François-Xavier Verschave, französischer Autor

»Wohlwollen ist absolute Pflicht«

Seit der Verhaftung von Jean-Christophe Mitterrand, dem Sohn des früheren Präsidenten, ist der mafiose Charakter der französischen Afrika-Politik in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt (Jungle World, 5/01). Neuen Zündstoff liefert ein Prozess: Drei afrikanische Diktatoren mit besten Verbindungen zur politischen Klasse Frankreichs klagen gegen den Autor François-Xavier Verschave wegen »Beleidigung ausländischer Staatschefs«. Verschave ist Vorsitzender der 1981 gegründeten Vereinigung Survie (Überleben). Seit 1996 gibt die Initiative eine Reihe von Dossiers Noirs (Schwarzbücher) über die französisch-afrikanischen Sonderbeziehungen heraus. Verschave ist Autor der Bücher »La Francafrique« (1998) und »Noir Silence« (April 2000).

Drei afrikanische Diktatoren haben gegen Sie geklagt: Denis Sassou-Ngessou, Staatschef von Kongo-Brazzaville, Omar Bongo, Präsident von Gabun, und Idriss Déby, Präsident des Tschad. Zuvor hatten Sie diese als Urheber massiver Menschenrechtsverletzungen und »Freunde« der französischen Hegemonialpolitik dargestellt.

Die drei Präsidenten berufen sich auf einen uralten Paragrafen des französischen Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1881, der ein Delikt ähnlich dem der Majestätsbeleidigung beinhaltet: die »Beleidigung des Staatsoberhaupts«. Französische Präsidenten haben den Paragrafen seit Jahrzehnten nicht mehr bemüht, nur ausländische Diktatoren berufen sich erfolgreich auf ihn, um kritische französische Berichterstatter verfolgen zu lassen. Das Praktische für die Kläger an diesem Straftatbestand ist, dass der Beklagte nicht die Möglichkeit hat, den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen zu erbringen, sondern automatisch verurteilt wird, wenn der beleidigende Charakter seiner Äußerungen feststeht.

Auf dieser Grundlage drohen der Solidaritätsvereinigung Survie und mir 300 000 Francs (50 000 Euro) Geldstrafe pro beleidigtem Staatschef. Hinzu kommen könnten Schadensersatzforderungen, die während des Prozesses aufgestellt werden. Am ersten Verhandlungstag hat Sassou-Ngessou einen symbolischen Franc wegen Ehrverletzung gefordert.

Wie ist es zu dem Prozess gekommen?

Die drei Präsidenten werden von dem berühmt-berüchtigten Anwalt Jacques Vergès vertreten, der in den achtziger Jahren beipielweise den SS-Mann Klaus Barbie verteidigt hat. Handfeste Indizien und Äußerungen, die mir aus der Umgebung eines der betroffenen Staatschefs zugetragen wurden, lassen vermuten, dass Vergès nach der Veröffentlichung meines neuesten Buches selbst auf die drei Präsidenten zugegangen ist.

Angesichts der öffentlichen Wirkung des Prozesses scheint es jedoch so, als ob Omar Bongo heute schon bedauert, sich überhaupt auf die Klage eingelassen zu haben. Bongo ist ein höchst gerissener Politiker, der in der Hierarchie der französisch-afrikanischen Sonderbeziehungen ganz oben steht und Druck auf große Teile der französischen politischen Klasse ausüben kann. Das zeigt auch sein jüngstes Buch »Blanc comme neige«, wo er vorsichtige Andeutungen über mögliche Enthüllungen macht.

Wie wollen Sie in dem Verfahren agieren?

Auch wenn wir als kleine Vereinigung finanziell leicht verwundbar sind, freuen wir uns als gesellschaftlich engagierte Menschen über diesen Prozess, weil er ein Forum bietet für ansonsten verschwiegene Informationen. Schon am 1. April werden wir ein Buch mit den Aussagen der 30 Prozesszeugen veröffentlichen.

Vor allem eines aber wollen wir durch den Prozess erreichen: Die alte Rede, wonach die franzöische Afrika-Politik zwar furchtbar schlimm sei, aber eben doch der - wenn auch jüngeren -Vergangenheit angehöre, muss durchbrochen werden. Die Darstellungen mancher Journalisten ähneln schon sehr denen von Jacques Chirac zur illegalen Parteienfinanzierung. 1995 sagt er, diese Vorgänge hätten vor Verabschiedung des neuen Parteiengesetzes von 1990 stattgefunden; im Jahr 2000 tönt er, solche Vorgänge habe es zwar gegeben, aber nur bis 1995 ...

Parallel zu dem Prozess gegen Sie findet das Verfahren gegen Jean-Christophe Mitterrand, den Sohn des verstorbenen Präsidenten, statt. Auch hier richtet sich die Aufmerksamkeit auf die schmutzigen Aktivitäten im Hintergrund der französisch-afrikanischen Beziehungen. Welchen Stellenwert räumen Sie diesem Prozess ein?

Das Strafverfahren gegen Mitterrand junior zeugt von einer Bewegung, die vor vier bis fünf Jahren einsetzte - bei Richtern, die der Auffassung sind, dass es mit der politischen und der Wirtschaftskriminalität nicht so weitergehen dürfe wie bisher. Einer der strategisch denkenden Köpfe dieser mutigen Richter - zu denen auch Eva Joly gehört, die maßgeblich daran beteiligt war, den Elf-Skandal aufzurollen - ist Philippe Courroye. Er war es auch, der Mitterrand am 23. Dezember festnehmen ließ.

Wer davor in Sachen französischer Afrika-Poltik ermittelte, hat irgendwann die Erfahrung gemacht, dass die Schutzmechanismen in Politik und Staatsapparat extrem stark ausgeprägt sind. So haben Richter vier Jahre lang vergeblich versucht, Arcadi Gaydamak zu belangen, den Geschäftspartner des Waffenhändlers Pierre Falcone und Verbindungsmann zur russischen Mafia. Die französischen Nachrichtendienste hielten stets ihre schützende Hand über ihn.

Was war das Ziel der Verhaftung von Mitterrand?

Die Verhaftung löste einen enormen gesellschaftlichen Skandal aus. Aus diesem Grund beschäftigen sich jetzt alle möglichen Journalisten mit der Angelegenheit, obwohl sie sich bisher überhaupt nicht mit Afrika befasst haben.

Die kleine Welt der auf afrikanische Angelegenheiten spezialisierten Journalisten ist normalerweise gut kontrollierbar. Da sie auf einem politisch streng abgeschirmten Gebiet arbeiten, ist Wohlwollen gegenüber denen, die dort ein Gewicht haben, absolute Pflicht. Denn im Regelfall kommt man anders an gar keine brauchbaren Informationen heran. Gar nicht zu reden von denen, die sich mit viel Geld oder Vergünstigungen kaufen lassen. Doch der enge Kreis der spezialisierten Berichterstatter, die in den großen Medien bisher jede wirklich kritische Berichterstattung über die französische Afrika-Politik verhindert haben, ist durch die Mitterrand-Verhaftung erweitert worden. Und plötzlich interessieren sich auch andere dafür.

Der Skandal um den Waffenhändler Falcone scheint durch Rivalitäten zwischen der Clique um Jacques Chirac und der um seinen »Parteifreund« Charles Pasqua ausgelöst worden zu sein. Wollen sich die beiden Clans nun gegenseitig zu Fall bringen?

Die Geschichte ist wesentlich komplizierter, weil es keine saubere Trennlinie zwischen den beiden Lagern gibt. Die wichtigste Frontlinie verläuft auch nicht zwischen Pasqua und Chirac, sondern zwischen denen, die ich die »Alten« nenne, und jenen, die ich als die »Modernen« bezeichnen würde.

Um den Unterschied zwischen beiden Lagern zu verdeutlichen, kann man die differierende Haltung US-amerikanischer Politiker zur Rolle der Vereinigten Staaten in Lateinamerika heranziehen. Diese Konflikte ähneln denen über die französische Dominanz in einem Großteil Afrikas. Im Laufe der achtziger Jahre haben die USA begonnen, auf die kontrollierte Ablösung einer Reihe von Militärdiktaturen durch bürgerliche Demokratien zu drängen, wie etwa in Chile. Dieser Wandel setzte ein, nachdem sie erkannt hatten, dass es andere Formen gibt, ihre Dominanz auf dem Kontinent zu sichern, die langfristig vielleicht stabiler sind. Ähnlich verlaufen die Fronten im französischen Fall. Dabei stehen die »Alten« den diversen Diktaturen nahe, und wollen sie im Prinzip aufrechterhalten. Die »Modernen« hingegen sind der Ansicht, es gebe weniger kostspielige Methoden, sich die Reichtümer Afrikas anzueignen, bei denen darüber hinaus marktwirtschaftliche Effektivität und Transparenz der Finanzflüsse besser gewährleistet werden.