Peter Finkelgruen über den Malloth-Prozess

»Der Justizskandal ist noch nicht aufgeklärt«

Lebenslänglich wegen Mordes und versuchten Mordes - mit diesem Urteil ist vorige Woche in München der wohl letzte große NS-Kriegsverbrecherprozess zu Ende gegangen. Für weitere ungezählte Morde, über die nicht verhandelt wurde, soll Anton Malloth ebenfalls verantwortlich sein. Er war vor 56 Jahren SS-Wachmann in der Kleinen Festung Theresienstadt, einem Gestapo-Gefängnis. (Jungle World, 17/01) Dass ihm nun doch der Prozess gemacht wurde, ist nicht zuletzt den Recherchen von Peter Finkelgruen zu verdanken. Sein Großvater wurde am 10. Dezember 1942 in Theresienstadt von Malloth zu Tode geprügelt. In seinem Buch »Haus Deutschland oder Die Geschichte eines ungesühnten Mordes« hat Finkelgruen den Fall geschildert.

Sie sind erst zu den Plädoyers zum Prozess gegen Anton Malloth gekommen, als die Beweisaufnahme bereits abgeschlossen war. Warum?

Das war vor allem ein Verfahrensproblem. Der Staatsanwalt hat mich zwar als Zeuge benannt, der Richter hat mich aber nicht als Zeuge geladen. So konnte ich nicht riskieren, die Verhandlung während der Beweisaufnahme zu besuchen, weil ein Zeuge die Verhandlung nicht als Zuschauer verfolgen darf, solange er seine Aussage nicht gemacht hat. So war ich faktisch ausgeschlossen.

Was war es für ein Gefühl, dem Mörder Ihres Großvaters Martin Finkelgruen zum ersten Mal in die Augen zu blicken?

Es war schon merkwürdig, zum ersten Mal den Mann zu sehen, der meinen Großvater erschlagen und totgetreten hat, der Dutzende und Hunderte anderer Menschen getötet hat. Malloth hat es vorgezogen, die Verhandlung starr und reglos zu verfolgen. Ich habe versucht, ein wenig hinter diese Maske zu dringen. Im Kopf hatte ich ja die Bilder des jungen Malloth - ich kenne alte Fotos von ihm, kenne seine Biografie inzwischen sehr gut. Auch bei der Urteilsverkündung habe ich ihn sehr genau beobachtet. Er hat versucht, dieselbe Regungslosigkeit an den Tag zu legen wie schon seit dem Beginn des Verfahren. Sein gelegentliches Schlucken zeigte dann aber doch, dass hinter der Maske irgendetwas stattfand.

Sie haben vor dem Prozess gesagt, emotional sei der Fall Anton Malloth für Sie bereits seit seiner Verhaftung abgeschlossen. Ist das immer noch so, jetzt, wo sie ihm erstmals gegenübergesessen haben?

Für mich war es von Anfang an wichtig, dass überhaupt ein Gerichtsverfahren stattfindet. Dass Menschen umgebracht wurden und der Täter nicht einmal vor Gericht kommt, war für mich ein unerträglicher Gedanke. Es kam mir so vor, als würden die Getöteten noch einmal ermordet, weil man es nicht einmal für wert hielt, sich die Arbeit zu machen und die Mörder vor Gericht zu stellen. Jetzt ist Anton Malloth vor Gericht gestellt worden, wenn auch nur wegen dreier Fälle.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Hunderte von Morden, an denen er mitgewirkt hat, hier gar nicht behandelt wurden. So konnte nicht gezeigt werden, wer oder was er wirklich war; er war nicht jemand, der ein oder zwei Menschen umgebracht hat, er war ein Massenmörder.

Aber dass das Verfahren nun nach einem halben Jahrhundert endlich stattgefunden hat, das verschafft schon eine gewisse Befriedigung und Erleichterung. Was nach dem Gerichtsverfahren kommt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Sinn der Übung ist ja nicht, einen 89jährigen Mann in die Zelle zu stecken, sondern dass begangene Morde auch vor Gericht verhandelt werden.

Der Mord an ihrem Großvater bleibt ungesühnt, er war nicht Gegenstand des Verfahrens, weil der maßgebliche Zeuge inzwischen verstorben ist.

Der Zeuge ist zwar verstorben, aber es gibt eine eidesstattliche Aussage von ihm. Der Fall hätte also in dem Prozess verhandelt werden können. Dass der Staatsanwalt das nicht getan hat, mag seinen Grund darin haben, was die Juristen Prozessökonomie nennen. Mich macht das traurig, aber ich nehme das erst mal so zur Kenntnis.

Warum hatten Sie von Anfang an Bedenken gegen den Vorsitzenden Richter Jürgen Hanreich?

Der Vater des Richters war Oberlandesgerichtsrat in Leitmeritz, er war SA-Mann und Mitglied der NSDAP. Ein klassischer Sudetendeutscher eben, der mit der Nazibewegung Karriere gemacht hat. Leitmeritz ist nur einen Steinwurf entfernt von der Kleinen Festung Theresienstadt, Häftlinge aus der Festung haben dort Zwangsarbeit verrichtet. Meine Meinung war und ist, dass diese Tatsachen, diese territoriale Nähe, den Richter auf jeden Fall befangen machen.

Malloth ist wegen Mordes und versuchten Mordes in jeweils einem Fall zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Richter hat dem Angeklagten bescheinigt, er sei kein Schreibtischtäter gewesen, sondern gehöre zu jenen Tätern, »die ihren ideologisch begründeten Hass sadistisch auslebten«. Was sagen Sie zu dem Urteil und der Begründung?

Juristisch konnte der Richter ja keinen anderen Urteilsspruch fällen. Auf Mord steht nun mal lebenslänglich. Aber ich fand die Begründung sehr ausgewogen, sehr sauber und präzise. Was die behandelten Fälle angeht, war das Verfahren schon sehr ordentlich. Ich habe außerdem gehört, dass die Münchner Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen anstellt und weitere Anklagen gegen Malloth erheben will. Das finde ich richtig, denn der Nachteil dieses Prozesses war, dass nur drei Fälle zur Debatte standen und nicht die Massenmorde.

Ich habe also die Hoffnung, dass der Mord an meinem Großvater doch noch gesühnt wird. Und mit dem jetzt gefällten Urteil hat ein Justizorgan der Bundesrepublik die Morde, die stattgefunden haben, endlich tatsächlich benannt. Sie wurden sozusagen offiziell von der Gesellschaft zur Kenntnis genommen und es wurden daraus Konsequenzen gezogen. Deshalb bin ich mit dem Urteil zufrieden.

Aber es bleibt der fade Nachgeschmack, dass es erst jetzt passiert ist.

Allerdings. Und das ist ein Skandal, der noch aufgearbeitet gehört. Ein Skandal vor allem der nordrhein-westfälischen Justiz, die entweder absolut inkompetente Juristen einstellt oder sich der Strafvereitelung schuldig gemacht hat. Da waren ja der Staatsanwalt, der Generalstaatsanwalt und die Justizminister über Jahrzehnte damit beschäftigt, Malloth nicht anzuklagen. Für mich ist der Fall Anton Malloth jetzt abgeschlossen. Was nicht abgeschlossen ist, das ist der Fall Bundesrepublik Deutschland, wo Justiz und Politik es jahrzehntelang versäumt haben, Malloth und seinesgleichen - alle anderen sind ja inzwischen verstorben - vor Gericht zu bringen. Es ist in der Bundesrepublik kein einziger von den Mördern der Kleinen Festung Theresienstadt juristisch belangt worden.

Sie haben wegen der offensichtlichen Untätigkeit der Dortmunder Staatsanwaltschaft im Fall Malloth vor einiger Zeit Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Staatsanwalt eingelegt.

Wir haben mehrere Beschwerden eingelegt, dabei ist nie etwas herausgekommen. Ich werde in dieser Sache jetzt auch nichts mehr unternehmen, aber es steht ja jedem Bürger frei, etwas in dieser Richtung zu tun.

Hat der Fall Malloth Ihr Bild von der deutschen Justiz verändert?

Ich habe aus der Affäre gelernt, dass wir einen Rechtsstaat haben, dass aber ein einzelner Bürger keine Möglichkeit hat, den Rechtsstaat auch durchzusetzen.

Sie sind jahrelang zwischen Israel und Deutschland hin und her gependelt. Dass der Prozess jetzt doch noch stattgefunden hat, spricht das für die Bundesrepublik Deutschland?

Wenn es nicht zum Verfahren gekommen wäre, hätte ich mich schon gefragt: Was habe ich hier verloren? Dass ein Mörder angeklagt wird, ist etwas völlig Normales. Wo leben wir, dass wir uns alle darüber wundern, dass so etwas Normales geschieht?