Ein Fallstrick für Milosevic

Die Verhaftung des ehemaligen serbischen Geheimdienstchefs Radovan Markovic sorgt für bessere Beziehungen zwischen Den Haag und Belgrad. Zum Missfallen von Slobodan Milosevic.

Man wird ja noch träumen dürfen. »Wenn die Behörden versuchen, Milosevic zu verhaften, dann haben wir 50 000 Gewehre aus dem Kosovo zur Verfügung, um ihn zu verteidigen«, meint ein Mitglied der Bürgerwache vor der Villa des ehemaligen Präsidenten in der Ucicka-Straße 11 in Belgrad-Dedinje. Aber selbst wenn die 50 000 Gewehre tatsächlich existierten, hätten die Anhänger Milosevics mit deren sachgerechter Bedienung wohl einige Schwierigkeiten. Auf jeden der Demonstranten vor Milosevics Haus kämen rund 1 000 Gewehre, denn nur 50 Unterstützer bewachen seit Tagen das Anwesen, um den ehemaligen Präsidenten zu schützen.

Im Zentralgefängnis der Stadt, so vermutet die britische Zeitung The Independent, sei der gesamte erste Stock schon geräumt worden, um den Elder Statesman zu beherbergen. Andere Quellen setzen inzwischen schon den Termin für seine Verhaftung fest: Der 10. März soll der letzte Tag im freien Leben des Slobodan Milosevic sein. Sogar einen Rechtsbeistand soll sich der Ex-Präsident bereits organisiert haben. Der Belgrader Anwalt Toma Fila meinte, es sei ihm »ein Vergnügen, Milosevic in Den Haag zu vertreten. Was aber die ihm zur Last gelegten Verbrechen hierzulande betrifft, so glaube ich nicht, dass die Behörden etwas gegen ihn in der Hand haben.«

Naturgemäß sind diese Behörden anderer Meinung und verfolgen zwei Verdachtsmomente: einerseits die massive Plünderung der Staatskasse und andererseits etliche Attentate auf unliebsame Oppositionelle und Mitwisser. Wobei die Sache mit der Wirtschaftskriminalität eine langwierige ist. Schon vor knapp einem Monat meinte der serbische Innenminister Dusan Mihajlovic, die Ermittlungen wegen Korruption und Bereicherung auf Kosten des Staates seien abgeschlossen. Dem ist aber offenbar nicht so: Goldtransporte in die Schweiz und nach Zypern stellten sich in den vergangenen Tagen als rechtmäßig bzw. als Phantasiegebilde heraus.

Auch von den nach der Entmachtung angeblich ausgeflogenen sechs Milliarden US-Dollar fehlt jede Spur. Vielleicht weil es sie gar nicht gibt. Die Ermittlungen wegen des Kaufs eines Hauses weit unter dem Marktwert hingegen sind eher peinlich. Würde die Staatsanwaltschaft den Mann wegen dieses »Verbrechens« anklagen, hätte er nach jugoslawischem Strafrecht höchstens drei Monate Haft zu erwarten. Für die serbischen Behörden wäre das nicht unbedingt wünschenswert. Schließlich hatte Balkankoordinator Bodo Hombach auch Schwierigkeiten mit dem Hausbau. Und doch hat er es zu etwas gebracht.

Mehr versprechen die Anschuldigungen gegen Milosevic, verantwortlich für etliche Auftragsmorde in Jugoslawien zu sein. Da hat die neue Belgrader Regierung mit der Verhaftung des ehemaligen serbischen Geheimdienstchefs Radovan Markovic das richtige Signal gesetzt, denn Markovic war von den eigenartigen Unfällen und dem Verschwinden wichtiger Persönlichkeiten zumindest informiert, womöglich wesentlich daran beteiligt. Zur Last gelegt wird ihm momentan der versuchte Mord am nationalistischen Oppositionspolitiker Vuk Draskovic im Oktober 1999. Damals rammte ein Lastwagen dessen Wagenkolonne, vier seiner engsten Mitarbeiter starben.

Nicht aufgeklärt ist auch das Verschwinden des ehemaligen serbischen Präsidenten Ivan Stambolic, der im August des Vorjahres von einer Jogging-Tour nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Stambolics Frau Katarina erhebt nun schwere Vorwürfe gegen Milosevic und Markovic: »Er war ein bedingungsloser und treu ergebener Freund von Milosevic. Sie haben sich auch privat getroffen. Aber Milosevic muss nun nervös werden: Wer Markovic kennt, der weiß, dass er auch die Namen derer verraten wird, die ihm die Aufträge für politische Morde gegeben haben.« Auch der serbische Justizminister Vladan Batic ist beglückt über den Fang: »Die Verhaftung von Markovic ist der erste Schritt, und ganz oben auf der Pyramide steht Slobodan Milosevic.«

So ähnlich denkt man in Den Haag, auch wenn Markovic weder offiziell vor dem Tribunal angeklagt ist, noch seine Auslieferung verlangt wird. »Es gibt zwar auch von unserer Seite eine Untersuchung gegen Markovic, aber die soll eher dazu dienen, Milosevic zu kriegen. Für uns ist Markovic der Schlüssel zu Milosevic«, sagte Florence Hartmann, die Pressesprecherin der Chefanklägerin Carla Del Ponte, gegenüber Jungle World.

Eben wegen dieser Schlüsselrolle Markovics bahnt sich derzeit auch ein Deal zwischen Den Haag und den bislang renitenten jugoslawischen Behörden an. »Wir werden Markovic bald in Belgrad befragen können, denn langsam beginnen die Belgrader Behörden zu kooperieren«, freut sich Hartmann. Der politische Handel könnte also so aussehen: Wenn die Ermittler Markovic und andere ehemalige Freunde Milosevics befragen könnten, würde dies als Zeichen des Entgegenkommens gewertet werden und Jugoslawien nicht Gefahr laufen, internationale Finanzhilfen wegen der Verweigerung einer Zusammenarbeit zu verlieren. Für ein solches Geschäft wird es auch höchste Zeit. Denn Washington droht, die Überweisung von 100 Millionen US-Dollar an die serbische Staatskasse zu stornieren, wenn sich Belgrad nicht bis zum 31. März gezähmt zeigt.

Mindestens ebenso beglückt über die Ergreifung ist auch das neue Belgrader Establishment, denn Markovic könnte dafür sorgen, den schwelenden Streit zwischen dem Präsidenten Vojislav Kostunica und der Regierung von Premier Zoran Djindjic beizulegen. Während Präsident Kostunica bislang jede Zusammenarbeit mit Den Haag verweigerte, lässt die Belgrader Regierung Kompromissbereitschaft erkennen, denn sie fürchtet Wirtschaftssanktionen. Besonders Justizminister Vladan Batic machte in den vergangenen Wochen immer wieder das Sprachrohr für Haager Positionen: »Wir werden einen hohen Preis zahlen, wenn wir nicht bald kooperieren.« Angetan von Batics Einsicht war auch die Chefanklägerin Carla Del Ponte während ihres Besuches in Belgrad: »Er war einer derjenigen, die sehr für eine rasche Kooperation waren«, schwärmt ihre Pressesprecherin Hartmann.

Der große Krach zwischen der Regierung und dem Präsidenten aber ist nach der Verhaftung Markovics zunächst einmal aufgeschoben, denn alle beteiligten Kräfte sind vorerst befriedigt. Das Haager Tribunal begnügt sich vorläufig mit der Möglichkeit zur Befragung von Markovic und anderen Zugeständnissen der serbischen Regierung, und Milosevic könnte danach wegen vielfachen Mordes an Oppositionellen vor Gericht gestellt werden. Dass Milosevic plötzlich nicht mehr der Most-Wanted-Man ist, bestätigt auch Florence Hartmann: »Sie müssen ihre Kooperationsbereitschaft ja nicht damit beginnen, Milosevic auszuliefern. Es reicht ja, wenn wir einige Leute kriegen, die in Bosnien und Kroatien gewütet haben.« Der Stellvertreter Carla Del Pontes, Graham Blewitt, gibt der Sprecherin Recht: »Wir erwarten Herrn Milosevic vor Ende des Jahres in Den Haag.« Von Hektik und freudiger Erwartung also keine Spur mehr.

Dennoch: Langsam bewegt sich etwas zwischen Den Haag und Belgrad. Auf Vermittlung einer Nichtregierungsorganisation durften Haager Ermittler in den vergangenen Wochen erstmals auf serbischem Territorium Befragungen im Hinblick auf mögliche serbische Kriegsverbrechen in der heute kroatischen Krajina vornehmen. Im Gegenzug möchte Den Haag helfen, die Wirtschaftsverbrechen des Milosevic-Clans aufzudecken. »Wir haben eine Menge Dokumente über seine Geschäfte und stellen sie den Belgrader Behörden gerne zur Verfügung«, so Hartmann. Und in rund 14 Tagen werde das Tribunal vermutlich ein Büro in Belgrad haben. Dass Präsident Kostunica zur Eröffnungsparty erscheint, ist aber wenig wahrscheinlich.