In der Türkei zensiert: Otköku

Zweideutige Angebote

Die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen, Waschmitteln und Autos haben sie längst als Zielgruppe entdeckt: die über zwei Millionen türkischsprachigen Einwohner dieses Landes. Auch Zeitungen zogen nach. So erscheint die taz seit fast einem Jahr mit der wöchentlichen deutsch-türkischen Beilage Persembe; seit März kann auch die »gewaltfrei«-anarchistische Monatszeitschrift graswurzelrevolution mit einem Supplement aufwarten: Otkökü devrimi.

Alle drei Monate soll Otkökü vierseitig und durchweg zweisprachig erscheinen und kann als Beilage sowie als eigenständiges Blatt bezogen werden. Während Persembe in Berlin ansässig ist und der Berichterstattung über die Türkei und Deutschland etwa gleich viel Raum gibt, arbeitet Otkökü-Redakteur Osman Murat Ülke in Izmir, was sich in der Themenwahl widerspiegelt.

Die erste Nummer befasst sich mit dem Hungerstreik politischer Gefangener und dem öffentlichen Umgang mit dem Massenmord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges. In der zweiten Nummer, die in dieser Woche erscheint, geht es um Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Armee sowie um Frauen, die ihre Vergewaltigung durch Polizeibeamte öffentlich angeprangert haben und nun wegen »Beleidigung der Sicherheitskräfte« angeklagt sind. Das entspricht der hierzulande in linken Publikationen üblichen Türkeiberichterstattung, die sich auf Schweinereien des türkischen Staates konzentriert und die nicht falsch ist, aber ebensogut im Hauptblatt untergebracht werden könnte.

Warum eine eigene Zeitung? »Wir wollen gezielt auf türkische und kurdische Leute in Deutschland zugehen«, erklärt graswurzel-Redakteur Bernd Drücke. Zudem wollen die Herausgeber »die Vernetzung einer Graswurzelbewegung in der Türkei vorantreiben«. Zumindest dieses Projekt ist vorläufig gescheitert. Der türkische Zoll öffnete ein Paket mit 500 Exemplaren und leitete die Sendung statt an den Adressaten, den Verein der Kriegsgegner Izmir, an die Polizei weiter.

Nun befürchten die Zeitungsmacher strafrechtliche Konsequenzen. Denn der bis heute verleugnete Massenmord an den Armeniern rangiert ganz oben auf der Liste unerwünschter Themen. Insbesondere Ülke könnte die Publikation in eine schwierige Lage bringen. Wegen Kriegsdienstverweigerung saß er über zwei Jahre im Gefängnis, seit 1999 befindet er sich zwar auf freiem Fuß, kann aber jederzeit wieder verhaftet werden. »Der Vertrieb in der Türkei ist erstmal hinfällig«, resümiert Drücke.

Bleibt der Vertrieb in Deutschland. Hier dürfte Otkökü mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein wie Persembe. Wer sich durch das Supplement angesprochen fühlt, liest in der Regel bereits das Mantelblatt. Und wer wegen der Sprache an der Zeitung scheitert, ist auch über die Beilage kaum erreichbar. Die Bedeutung dieser Projekte ist daher vor allem symbolisch. Sie machen klar, dass die Einheimischen hier nicht mehr unter sich sind. Egal, ob es sich bei dem Angebot um eine Telefonverbindung oder um »gewaltfreie Revolution« handelt.