Dylan-Biografien

Wer ist das eigentlich?

Bob Dylan wird 60! Willi Winkler und Günter Amendt schreiben über Jesus und Gott. Barry Feinstein, Daniel Kramer und Jim Marshall fotografieren ihren early Dylan.

Dieser Artikel darf nicht davon handeln, wie wichtig Bob Dylan für diese oder jene oder meine Generation ist. Er darf nicht von mir handeln.

Bob Dylan wird am 24. Mai sechzig Jahre alt. Seit Anfang der sechziger Jahre steht er auf der Bühne, er hat den Folksong und Joan Baez hinter sich gelassen, einen Ausflug zu diversen Christentruppen sowie einen Motorradunfall überstanden, er hat für Bill Clinton gespielt, der jetzt nicht mehr im Amt ist, und für den Papst hat er auch gespielt, und der gibt sein Amt ja auch gerade auf.

Der Artikel darf nicht nur deswegen nicht von mir handeln, weil ich mit Folk, Baez, Christen, Motorrädern, Clinton und dem Papst nichts zu tun habe, sondern auch, weil in Deutschland gerade zwei Bücher erschienen sind, die - jedes auf seine Weise - zeigen, warum so eine Vorgehensweise nicht gut ist.

Willi Winklers »Bob Dylan. Ein Leben« zeigt auf dem Cover einen Bob Dylan der sechziger Jahre. Auf Günter Amendts »Back to the Sixties. Bob Dylan zum Sechzigsten« ist zwar ein Dylan der Neunziger zu sehen, aber schon der Titel verweist auf die Sechziger.

Winkler vergleicht Dylan mit Jesus. Das klingt zunächst behämmert, wäre es wohl auch, wenn er seine Metapher penetrant vorbrächte, was er aber nicht tut, doch auf seine merkwürdige und in jedem Fall originelle Grundthese kommt er immer wieder zurück. Aber es geht ihm nicht ums Beschreiben, Beschreien und Verehren von Dylan, sondern um ein konsequentes Zerstören von Mythen, wie ja diverse Religionskritiker den Mythos vom historischen Jesus auch schon recht ordentlich widerlegt haben.

Winkler zerstört Dylan. Das ist verdienstvoll, und es gelingt ihm nicht nur anhand der leichten Übungen, er nimmt auch zählebige Legenden auseinander und bringt zum Beispiel vor, dass Dylan Thomas wahrscheinlich gar nicht der Namensgeber fürs Pseudonym ist und dass Bob Dylan viele Songs schlicht geklaut hat. Winkler ist nicht der erste dylanologische Mythen-Zertrümmerer, aber er macht es sympathisch konsequent und fällt nicht bei jedem rumstehenden und wieder so schön passenden Dylan-Zitat auf den Lügner herein. Vor allem aber bleibt Winkler auf angenehme Distanz zu seinem Star: Er hält ihn für Jesus, aber er vergöttert ihn nicht, denn einen richtigen Gottessohn würde er wohl auch nicht verehren.

Günter Amendt, der Autor des zweiten Buches, hat eine Sammlung seiner Texte der letzten Jahrzehnte zu Dylan, überwiegend Plattenrezensionen, in einem Band versammelt. Amendt unterscheidet sich erheblich von Winkler.

Während Winkler sich nicht gerade vornimmt, sich allzu distanziert gegenüber Dylan zu verhalten, es aber letztlich doch tut, weil ihm vermutlich bei der Niederschrift klar wurde, dass er diesen Satz und jene Marotte schwerlich loben kann, will Amendt auf jeden Fall Abstand halten und versagt dabei grandios. Er postuliert in einem fort eine messianische und heilsame Wirkung, die der Künstler Dylan angeblich entfalte.

Weil Dylan 1990 in der United States Military Academy auftrat, fragt Amendt ernsthaft, »wie es um die innere Sicherheit der Westpoint Kadetten nach Dylans Auftritt stand«. Nachdem Amendt mal Rudolf Scharping traf, ließ er ihm eine Aufnahme von »Masters of War« zukommen, und Scharpings Referent bedankte sich, dass er die CD »schon mehrfach aus seinem Büro erklingen gehört« habe, was Amendt »zum Verzweifeln« findet: Weil Scharping nicht durch Dylan-Musik geläutert wurde und/oder weil Scharping das zu verehrende Gute, die Musik Bob Dylans, quasi geschändet hat, indem er eine CD in den Player schob.

Amendt geriert sich als Dylans Sachwalter in Deutschland. Er spricht wie der Impresario, ohne den es den medialen Dylan gar nicht gäbe, man merkt es schon an seinen Rezensionsanfängen: »Was man zunächst mal sagen muss: Sie ist bei nüchternem Hören nicht schlechter als bei vollem Bewusstsein« (über »Street Legal«) und »Ein paar Worte sollte man nun doch zu Dylans Japan-Album sagen« (über »At Budokan«) oder »Zwei Bob-Dylan-Alben habe ich unkommentiert verrauschen lassen. Not so good, not so bad, so lala - viel mehr lässt sich über 'Down in the Groove' und 'Dylan and the Dead' nicht sagen.« Eine Dylan-CD, ein Dylan-Konzert oder ein Dylan-Film sind nie dagewesen, wenn Günter Amendt die Sache nicht abgecheckt und vorgestellt hat.

Willi Winkler beschäftigt sich auf angenehme Weise eben nicht mit sich selbst, sondern mit Bob Dylan. Seine Darstellung ist so zurückhaltend, gut recherchiert und gut geschrieben, dass die Biografie - hier folgt ein großes Lob - auch in den USA erscheinen könnte.

Winkler ist assoziativ, wie auch Dylan gerne frei assoziiert: Mal gilt er ihm als »bester Brecht aller Zeiten«, mal als einer, der »ewige Verdammnis« verdient hat. Er lobt ihn als »hl. Bob« und beschimpft ihn als einen, der »ungezählte junge und bis dahin unschuldige Menschen zum haltlosen Gitarre spielen im Verein mit Rotweinabusus verleitet« hat. Allzu subjektive Stellen hat Winkler, im Bewusstsein, dass er nicht ohne sie auskommt, einfach in eckige Klammern gesetzt.

Amendt schimpft lieber auf eine solche Kritik, weil sie »von den schnellen Jungs, die vor dem Spiegel wichsen, für den sie schreiben« stamme. Und er behauptet, es gebe in Deutschland eine »Medientradition, die Dylan als Katalysator benutzt, um sich an Problemen abzuarbeiten, die mit Dylan nichts zu tun haben und für die er nicht verantwortlich ist«. Das ist weder gut beobachtet, noch ist es glaubwürdig; insbesondere dann nicht, wenn einer dies sagt, der ständig von sich redet: Ich habe Dylan da gesehen. Ich wurde das gefragt. Ich muss doch noch zu dieser Platte etwas sagen.

Bob Dylan verachtet bekanntlich die Medien, egal ob Journalisten ihn mögen oder zurückverachten. Er teilt sich nicht in Interviews mit; seine in »Tarantula« (s. gegenüberliegende Seite) hinterlegte Prosa ist nur im Vollrausch verständlich, also gar nicht; dass es Kritiker gibt, die seine Texte als Texte nehmen und dabei ausblenden, dass sie gesungen gehören, ist ihm völlig fremd und unangenehm; gegen Kritiker, die sich auch der musikalischen Darbietung widmen, geht er vor, indem er jedes Lied auf jedem Konzert neu interpretiert, womit auch treueste Fans oft in tiefes Unverständnis gestoßen werden.

So gelingt Amendt ein bisschen und Winkler schon etwas mehr, was die anderen Dylan-Biografen - die meisten und besten stammen aus den USA - bereits getan haben: zu zeigen, wie Dylan Mythen produziert, wenn er sich auf die Ebene der Texte einlässt, wenn es um sein Leben geht, um seine Motive und Ziele, kurz: wenn er erzählt. Und selbst wenn er singt, wenn er Gitarre oder Klavier spielt, entzieht sich Dylan einer kritischen Rezeption. Man ahnt die große Kunst und kriegt sie nicht zu fassen.

Doch wenn man den Musiker und Literaten weder bei seiner Musik noch bei seiner Literatur richtig greifen kann, was bleibt da?

Fotos. Der Schirmer/Mosel-Verlag hat schon 1999 einen im selben Jahr in den USA erschienenen Bildband herausgebracht: »Early Dylan. Photographien von Barry Feinstein, Daniel Kramer und Jim Marshall«. Feinstein ist ein Freund Dylans, die beiden anderen Fotografen sind mehr oder weniger enge Wegbegleiter. Sie zeigen Bob Dylan, wie er übernervös, weil auf sich allein gestellt, hinter der Bühne des Newport Folk Festivals herumläuft. Sie zeigen Dylan in der Pose des intellektuellen Schachspielers, beim Rumalbern als Kugelstoßer, man sieht, wie sich Bob Dylan 1964 bei einem gemeinsamen Konzert vor die damals berühmtere Joan Baez drängelt, und man sieht, wie er völlig verdattert aus einem Autofenster schaut, soeben von kreischenden weiblichen Teenagern bedrängt.

Ja, man erkennt sogar auf einem Foto Dylans Angst, als es, ohne dass jemand angemeldet war, an die Hotelzimmertür klopft. Das alles zeigt »Early Dylan«, und das heißt nicht weniger, als dass dieser Band noch nachhaltiger die Mythen um diesen 60jährigen Kerl zertrümmert als die vorliegenden Biografien.

So, dieser Artikel handelte tatsächlich nicht von mir.

Günter Amendt: Back to the Sixties. Bob Dylan zum Sechzigsten. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2001, 160 S., DM 28.

Willi Winkler: Bob Dylan. Ein Leben. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 206 S., DM 49,80.

Early Dylan. Photographien von Barry Feinstein, Daniel Kramer und Jim Marshall. Mit einem Vorwort von Arlo Guthrie. Schirmer/Mosel, München 1999, 96 S., DM 49,80.