. Lob findet der Nato-Generalsekretär George Robertson hingegen für die Besonnenheit der neuen jugoslawischen Regierung, die ihre Polizisten nicht zurückschießen lässt. Belgrad habe gelernt, dass Gewalt keine Lösung sein könne, schulmeistert Robertson. Auch sein Stellvertreter Daniel Speckhard übt sich in Beschwörungsformeln für den Frieden. »Eine militärische Antwort ist nicht der beste Mechanismus«, erklärt der Nato-Funktionär mazedonischen Regierungsvertretern und fordert sie auf, die in Mazedonien operierenden Gruppen albanischer Freischärler nicht anzugreifen.

Die hilflos wirkenden Mahnungen sowie eine hektische Reisediplomatie weisen darauf hin, dass sich das westliche Bündnis auf dem südlichen Balkan in eine äußerst diffizile Situation hineinmanövriert hat. Wer glaubte, dass mit dem Sturz von Slobodan Milosevic im vergangenen Oktober die Serie der nationalistisch motivierten Krisen und Kriege in der Region beendet sein würde, sieht sich getäuscht. Im Dreieck zwischen Kosovo, Mazedonien und Südserbien tickt eine Zeitbombe. Die Provokationen der noch bis vor kurzem vom Westen gehätschelten albanischen Nationalisten, drohen Folgen zu haben, die den Nato-Staaten erhebliche Probleme bereiten könnten.

Im Mittelpunkt des kurzfristigen Krisenmanagements steht die Befriedung der 400 Kilometer langen und fünf Kilometer breiten Pufferzone, die nach dem Ende der Nato-Bombardements im Juni 1999 an der Grenze zwischen Kosovo und Serbien geschaffen wurde. Hier dürfen dem damals zwischen der Nato und der jugoslawischen Regierung geschlossenen Abkommen zufolge weder Kfor-Truppen noch serbische Sicherheitskräfte agieren. Ausgenommen von dieser Regelung sind lediglich leicht bewaffnete serbische Polizisten. Diese Situation haben die Kämpfer des UCK-Ablegers UCPBM genutzt und sind ins Presevo-Tal am östlichen Rand des Kosovo eingedrungen. Dort beschießen sie serbische Polizisten und geben vor, Albaner vor Übergriffen serbischer Militärs schützen zu wollen.

Gleichzeitig hat auch in Mazedonien eine bewaffnete Nationale Befreiungsarmee UCK mit Angriffen auf Sicherheitskräfte in den mehrheitlich von mazedonischen Albanern bewohnten Gebieten begonnen.

Ein Viertel der zwei Millionen Mazedonier gehört der albanischen Minderheit an. In Tanusevci, im Norden Mazedoniens und nur 25 Kilometer von der Hauptstadt Skopje entfernt, haben sich Augenzeugenberichten zufolge mehrere Hundert albanische Separatisten verschanzt. Allein am vergangenen Wochenende sind dort drei mazedonische Soldaten getötet worden. Nach Angaben des ehemaligen mazedonischen Innenministers Pavle Trajanov richten albanische Untergrundkämpfer im gebirgigen Grenzgebiet zum Kosovo und zu Albanien seit Monaten Munitionsdepots und Trainingslager ein.

Da die Friedensappelle bislang nichts bewirkt haben, scheint die Nato nun bereit, einen Plan des serbischen Vize-Premierministers Nebojsa Covic zu unterstützen. Demnach sollen die UCPBM-Kämpfer im Presevo-Tal entwaffnet und ein Teil der jugoslawischen Truppen, die am Rande der Sicherheitszone aufmarschiert waren, wieder abgezogen werden. Als zweiten Schritt sieht der Plan die Bildung einer albanisch-serbischen Polizei sowie die Integration der Kosovo-Albaner in die politischen Institutionen vor. Außerdem soll die Pufferzone schrittweise verkleinert werden, um den albanischen Freischärlern die Operationsbasis zu entziehen. In Nato-Kreisen wird bereits darüber diskutiert, ob jetzt Kfor-Truppen gemeinsam mit jugoslawischen Einheiten Patrouillen bilden könnten.

Der Nato-Sondergesandte Peter Feith gab sich Ende vergangener Woche nach seinen Treffen mit Vertretern der UCPBM sowie mit Covic der Presse gegenüber optimistisch. Tatsächlich kann die Krise mit der Annahme des Covic-Plans jedoch nicht als überwunden gelten. Denn die UCPBM-Kommandanten im Presevo-Gebiet verlangen eine politisch-territoriale Autonomie für das Tal, die der Plan ausdrücklich nicht vorsieht. In der Kosovo-Hauptstadt Pristina sprachen sich zudem sowohl Hasim Thaqi von der UCK-Nachfolgepartei PDK als auch Ibrahim Rugova von der gemäßigten LDK gegen die Pläne der Nato zur Verkleinerung der Pufferzone aus.

Das eigentliche Problem scheint aber nicht der Streit um den Covic-Plan zu sein, sondern schlicht darin zu bestehen, dass die albanischen Separatistenorganisationen und ihre Hintermänner alles, nur keine Fall eine Stabilisierung der Situation wünschen. Sowohl die Aktionen der UCPBM als auch der mazedonischen UCK folgen einer Strategie der Provokation, die sowohl den politischen Status des Kosovo als auch die Grenzziehung zwischen Kosovo, Serbien und Mazedonien in Frage stellt.

Die albanischen Nationalisten scheinen zu glauben, dass sie jetzt Druck machen müssen, wenn sie die staatliche Souveränität des nach wie vor zu Jugoslawien gehörenden Kosovo sowie den Anschluss albanischer Siedlungsgebiete in Südserbien und Mazedonien erreichen wollen. Seit dem Machtwechsel in Belgrad ist der Westen vor allem an Stablität und nicht an neuen Brandherden auf dem Balkan interessiert.

Wenn die Nato ihren Kurs beibehält, eine vollständige Unabhängigkeit des Kosovo abzulehnen, und beginnt, gemeinsame Patrouillen mit jugoslawischen Kräften im Presevo-Gebiet durchzuführen, könnten die nächsten Schüsse und Bomben albanischer Nationalisten nicht serbischen Zivilisten oder Polizisten, sondern Kfor-Soldaten gelten. Aus den 1999 von den Kosovo-Albanern begeistert empfangenen »Befreiern« würden schnell »Besatzer«, die einer feindlichen Bevölkerung gegenüberstünden, warnen Beobachter in Pristina.

Der neue US-Außenminister Colin Powell erteilte unterdessen den Spekulationen über einen Rückzug der amerikanischen Truppen vom Balkan eine Absage. Bei seinem Antrittsbesuch im Nato-Hauptquartier in Brüssel betonte er letzte Woche: »Wir sind zusammen hingegangen und wir werden zusammen herausgehen.«