Palästinensische Autonomiebehörde in Not

Aufstand ohne Geld und Basis

Yassir Arafats Strategie ist gescheitert. Auch das Gipfeltreffen der arabischen Staaten verließ er mit leeren Händen.

Wir befinden uns in einem Zustand des offenen Krieges mit Sharon«, erklärte der palästinensische Kabinettsminister Yassir Abdo Rabbo, nachdem am 1. April israelische Soldaten sechs Mitglieder der palästinensischen Force 17 verhaftet hatten. Der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon hatte diese Elitetruppe, die auch für die Sicherheit Arafats zuständig ist, nach seiner Amtsübernahme als »aktive Teilnehmer an Gewalt und Terror« bezeichnet. Bei der Verhaftungsaktion drang die israelische Armee erstmals in Gebiete ein, die der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nach Abschluss der Osloer Verträge übergeben worden waren.

Vier Tage zuvor hatten israelische Kampfhubschrauber und Kriegsschiffe Einrichtungen der PA in Ramallah und Gaza beschossen. Daraufhin drohte Ahmad Helles, der Fatah-Generalsekretär in Gaza: »Wenn sie unsere Städte und Zivilisten angreifen, ist jeder Platz in Israel ein legitimes Ziel für unsere Kämpfer und Revolutionäre.« Es war die erste Ankündigung aus den Reihen der Fatah, der stärksten Organisation in der PLO, Anschläge innerhalb Israels durchzuführen.

Die Eskalationsdrohung ist letztlich ein Zeichen politischer Schwäche, die Sharon offenbar durch verstärkten militärischen Druck ausnutzen will. Anders als während der ersten Intifada von 1987 bis 1993 ist es seit Beginn der Auseinandersetzungen im September vergangenen Jahres nicht zur Bildung von Basiskomitees gekommen, die Beteiligung an Demonstrationen blieb meist gering. Große Teile der palästinensischen Bevölkerung sind enttäuscht von den Anfängen eines palästinensischen Staates unter Arafat und sehen im Aufstand gegen die weit überlegene israelische Militärmacht keinen Sinn. »Die meisten Menschen haben das Schlachtfeld verlassen«, so der unabhängige palästinensische Anwalt Husam Khader. Zwar erreichte Arafat bei einer Umfrage im Dezember noch eine höhere Zustimmung als seine Konkurrenten, doch die Zahl der Palästinenser, die keinem Politker vertrauen, ist mittlerweile größer als die seiner Unterstützer.

In den palästinensischen Städten kommt es immer wieder zu Demonstrationen gegen willkürliche Verhaftungen und Folter. Neben der Repression wird vor allem die Korruption kritisiert. Marwan Barghuti, palästinensischer Milizenchef und politischer Konkurrent Arafats, kündigte Mitte März an, größeres Gewicht auf friedliche Demonstrationen zu legen, um weitere Kreise der Bevölkerung an der Intifada zu beteiligen. Doch trotz der relativ großen Demonstrationen zum Tag des Bodens am 30. März ist es fraglich, ob sich die Bevölkerung mobilisieren lässt, solange sich an den politischen Verhältnissen nichts ändert.

Auch Arafats Bemühungen um eine Internationalisierung des Konflikts hatten bislang wenig Erfolg. Die Staaten der EU zeigen zwar Interesse, größeren Einfluss auf die Politik im Nahen Osten zu nehmen, haben aber derzeit keinen Ansatzpunkt. Palästinensische Hoffnungen, die USA würden größeren Druck auf Israel ausüben, weil sie in der Irak-Politik die Unterstützung ihrer arabischen Verbündeten benötigen, haben sich zerschlagen. Mit ihrem Veto verhinderte die US-Regierung eine Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Entsendung einer Beobachtertruppe, und am 29. März forderte Präsident George W. Bush den »Vorsitzenden Arafat« auf, die Gewalt zu beenden; für ein Treffen mit ihm habe er leider keine Zeit.

Die USA kritisieren vor allem israelische Maßnahmen, die zu einem Zusammenbruch der PA führen könnten. Sharon hält derzeit 200 Millionen Dollar an Steuern und Zöllen zurück, die israelische Behörden nach den Bestimmungen der Osloer Verträge für die PA eingenommen haben. Da jedoch auch Israel kein Interesse an einem Zusammenbruch der PA hat, der zu einer Warlordisierung der Verhältnisse in den Autonomiegebieten führen könnte, wird Arafat von Sharon möglicherweise eher Geld bekommen als von den arabischen Staaten.

Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga, das am 27. und 28. März in der jordanischen Hauptstadt Amman stattfand, erhielt er jedenfalls kaum mehr als die obligatorische Solidaritätserklärung. Erwartungsgemäß versuchte das irakische Regime, sich als militantester Verfechter der palästinensischen Sache zu präsentieren. Die Rede Saddam Husseins, vorgelesen von seinem Vertreter Izzat Ibrahim, endete mit den Worten: »Möge Gott die Juden verdammen!« Der syrische Präsident Bashar al-Assad erklärte: »Israel ist eine rassistische Gesellschaft, sie ist sogar noch rassistischer als die Nazis.«

Bewaffnete Aktionen gegen Israel, die von syrischem Territorium ausgingen, gestattet Assad jedoch nicht. Ägypten und Jordanien, die von westlicher Finanzhilfe abhängig sind, gedenken nicht, ihre Friedensverträge mit Israel aufzukündigen. Die Golfmonarchien machen sich weiterhin mehr Sorgen über die irakische und iranische Militärmacht als über Israel und halten an den militärischen Beistandsabkommen mit den USA fest. Eine Drosselung der Ölförderung, das einzig wirksame Druckmittel der arabischen Staaten, würde nicht nur ihre Einnahmen mindern, sondern auch ihre ertragreichen Investitionen in der westlichen Wirtschaft gefährden. »Einzelne arabische Staaten«, resümiert Rami G. Khouri in der Jordan Times, »werden panarabische Positionen ehrlich unterstützen, aber nicht auf Kosten ihrer eigenen nationalen Interessen.«

So bekräftigten die arabischen Regierungen in der am 28. März verabschiedeten Erklärung von Amman nur pflichtgemäß ihre »volle Unterstützung für die palästinensischen, syrischen und libanesischen Brüder in ihrem Kampf für die Wiedergewinnung ihrer legitimen Rechte« und forderten noch einmal den Abzug Israels aus allen seit 1967 besetzten Gebieten. Womöglich haben die USA mäßigend auf sie eingewirkt. Gegen eine finanzielle Hilfe für die PA aber hätte die US-Regierung wohl nichts einzuwenden gehabt, doch die arabischen Staatschefs zeigten sich knauserig.

Im Oktober 2000 hatten sie bei einem Treffen in Kairo versprochen, die PA mit einer Milliarde Dollar zu unterstützen. Mit der Auszahlung wurde der Islamische Entwicklungsfonds betraut, und der hat, so jedenfalls die Angaben der PA, erst 60 Millionen Dollar freigegeben. In Amman erhielt Arafat nun das Versprechen, der PA würden bald 15 von bereits genehmigten 60 Millionen Dollar als Kredit zu Vorzugsbedingungen ausgezahlt. Weitere 180 Millionen sollen in den nächsten sechs Monaten folgen.

Die Befürchtung der arabischen Staatschefs, das Geld könne in den Taschen korrupter palästinensischer Politiker verschwinden, ist sicherlich nicht unbegründet. Die schleppende Auszahlung deutet aber doch darauf hin, dass die arabischen Regierungen Arafat nicht stärken wollen. Die finanzkräftigen Golfmonarchien haben seine Parteinahme für Saddam Hussein im zweiten Golfkrieg nicht vergessen. Jordanien, Syrien und der Libanon wollen Arafat kurz halten, um ihn kontrollieren zu können und um sicher zu stellen, dass er bei eventuellen neuen Verhandlungen mit Israel ihre Interessen berücksichtigt. Diese drei Staaten beherbergen die Mehrheit der etwa 3,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge, deren Rückkehr keine israelische Regierung zustimmen wird.