Neues Grundgesetz

Bosnien rückt näher

Das neue Grundgesetz für das Kosovo stößt auf erbitterten Widerstand der Serben und der Albaner in der Provinz. Die Befugnisse der internationalen Verwaltung werden darin enorm ausgeweitet.

Der ehemalige dänische Verteidigungsminister und derzeitige UN-Verwalter für das Kosovo, Hans Häkkerup, übte sich Mitte vergangener Woche in echter Bescheidenheit. »Die UN-Verwaltung wird noch hier sein, aber wir werden einen Schritt zurücktreten«, beschrieb er die neue, dienende Rolle der internationalen Verwaltung, wenn im November das neue Rahmen-Grundgesetz für das Kosovo in Kraft treten wird.

Davon kann aber keine Rede sein. Tatsächlich wird die UN-Verwaltung im Kosovo die letzte Instanz aller politischen Entscheidungsprozesse in der serbischen Provinz bleiben. Für die Kosovo-Albaner und die Serben bedeutet die neue Verfassung gleichermaßen eine Niederlage. Für die Albaner wird es keine Unabhängigkeit und schon gar kein - von einigen wenigen noch immer erträumtes - Groß-Albanien geben. Und für die Serben wird das Kosovo zum funktionslosen territorialen Wurmfortsatz eines desintegrierten Jugoslawien.

Vor zwei Wochen begann daher Häkkerup, die Zustimmung von Serben und Albanern schon einmal vorauszusetzen. Nach Gesprächen mit dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica meinte der Kosovo-Protektor, dass die jugoslawische Staatsspitze »ohne viele Worte« ihre Zustimmung signalisiert habe und trotz einiger Einwände »das Gesetz akzeptieren wird«, wenn es erst einmal zur Anwendung gekommen ist. Auch die Kosovo-Serben würden das Gesetzeswerk »unterstützen«.

Häkkerup hat wohl übersehen, dass sich fast alle wichtigen Vertreter der Kosovo-Serben gegen die Rahmenbestimmungen über den künftigen Status der jugoslawischen Provinz ausgesprochen hatten. »Dieses Gesetz ist ein Affront für das serbische Parlament, die jugoslawische Regierung und Präsident Kostunica«, kritisierte etwa der kosovo-serbische Politiker Dusan Celic. Besonders übel stößt Celic auf, dass in dem UN-Text das Kosovo nicht mehr als Teil Serbiens oder der Bundesrepublik Jugoslawien erscheint. Eine solche Aussage aber war eine wesentliche Voraussetzung für die Zustimmung der damaligen jugoslawischen Regierung zur Uno-Resolution 1 244, die im Sommer 1999 beschlossen wurde.

Einen gewissen Optimierungsbedarf sehen auch die Kosovo-Albaner. Hashim Thaqi, ehemaliger Anführer der UCK und nunmehr Vorsitzender der kosovo-albanischen Demokratischen Partei, mäkelte, dass der vorliegende Text nicht den »Wunsch der Bevölkerung nach Unabhängigkeit des Kosovo« ausdrücke. Der offenbar hinfälligen UN-Resolution 1 244 zufolge sollte innerhalb von drei Jahren über den endgültigen Status entschieden und dabei der Wille der Bevölkerung respektiert werden.

Dieser endgültige Status wäre angesichts der so genannten ethnischen Mehrheitsverhältnisse im Kosovo zweifellos die staatliche Unabhängigkeit, die aber nach dem Inkrafttreten des UN-Entwurfs in die ferne Zukunft verschoben wird. Selbst der ansonsten um die Gunst des Westens enorm bemühte Ibrahim Rugova ist damit unzufrieden. »Wir haben einen Disput um die Frage des Referendums, trotzdem werden wir den Entwurf unterstützen«, meinte der Vorsitzende der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK).

Am 17. November werden alle Einwohner dem Häkkerup-Papier gemäß zu den Urnen gerufen und dürfen sich ihr Parlament wählen. 120 Sitze wird es haben, 20 davon sind für die serbische und andere Minderheiten reserviert. Auch einen Präsidenten wird es geben, der einen Premierminister nominieren darf. In der Regierung schließlich stehen zwei Ministerposten den Minderheiten zu.

Die Inflation von Staatsämtern in der so genannten serbischen Provinz ist einzigartig in Jugoslawien. Eigentlich sollen nach der jugoslawischen Verfassung nur Teilrepubliken - also Serbien und Montenegro - über Präsidenten, Premierminister und Regierungen verfügen. Hier besteht auch ein eklatanter Widerspruch zur Uno-Resolution 1 244, die das Kosovo noch immer als Teil Jugoslawiens betrachtet.

Überhaupt wird durch diese Verfassung die Uno-Resolution 1 244 zur Makulatur. Belgrad nämlich verliert jede Entscheidungsbefugnis über das Kosovo, weil die jugoslawische Regierung auch kein Recht besitzen wird, gegen Beschlüsse der Provinzregierung ein Veto einzulegen. Ein solches Recht wird nur noch die UN-Verwaltung oder genauer ihr Leiter Hans Häkkerup haben. Er ist auch befugt, Entscheidungen des Parlaments für ungültig zu erklären und im Notfall dieses Parlament völlig aufzulösen.

Aus Häkkerup wird ein zweiter Wolfgang Petritsch, der als Hoher Repräsentant Bosnien-Herzegowinas ähnlich weit reichende Befugnisse hat. Die internationale Verwaltung für das Kosovo tritt also nicht »einen Schritt zurück«, sondern hat sich mit dem neuen Grundgesetz erst die organisatorische und administrative Grundlage eines Protektorats nach dem Vorbild Bosnien-Herzegowinas geschaffen. Bisher gab es Probleme. Weil die Gremien fehlten, die politischen Nachfolgeorganisationen der UCK taten, was sie wollten, und noch dazu völliges administratives Chaos herrschte, blieb die UN-Administration völlig wirkungslos. Häkkerups Vorgänger Bernard Kouchner dankte schließlich entnervt ab.

Noch ein bisschen mehr Bosnien könnte es im Kosovo geben, kämen die aktuellen Rezepte des serbischen Vize-Premiers Nebojsa Covic zur Anwendung. Er schlug Ende vergangener Woche vor, das Kosovo in zwei Entitäten zu teilen. »Damit könnten die historischen Rechte der Kosovo-Serben und die ethnischen Rechte der Albaner gewahrt werden«, so Covic. Die Idee der beiden Entitäten tauchte schon einmal während des Kosovo-Krieges im Jahre 1999 auf. Damals wurde in Belgrad spekuliert, Slobodan Milosevic könnte einer Teilung des Kosovo zustimmen, wenn der hauptsächlich serbisch besiedelte Norden an Serbien abgetreten würde. Im Grunde bedeutet diese Idee noch immer das Maximum politischer Mitsprache, das die Serben im Kosovo herausholen könnten. Nach dem Entwurf von Häkkerup nämlich werden sie nur schützenswerte Statisten der neuen kosovo-albanischen Politik.

Dagegen haben die Kosovo-Albaner trotz ihrer Unzufriedenheit mit einigen Punkten des Programms allen Grund, den Plan Häkkerups zu unterstützen. Sie werden - so schätzt jedenfalls Vetton Surroj, der Herausgeber der Tageszeitung Koha Ditore - durch die Kooperation mit den UN-Behörden eine »Taiwanisierung« des Kosovo betreiben: »Die politische Szene wird sich intern konsolidieren und die Funktionsfähigkeit des Staates gewährleisten, statt an dessen internationaler Anerkennung zu arbeiten.«

Dies sei auch das Modell, das dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic nun vorschwebt. Montenegro wird völlig autark einen Staat aufbauen und ähnlich wie Taiwan auf eine internationale Anerkennung nicht mehr derart drängen, wie es dies in den vergangenen Jahren getan hat. Dabei hat Montenegro einen großen Vorteil gegenüber dem Kosovo: Es muss sich nicht von einem Häkkerup bevormunden lassen.