An den Haaren herbeigezogen

Das angebliche Comeback der RAF ist ein Comeback der Verschwörungstheorien. Für die einen hat es die RAF nie gegeben, für die anderen gibt es sie nun wieder.
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Die RAF lebt! Zumindest für die 20köpfige Sonder-Ermittlungsgruppe »AG 80/90« des Bundeskriminalamtes (BKA) und für einige Zeitungsredaktionen. Nachdem in der letzten Woche eine bescheidene neue Spur im Fall Rohwedder, die weder zu neuen Erkenntnissen noch gar zum Täter führte, in sämtlichen Medien als riesiger kriminologischer Fortschritt gefeiert worden war, behauptete am folgenden Montag der Spiegel, die Bundesanwaltschaft (BAW) gehe davon aus, dass ehemalige Mitglieder der RAF eine neue »Terrorgruppe« gegründet hätten.

Auch Bild schrieb eine »neue RAF« zur Fahndung aus: »Der linke Terror kehrt zurück.« Und Rupert Scholz (CDU), der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, mahnte bereits drastisch »ständige Wachsamkeit« an.

Die ominöse Gruppe soll sich nach Angaben der BAW im April 1999 gegründet haben. Ihre bisher einzige Aktion sei der Überfall auf einen Geldtransporter am 30. Juli 1999 in Duisburg gewesen, dabei habe sie eine Million Mark erbeutet. Außer zwei bisher unbekannten Männern, so vermutet die BAW, gehören ihr Daniela Klette und Ernst Volker Staub an, die 1990 untergetaucht sind und seitdem als ehemalige Mitglieder der RAF gesucht werden.

Dass man die beiden der RAF zuordnet, wird mit Fingerabdrücken begründet, die man bei der 1993 in Bad Kleinen festgenommenen Birgit Hogefeld gefunden haben will. Ihre Täterschaft am Überfall in Duisburg sei seit der gentechnischen Untersuchung von Speichelresten bewiesen, die in einer zurückgelassenen Maske gefunden worden sein sollen.

Doch selbst wenn es einen Beweis der Tatbeteiligung von Klette und Staub geben sollte, wäre er kein Indiz dafür, dass sich eine neue linksradikale bewaffnete Gruppe gebildet hat. Sie hätte in drei Jahren doch wohl etwas von sich hören lassen. Außer dieser einen Geldbeschaffungsmaßnahme ist über eine neue Guerilla nichts bekannt geworden. Während in Deutschland alle paar Monate ein rechtsextremes Waffenlager ausgehoben wird, fliegen von links allenfalls am 1. Mai ein paar Steine. Es ist also hohe Zeit, ein neues Feindbild, den linken »Neoterrorismus« (BAW), zu beschwören.

DNA-Untersuchungen von Speichel- und Blutspuren wie im Fall des Duisburger Raubs gehören seit Jahrzehnten zur kriminaltechnischen Praxis. Nicht jedoch die neuartige Haaranalyse, die letzte Woche im seit elf Jahren ungeklärten Fall Rohwedder für Furore sorgte. Detlev Karsten Rohwedder, der Vortstandsvorsitzende der Treuhandanstalt, wurde am 1. April 1991 in seiner Düsseldorfer Villa mit einem gezielten Schuss durch die Wohnzimmerscheibe von der RAF ermordet. Am Tatort fand die Polizei ein blaues Handtuch. Darin wiederum neun Haare, die allerdings für eine genetische Analyse nicht taugten, weil ausgefallene Haare - anders als ausgerissene - keine Gewebereste und also keine kernhaltigen Zellen aufweisen.

Mit einer neuen Methode will das BKA nun auch ausgefallene Haare genetisch analysieren können. Allerdings gelang das an einem der neun Haare aus besagtem Handtuch. Dieses Haar stamme ohne Zweifel von Wolfgang Grams. Dass Grams zur RAF zählte, ist keine Neuigkeit, und strafrechtliche Konsequenzen ergeben sich ebenfalls nicht, da er beim GSG-9-Einsatz am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen ums Leben kam. Dennoch soll Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin die Witwe Rohwedder noch in der Nacht zum letzten Mittwoch angerufen haben, um ihr die Information mitzuteilen. »Damit Sie es nicht aus der Zeitung erfahren«, waren nach Angaben von Bild ihre Worte.

Die vermeintliche heiße Spur im Fall Rohwedder soll offenbar eine neue kriminaltechnische Analysemethode etablieren, die außer dem BKA noch niemand wissenschaftlich geprüft hat. Ob ihre Ergebnisse von den Gerichten als beweiskräftig anerkannt werden, muss sich erst noch herausstellen. Für die Ermittler wäre das jedoch wünschenswert, denn in 19 Fällen ungeklärter, der RAF bzw. »ihrem Umfeld« zugeordneter Attentate haben sie anscheinend nichts in den Händen als ein paar ausgefallene Haare.

Selbst wenn das Haar aus dem Handtuch, das vor Rohwedders Villa gefunden wurde, eindeutig Grams zuzuordnen wäre, sagt es nichts über den Schützen aus. Schließlich gibt es acht weitere Haare, die auch von anderen Personen stammen können. Und die Haare müssen ja nicht am Tatort in das Handtuch gelangt sein.

Offen bleibt auch die Frage, wieso die RAF, die nicht einmal brauchbare Fußspuren hinterließ, ausgerechnet ein Frotteehandtuch am Tatort vergessen haben soll. Es gibt genügend Gründe skeptisch zu sein, was die Herkunft des Haares betrifft. Vor allem, wenn man sich erinnert, wie nach der gescheiterten Festnahme von Wolfgang Grams auf dem Bahnhof von Bad Kleinen mit dubiosen Methoden versucht wurde, seinen Tod als Selbstmord darzustellen. Juristisch wird der Fall als offen bewertet. Wegen »ermittlungstaktischer Fehler« des BKA sei ein Zustand der »Beweislosigkeit« eingetreten, resümierte zuletzt das Bonner Landgericht die Lage nüchtern.

Die berechtigte Skepsis gegenüber den Verlautbarungen des BKA und der BAW führt oft auch zu kruden Verschwörungstheorien. Während die Bundesanwaltschaft und der Spiegel versuchen, die Gefahr des linken Terrorismus künstlich zu beleben, wärmt die Berliner Zeitung die alte Phantom-Theorie auf, nach der es die dritte Generation der RAF gar nicht gegeben habe. Von »professionellen Auftragsmördern« ist da die Rede, von möglicherweise gefälschten RAF-Emblemen.

Natürlich kommt auch der Journalist Gerhard Wisnewski zu Wort. Er und seine Kollegen Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker streuen seit 1992 immer wieder die These, Rohwedder sei nicht von der RAF, sondern möglicherweise von der Stasi ermordet worden. Auch die anderen Anschläge seit 1982 könne man nicht der RAF zurechnen. Zur aktuellen Haaranalyse sagte Wisnewski nun der Berliner Zeitung: »Ich habe mich bei den Recherchen für unser Buch ('Das RAF-Phantom', die Red.) sehr intensiv mit den Ermittlungsergebnissen des Rohwedder-Mordes befasst - dass in irgendwelchen Tatort-Beschreibungen ein Handtuch erwähnt wurde, daran kann ich mich nicht erinnern.«

Frauke Scheuten jedoch, eine Sprecherin der BAW, nennt Wisnewskis Behauptung eine »absolute Ente«. Sie erklärte Jungle World, auf den Tatortfotos, die während der ersten Spurensicherung gemacht wurden, sei das Handtuch zu sehen.

Doch unabhängig davon entbehrt die Phantom-Theorie sowieso jeder Grundlage. In ihrem Buch behaupten Wisnewski, Landraeber und Sieker, die RAF sei seit 1982 oder spätestens seit 1984 nicht mehr existent. Wahr ist an dieser Behauptung nur, dass die zweite Generation der RAF 1984 nach sieben Festnahmen vollständig zerschlagen war. Dies berichtet die RAF auch selbst in einem Schreiben vom Sommer 1992. Nach 1984 übernahmen neue Personen das Projekt, darunter auch Grams und Hogefeld.

Auch die 1986 verhaftete Eva Haule zählt sich, ebenso wie Hogefeld, zur RAF und kann über Diskussionen der Gruppe nach der umstrittenen Erschießung des GI Pimental im Jahre 1985 berichten. Als sie das in Briefen an andere RAF-Gefangene tat, las die BAW ein Tatgeständnis und eröffnete einen neuen Prozess. Die »Phantom«-Autoren behaupten im Widerspruch dazu: »Kein einziger Tatverdächtiger der Anschläge seit 1985 wurde bisher festgenommen.«

Im Mai 1982, noch vor dem großen Schlag gegen die RAF, veröffentlichte sie ein Strategiepapier, das ein so genanntes »Front-Konzept« enthielt. In dem Schreiben wurden Vorstellungen »einer gemeinsamen Front« mit verschiedenen westeuropäischen Guerillagruppen und der militanten Linken in Deutschland entwickelt. So bekannten sich im August 1985 die RAF und die französische Guerilla Action Directe gemeinsam zum Sprengstoffanschlag auf die US-Air-Base in Frankfurt.

1986 propagierte die RAF mit der »Offensive '86« den gemeinsamen Kampf mit »legalen«, nicht abgetauchten Militanten. Unterschiedliche Gruppen aus dem antiimperialistischen Widerstand vereinbarten gemeinsame Losungen, unter denen verschiedene Aktionen als Einheit erscheinen sollten.

Die Offensive wurde allerdings frühzeitig zerschlagen. Es gab zahlreiche Festnahmen in der antiimperialistischen Szene, lange Haftstrafen waren die Folge. Alles nur eine große Verschwörung? Im Buch »Das RAF-Phantom« kommt das alles gar nicht vor. Akribisch weisen die Autoren stattdessen nach, dass weder der RAF-Stempel, noch die Schreibmaschine, noch Stil und Inhalt der Bekennerschreiben die Existenz der RAF beweisen. Das Gegenteil allerdings beweisen sie auch nicht.

Seit ihrer Auflösungserklärung vom April 1998 ist die RAF tatsächlich Geschichte. Ihre letzte Aktion war die spektakuläre Sprengung des Gefängnisneubaus in Weiterstadt im März 1993. Dass sich die untergetauchten RAFler nicht in Luft aufgelöst haben können, ist offensichtlich. Es gibt jedoch nicht den geringsten Hinweis auf ihre Neuorganisation als Guerillagruppe .

Fakt ist aber etwas anderes: Sechs ehemalige RAF-Mitglieder sitzen immer noch im Gefängnis, teilweise seit über 19 Jahren. Der inzwischen 52jährige Rolf Heißler soll am 26. Oktober »vorzeitig« entlassen werden - nach 18 Jahren Haft.