Terror auf dem Balkan

Mazedonien macht mobil

Im Konflikt zwischen albanischsprachigen Separatisten und der mazedonischen Armee scheint sich das Blatt zu wenden. Die Kritik der Europäischen Union an der Regierung in Skopje nimmt zu.

Die Noblesse zu wahren, gelingt den Außenministern der 15 EU-Staaten auch in konfliktreichen Zeiten wie diesen recht gut. Als sie sich am Wochenende im schwedischen Nyköping trafen, warnten sie die mazedonische Regierung davor, einen Krieg, der in dem Balkan-Staat längst ausgebrochen ist, auch so zu nennen. »Ein solcher Schritt würde nicht zu der von uns gewünschten Zurückhaltung passen«, formulierte der Sprecher der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft, Hans Dahlgren, recht kunstvoll.

Mit dem »Schritt« bezeichnete er die Absicht der mazedonischen Regierung, das Kriegsrecht auszurufen. Mazedoniens Ministerpräsident Ljubco Georgevski hatte am Sonntag recht simple und doch treffende Gründe dafür angeführt, ehe der außenpolitische Beauftragte der EU, Javier Solana, und der Nato-Generalsekretär George Robertson nach Skopje aufbrachen: »Wir sind einfach im Krieg. Derzeit tobt er rund um Kumanovo.«

Ende vergangener Woche waren in dem Gebiet um Kumanovo heftige Kämpfe zwischen albanischsprachigen Separatisten der Nationalen Befreiungsarmee UCK und der mazedonischen Armee ausgebrochen. Doch schon die ganze Woche zuvor hatte der Konflikt gebrodelt. Am vorletzten Sonntag töteten UCK-Kämpfer acht mazedonische Soldaten; bei den Trauerfeierlichkeiten für die Ermordeten in der Stadt Bitola im Süden des Landes kam es dann zu den befürchteten Ausschreitungen. Mazedonier plünderten rund 15 albanische Geschäfte in der Stadt, und die Polizei hielt sich nobel zurück.

Die scheinbar spontanen Aktionen gegen die albanischen Geschäfte dürften organisiert worden sein. Nach einem Bericht des Spiegel soll eine paramilitärische Truppe namens Mazedonische Revolutionäre Organisation - Todor Aleksandrow (MRO) hinter den antialbanischen Krawallen stecken.

Um die MRO ranken sich schon lange abenteuerliche Legenden. Ursprünglich soll die Organisation Ende der achtziger Jahre gegründet worden sein, um Mazedonien zur Not auch gewaltsam aus dem jugoslawischen Staatsverband zu lösen, wenn dies auf friedlichem Wege nicht gelungen wäre. Die Wiederbelebung der mythischen Gruppe zeigt deutlich, dass der mazedonischen Regierung die Kontrolle entglitten ist. Nicht nur die albanischsprachige Minderheit in Mazedonien hält sich also ihre Haus- und Hofterroristen, auch mazedonische Nationalisten scheinen nun auf gewaltsame Lösungen zu setzen. Vor einer solchen Entwicklung warnt auch das Internationale Helsinki-Komitee in einem jüngst veröffentlichten Bericht: »Im Moment bilden sich sehr schnell paramilitärische Gruppen der Mazedonier.« Dass die Polizei in Bitola nicht gegen die Plünderungen eingeschritten ist, war wohl nicht dazu angetan, das Vertrauen der albanischsprachigen Bevölkerung in den mazedonischen Staat wesentlich zu stärken.

Die Zerschlagung staatlicher Strukturen und die Einmischung paramilitärischer Kräfte auf beiden Seiten in politische Probleme erweckt weitaus größere Besorgnis als die von der EU so sehr beklagte Ausrufung des Kriegsrechts. Auch die mazedonische Regierung hat das erkannt, wie einer ihrer Sprecher am vergangenen Freitag zugeben musste: »Wir sind in einer sehr ernsten Situation, weil wir nicht wissen, wie lange wir die Beziehungen zwischen der Volksgruppe der Mazedonier und der Volksgruppe der Albaner noch kontrollieren können.«

Als im März zum ersten Mal albanischsprachige Unabhängigkeitskämpfer im Westen des Landes ihre Scharmützel mit der mazedonischen Armee ausgetragen hatten, führte das Krisenmanagement der EU auch nicht zu einer dauerhaften Lösung des Problems. Heute scheint man es in Brüssel aufgegeben zu haben. Der Balkankoordinator der EU, Bodo Hombach, meinte am vergangenen Wochenende resigniert, dass die Ursachen des Konflikts ohnehin nicht aus der Welt zu schaffen seien: »Wir können nicht verhindern, dass Terroristen die Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien überqueren.«

Dabei wäre das noch immer die wirksamste Methode, die Kämpfe zu ersticken. So heißt es in einem weiteren Bericht des Helsinki-Komitees an die Vereinten Nationen: »Der schleppende Aufbau politischer Strukturen im Kosovo ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Existenz paramilitärischer Gruppen, die unter keinerlei Kontrolle stehen. Das ist die wichtigste Quelle für die Instabilität der Region.«

Wie eng das Aufbegehren der UCK außerhalb des Kosovo mit dem Versagen der internationalen Verwaltung in der Provinz zusammenhängt, zeigt auch ein originelles Statement von Pleurat Sejdu, einem engen Mitarbeiter des früheren UCK-Kommandanten Hashim Thaci: »Die Offensive der UCPMB im Presevo-Tal hat das Ziel, einen möglichen Deal mit den Serben zu erzwingen. Die Freiheitskämpfer der UCPMB wollen einen Gebietstausch durchführen und das Presevo-Tal an das Kosovo anschließen und im Gegenzug die mehrheitlich serbisch besiedelte Region im Norden des Kosovo an Serbien abtreten.«

Inzwischen verfügt auch der mazedonische Ableger der UCK über beachtliche Ressourcen. So glaubt etwa der UCK-Kommandant mit dem Decknamen »Sokoli«, seine Organisation könne binnen 24 Stunden 18 000 Kämpfer mobilisieren. Wahrscheinlich sind die Zahlen wie gewöhnlich stark übertrieben, doch in den letzten Wochen dürften die Unabhängigkeitsbomber tatsächlich Zulauf erhalten haben. Immerhin bekommen sie jetzt auch Schützenhilfe von albanischen Politikern in Mazedonien. In der letzten Woche kritisierte Hysni Sairi, ein hochrangiger Repräsentant der eigentlich in der Regierungskoalition vertretenen Demokratischen Partei der Albaner (DPA), das Krisenmanagement der Regierung und wurde deutlich: »Ich rufe alle Albaner auf, ihre Waffen zu ergreifen und ihre Probleme so zu lösen.«

Solche Aufforderungen zum bewaffneten Kampf aus dem Munde eines Repräsentanten der Regierung sind verheerend für die politische Stabilität im Lande. Wenn selbst die DPA langsam die Geduld verliert und die terroristischen Attacken nicht mehr ganz so strikt ablehnt, könnte das zum endgültigen Zerfall Mazedoniens führen. Gleichzeitig offenbart das Statement des DPA-Mannes, wie sehr die albanischen Parteien an Vertrauen bei der eigenen Klientel verloren haben. »Es ist nur die Illusion wach gehalten worden, dass die ethnischen Konflikte beseitigt worden seien. Doch in Wirklichkeit wurde nur die persönliche Situation des DPA-Vorsitzenden Arben Xhaferi und einiger seiner Mitarbeiter verbessert. Man hat ständig daran gearbeitet, die Botschaft zu verbreiten, dass die Stimmung im Lande ohnehin fabelhaft sei«, sagt Mirjana Najcevska, die Vorsitzende des mazedonischen Helsinki-Komitees.

Wohl in diese Kategorie fällt auch das Stabilitätsabkommen, das Mazedonien vor etwas mehr als einem Monat mit der Europäischen Union geschlossen hat. Weil die mazedonische Regierung sich darin verpflichtet, die Konflikte auf friedlichem Wege zu lösen, ist ihr Handlungsspielraum jetzt entsptrechend eng. Die albanischsprachigen Terroristen haben es da einfacher. Sie mussten ihre Unterschrift unter kein derartiges Dokument setzen und können sich deshalb relativ unbeschwert in die Opferrolle bomben.

Die Empörung der EU über die Kriegserklärung der mazedonischen Regierung passt in das schon vom Kosovo-Konflikt bekannte Muster der europäischen Politik. Aus sezessionistischen Terroristen werden auf dem gesamten Balkan binnen Wochen Opfer staatlicher Repression.