Die Macht des blauen Ritters

Trotz dubioser Geschäfte und rechtsextremer Partner hat Silvio Berlusconi gute Chancen, wieder italienischer Regierungschef zu werden.

Silvio Berlusconi greift wieder nach der Macht im Staat. Gegen den Kandidaten des regierenden Olivenbaum-Bündnisses, Francesco Rutelli, will er bei den Wahlen am 13. Mai das Amt des Regierungschefs erobern. In den jüngsten Umfragen liegt er trotz aller Skandale und Affären vorn. Wie konnte es dazu kommen?

Für manche Linksradikale war Berlusconi schon immer eine verzerrte Repräsentation neuer aufsteigender Schichten einer so genannten Massenintelligenz. Im Gegensatz zur parlamentarischen Linken hatte er offenbar schon früh erkannt, dass es innerhalb der kapitalistischen Eliten seines Landes zu einer Verlagerung des Schwerpunkts gekommen war. Er kam gerade rechtzeitig, um sich mit seinem 1993 gegründeten Parteiunternehmen Forza Italia als eigennütziger und charismatischer Kondottiere jenem Flügel der Bourgeoisie anzudienen, der eben im Begriff war, den alten Familien des italienischen Kapitals, den Fiat-Eignern Agnelli etwa, die Hegemonie streitig zu machen.

Den Eigentümern kleiner und mittlerer Industriebetriebe sowie all denen, die ihr Einkommen aus selbständiger Arbeit erwirtschaften, empfahl sich der Großunternehmer Berlusconi demagogisch als einer der Ihren. Er versprach, den neuen produktiven Kräften alle Wege in eine von ihnen selbst bestimmte Zukunft zu ebnen. Seine Regierung werde die bürokratischen Hinterlassenschaften aus der Zeit des fordistischen Klassenkompromisses der als Parteienherrschaft verschrienen Ersten Republik abräumen.

Aber im ersten Anlauf scheiterte das Projekt bereits nach sechs Monaten Regierungszeit am massenhaften Widerstand gegen die Rentenkürzungspolitik des Pols der Freiheiten und am Ausstieg der Lega Nord des Umberto Bossi aus der Regierungskoalition. Neben dem zuvor von Berlusconi gesellschaftsfähig gemachten Wendefaschisten Gianfranco Fini war die rassistische Lega eine der wichtigsten damaligen Verbündeten des »Cavaliere«.

Nach sieben Jahren wechselnder Mitte-links-Regierungen tritt nun das Trio von damals wieder an. Nur ist aus dem Pol mittlerweile das Haus der Freiheiten geworden. Und die Wirtschaftsliberalen von der Radikalen Partei bleiben diesmal vor der Tür. Dem Kalkül Berlusconis als unumschränkten Herrn in diesem Haus kommt dabei zugute, dass viele Linkswähler am Wahltag ihren antifaschistischen Reflex ignorieren und zu Hause bleiben dürften.

Zum einen wirkt Berlusconis Gegenkandidat Rutelli zu farblos und gefällig. Zum anderen sind die Wähler von der Gesundheits-, Bildungs-, Sozial- und Kriegspolitik der Linksdemokraten gründlich enttäuscht worden. Und in der populistischen Behandlung von Fragen der Inneren Sicherheit oder der Einwanderung gibt es zwischen den beiden Blöcken ohnehin keinen großen Unterschied.

So konnte sich Berlusconi längst schon als designierten Ministerpräsidenten sehen. Schließlich war in den Jahren der Mitte-links-Regierungen seine Macht immer weiter gewachsen. Trotz des von ihm ständig beklagten »kommunistischen Einflusses« in Regierung und Justiz gelang es seinen Holdings, finanzielle und politische Positionen in Banken und Verbänden weiter ausbauen. Das Fininvest-Imperium und dessen Führer konnten bislang noch jeder juristischen Bedrohung geschickt standhalten.

In seiner Zeit als Ministerpräsident wertete der ehemalige Sekretär des kommunistischen Jugendverbandes Massimo D'Alema zudem noch die politische Rolle des Oppositionsführers Berlusconi auf: Er berief ihn in den Zweikammerausschuss des Parlaments, um dort mit ihm über eine Verfassungsreform zu beraten, die schließlich scheiterte.

Doch in jüngster Zeit leistet sich Berlusconi einen faux pas nach dem anderen. Er wirkt, trotz großer Erfolgsaussichten, alles andere als gelassen. Er präsentiert sich als Verfolgter, dem die Anerkennung seiner selbstlosen Arbeit für das Wohl Italiens versagt werden soll. Bemerkungen über den mafiotischen Ursprung seiner Gelder, wie sie während einer Buchvorstellung bei einer Satiresendung im Staatsfernsehen Rai fielen, verträgt er nicht.

Und zu allem Überfluss behelligt er zwölf Millionen Italiener mit einer frei ins Haus gelieferten, stark geschönten biografischen Fotoromanze seiner Erfolgsgeschichte, als hätte er geahnt, dass gerade die darin ausgeblendeten dunklen Seiten jener Story seit Monaten von dem britischen Magazin The Economist recherchiert und, kurz vor der Wahl, einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert würden. Nach einer detaillierten Darstellung aller juristisch zumindest problematischen Operationen, die Berlusconis Aufstieg zu einem der reichsten Männer Italiens begleitet haben, folgert das Blatt: »Ein Mensch, gegen den u.a. wegen Geldwäsche, Beihilfe zum Mord, Beziehungen zur Mafia, Steuerhinterziehung und Bestechung von Politikern, Richtern und Finanzbeamten ermittelt wird, taugt nicht dazu, die Regierung irgendeines Landes zu leiten, schon gar nicht die einer der reichsten Demokratien der Welt.« Und: »Wie auch immer, die Wahl von Mr. Berlusconi zum Ministerpräsidenten würde einen finsteren Tag für Italiens Demokratie bedeuten.«

Darüber hinaus veröffentlichte die konservative Madrider Zeitung El Mundo belastende Dokumente, die Berlusconis Bilanzmanipulationen beim Sender Telecinco illustrieren. Seit längerem forderte der spanische Untersuchungsrichter Balthasar Garzón - der Pinochet-Ankläger ist inzwischen zu einer Art personifiziertem Gewissen des Kapitalismus geworden - erfolglos die Aufhebung der Immunität Berlusconis. El Mundo beschuldigte sogar den spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar, gleichsam als »Pate« seines politischen Freundes Berlusconi, die Weiterleitung der Anträge Garzóns nach Strasbourg verzögert zu haben.

In eine ähnliche Kerbe wie El Mundo oder der Economist schlugen nach und nach viele führende Meinungsmacher der G7-Staaten. Le Monde, Financial Times, Wallstreet Journal, Nouvel Observateur und die Süddeutsche Zeitung beschäftigten sich gleichermaßen mit der »italienischen Anomalie«.

Darin drückt sich nicht nur die Besorgnis aus, italienischen Wählern könne es egal sein, wenn jemand mit unlauteren Methoden und anrüchigen Verbündeten zum Erfolg kommt. Immerhin versammelt das Haus der Freiheiten unter seinem Dach auch Faschisten und Rassisten jeglicher Couleur. Zudem gibt es in Süditalien und Sizilien jede Menge lokaler Wahlabsprachen und Konvergenzen mit Rechtsterroristen und Mussolini-Nostalgikern, die sich um Roberto Fiores Forza Nuova oder Pino Rautis Fiamma scharen. Bestimmt sähe man bei der Einführung des Euro im Jahr 2002 ungern eine faschistoide Rechte an der Regierung eines Landes der Währungsunion.

Doch schlimmer noch als künftige Probleme mit einer weiteren Regierung in Europa mit rechtsextremistischer Beteiligung, als ein windiger Unternehmer im Amt des Ministerpräsidenten, der vermutlich seine politische Macht zur Stärkung seines bedrohten Konzerns verwenden wird, ist für die opinionmakers der Finanzmärkte wohl die erklärte Absicht Berlusconis, eine protektionistische Politik zu betreiben.

Mit der gegenwärtigen Mitte-links-Regierung und dem jetzigen Präsidenten der Banca d'Italia Antonio Fazio ist man hingegen bislang bestens ausgekommen. In den letzten Tagen leistete Fazio der amtierenden Regierung sogar unerwartete Schützenhilfe. Er bescheinigte dem Arbeitsmarkt in Italien eine Elastizität und ein Wachstum, die es - seiner Erinnerung nach - nicht einmal in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs gegeben habe.

Doch es steht zu befürchten, dass ein großer Teil der italienischen Bürger, trotz oder vielleicht gerade wegen der ausländischen Bedenken, Berlusconi und seine modernen Landsknechte von Italien voran ermächtigen wird. Was sagte der »Ritter des blauen Teleschirms« doch zuletzt auf die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen, es mit der Legalität nicht so genau zu nehmen: »Die anderen (das gegnerische Olivenbündnis) meinen, alles sei gestattet, was das Gesetz erlaubt. Uns Liberalen ist alles gestattet, was nicht ausdrücklich verboten ist.« So etwas gefällt den Leuten.