Aufstieg von Borussia Mönchengladbach

Keine Feier ohne Meyer

Kann sich der Aufsteiger Borussia Mönchengladbach dauerhaft in der Fußball-Bundesliga etablieren? Eine Bestandsaufnahme

Eine Umfrage unter deutschen Fußballfans im Frühjahr 2001 brachte ein erstaunliches Ergebnis. Nach Bayern München ist Borussia Mönchengladbach der zweitbeliebteste Fußballverein der BRD. Zweifellos verdankt sich diese Popularität noch immer den Erfolgen der siebziger Jahre und mehr noch dem zuweilen freudvoll scheiternden Spiel der Netzer, Simonsen, Heynckes usw.

Ob Pfostenbruch oder Büchsenwurf, die so genannten Fohlen sind in jenen Jahren zum Begriff, zum Mythos geworden. Als diese Mannschaft allmählich zerfiel, entwickelte sich die Borussia zu einem ziemlich normalen Club, der dann und wann alte Klasse aufscheinen ließ, sich ansonsten jedoch dem gemütlichen Naturell der Menschen am Niederrhein anpasste. Daran schien sich Einiges zu ändern, als der Verein in den Neunzigern die Zeichen der Zeit zu erkennen meinte und vehement auf Kommerz setzte. Der damalige Manager Rolf Rüssmann hatte ambitionierte Pläne; er wollte den Verein wieder zu einer ersten Adresse im deutschen Fußball machen und diese Stellung nicht zuletzt durch den Bau eines neuen Stadions untermauern.

Tatsächlich gelang es ihm, den Ausverkauf talentierter Spieler zu stoppen und mit Stefan »Tiger« Effenberg sogar einen echten Star an den Bökelberg zu locken. Verheißungsvoll titelte der Kicker damals: »Der Tiger macht den Fohlen Beine.« Die Verpflichtung Effenbergs ins beschauliche Mönchengladbach erwies sich jedoch als großes Missverständnis. Rückblickend ließe sich nicht minder reißerisch sagen, dass der »Tiger« die Fohlen samt und sonders aufgefressen hat.

Denn nach dem Abschied Effenbergs verschwand die Borussia - auch wegen katastrophaler Personalentscheidungen und eines in sich zerstrittenen Vorstands - in der Versenkung. Den Verein plagten, als er wenig später in die zweite Liga absteigen musste, 30 Millionen Mark Schulden. Der Lizenzentzug konnte nur durch den Verkauf von Leistungsträgern wie Patrick Andersson und Jorgen Petersson abgewendet werden. Zudem zeigte sich Sebastian Deisler großzügig und ließ nachträglich eine Klausel in seinen Vertrag einsetzen, sodass auch für ihn eine Ablösesumme fällig wurde. Aber diese Einnahmen reichten nicht aus, den Spielbetrieb zu sichern. Abhilfe schuf ein 15-Millionen-Darlehen des Rechteverwerters Rainer Kömel und seiner Kinowelt A.G.

Nach zwei Jahren meldet sich die Borussia nun in der ersten Klasse zurück. Die Euphorie der Fans, die den Verein in der zweiten Liga massenhaft unterstützt und dem TV-Sender DSF bei den Montagsspielen enorme Einschaltquoten beschert haben, ist riesengroß. Die Zuversicht gründet sich u.a. auf die solide Arbeit des neuen Präsidiums, das durch einen harten Sparkurs die Verbindlichkeiten deutlich reduzieren konnte, und auf den geplanten Stadionbau. Gefördert durch ein 75 Millionen-Darlehen der Stadt soll die Konkurrenzfähigkeit des Clubs gestärkt und Mönchengladbach zu einem Austragungsort der WM 2006 gemacht werden.

Langjährige Beobachter des Vereins bleiben, was dieses Vorhaben betrifft, indes spürbar reserviert. Tatsächlich muss skeptisch stimmen, dass der angekündigte Baubeginn im Sommer dieses Jahres sich wiederum verzögert und vor 2002, so Präsident Adalbert Jordan, kein Spatenstich getan wird. Ebenso undurchsichtig erscheinen die Meldungen zur finanziellen Situation des Vereins. Mit einiger Genugtuung gab das Präsidium vor kurzem bekannt, dass die Lizenz für die kommende Saison ohne Auflagen erteilt worden sei. Schon einen Tag später konnte man aber von den Fanmagazinen im Internet (www.torfabrik.de; www.seitenwahl.de) erfahren, dass der DFB durchaus Vorbehalte geltend gemacht hatte. Nicht aufgeführt in der offiziellen Bilanz ist das schon angesprochene Darlehen der Kinowelt AG, das den finanziellen Spielraum merklich einschränkt.

Angesichts solcher nur verhalten optimistisch stimmenden Vorzeichen richtet sich die Hoffnung der Fans, wie schon in den letzten zwei Spielzeiten, auf den Trainer Hans Meyer. Tatsächlich hat sich der bärbeißige Übungsleiter aus der DDR als echter Glücksgriff für die Borussia erwiesen. Auch wenn er niemals das sagt, was Fans gerne hören. Er könne, monierte Meyer z.B., den Ruf »wir woll'n euch kämpfen sehen«, nicht mehr hören. Der Kampf sei nicht das allein Entscheidende, bzw. er sei das einzige, was im deutschen Fußball überhaupt noch funktioniere. Die Fans sollten lieber ein gutes Spiel einfordern.

Als Meyer mit seiner Mannschaft in der letzten Saison beim Tabellenführer Köln nach einem guten Spiel auf die schlechtere Leistung seiner Mannschaft in der zweiten Halbzeit angesprochen wurde, entgegnete er trocken: »Ich habe in der Pause alles falsch gemacht. Ich habe einfach nicht die richtigen Worte gefunden, die Jungens hören nicht mehr auf mich.« Und bei der Analyse des Spiels im DSF gab er zu bedenken, das späte Ausgleichstor der Kölner sei wohl nur deshalb gefallen, weil Trainer Ewald Lienen dem Torschützen einen entsprechenden Auftrag erteilt habe.

Will sich da einer nur lustig machen? Wohl kaum. Meyer fand für einen Fußballtrainer ungewöhnlich deutliche Parallelen zwischen den mitunter »menschenverachtenden« Zügen des heutigen Boulevardjournalismus und seinen Erfahrungen in der DDR: »Jahrzehntelang bin ich, was Pressefreiheit angeht, verdummt und manipuliert worden. Auf eine andere Art und Weise werde ich es auch heute noch.«

Ginge es im Leben gerecht zu, wäre dieser eigensinnig konsequente Trainer wohl nie bei der Borussia gelandet. Als es 1989 mit der DDR zu Ende ging, konnte er auf überaus erfolgreiche Jahre in Jena und Erfurt zurückblicken. Angesichts seiner blendenden Referenzen hätten ihm sehr viele Türen offen stehen müssen. Die Bundesliga aber war an dem routinierten Fachmann nicht interessiert. Ganz nebenbei musste Hans Meyer erfahren, wie viel mit der neu gewonnenen Freiheit in einer mehr oder minder geschlossenen Gesellschaft anzufangen ist. Symptomatisch, dass er nicht im westdeutschen Fußball mit seinen eingefahrenen taktischen Konzepten landete, sondern im niederländischen Enschede eine Anstellung fand.

Dort konnte der mittlerweile 58jährige praktizieren, was schon die von ihm trainierten Mannschaften in der DDR stark gemacht hatte und nun auch der Borussia aus Mönchengladbach zugute kommt. Kernstück der Meyerschen Taktik ist das Pressing, bei dem die ganze Mannschaft mitmachen muss. Ziel ist es, den Gegner möglichst weit vom Tor fernzuhalten, denn »hinten spielen, das können wir gar nicht richtig«. Werden die gegnerischen Verteidiger an ihrem eigenen Strafraum attackiert, müssen alle Mannschaftsteile nachrücken, um den Raum zur Spielentfaltung so eng wie möglich zu halten. In der Diktion des Trainers heißt das »Durchdecken«.

Optimal funktionieren kann diese Taktik nur dann, wenn sich die eigenen Stürmer nicht wie etwa der geschasste Toni Polster bei Ballbesitz des Gegners im Niemandsland ausruhen. Im System des Hans Meyer müssen auch die Abwehrspieler über offensive Qualitäten verfügen. Unschwer zu erkennen ist, dass diese Taktik nach Spielern verlangt, die mehr als nur die bekannten deutschen Tugenden aufzubieten haben.

In der neuen Saison kann Meyer die Mannschaft jedoch nicht entscheidend verstärken, für Spitzenspieler ist kein Geld da. So ist es der Borussia zwar durchaus zuzutrauen, dass sie in der Bundesliga mit Mannschaften wie Cottbus mithalten und vielleicht sogar gegen Teams wie Köln, 1860 München oder den FC Freiburg den einen oder anderen Punkt holen kann. Jedoch hat sich die Borussia in der Vergangenheit zu oft als ein Verein mit unbedingtem Hang zum Unglück und zur Tragik erwiesen.

Vollends bedrohlich erscheint die Situation, wenn der Trainer, wie er jüngst wiederholt erklärt hat, tatsächlich nach dem Ende der kommenden Saison aufhört und sich aufs Altenteil zurückzieht. Mit Hans Meyer verlöre die Borussia jenen Protagonisten, der für einen kontinuierlichen Neuaufbau mit hoher fachlicher Kompetenz steht, sich auch von scharfen Angriffen der Presse nicht aus der Ruhe bringen lässt und niemanden nach dem Munde redet.

Wie wichtig solche Personen in der Bundesliga sind, hat der SC Freiburg mit seinem Trainer Volker Finke unter Beweis gestellt. Als eine der kompliziertesten Aufgaben der Borussia wird sich daher wohl die Suche nach einem geeigneten Nachfolger Meyers erweisen. Dies gilt allemal, wenn richtig ist, was Meyer als eine seiner drei wichtigsten Einsichten formuliert hat, dass nämlich die Verantwortlichen in einem Club meistens gar nichts vom Fußball verstehen. Na, dann sucht mal schön.