Online-Demonstration gegen die Lufthansa

Absturz jetzt!

Um gegen das Geschäft mit der Abschiebung zu demonstrieren, wollen anitrassistische Gruppen am 20. Juni die Homepage der Lufthansa blockieren.

Das Ordnungsamt Köln fühlt sich nicht zuständig, und auch die Polizei ist desinteressiert. »Die Anmeldung hat keine Relevanz für uns«, sagt der Kölner Polizeisprecher Wolfgang Beus. Eine Online-Demonstration falle nicht unter das Versammlungsgesetz. Im Mai haben Jan Hoffmann von kein mensch ist illegal (kmii) und Anne Morell von der Gruppe libertad für den 20. Juni, den Tag der Lufthansa-Aktionärsversammlung in Köln, eine virtuelle Demonstration vor den Toren der Lufthansa-Homepage angemeldet.

Ist der Cyberspace ein Ort unter freiem Himmel, wie ihn das Versammlungsgesetz für eine Demonstration vorsieht? Welche Behörde ist zuständig für die Anmeldung einer Demonstration, an der Menschen in Australien, Lateinamerika, den USA, Kanada, Deutschland und anderen europäischen Staaten teilnehmen? Müssen Menschen physisch anwesend sein, damit von Demonstration die Rede sein kann?

Fragen, die nicht unbedingt zu den wichtigsten zählen, die aber angesichts des Präzedenzfalls Online-Demonstration gestellt und möglicherweise juristisch geregelt werden. Eine virtuelle Demonstration jedenfalls ist im deutschen Gesetz nicht vorgesehen. »Vielleicht wird man da noch etwas nachholen müssen«, sagt der Kölner Polizeisprecher.

Zweck der Veranstaltung ist es jedoch nicht, das deutsche Versammlungsrecht zu modernisieren, sondern den Druck auf die Lufthansa weiter zu verstärken. »Diese Aktion könnte dazu beitragen, den ökonomischen und symbolischen Schaden für die Lufthansa so hoch zu treiben, dass sich das schmutzige Geschäft mit Abschiebungen nicht mehr lohnt. Das ist die Sprache, die sie verstehen«, so der bundesweite Zusammenschluss Kanak Attack.

Insbesondere der Tod von Aamir Ageeb vor zwei Jahren während einer gewaltsamen Abschiebung in einer Lufthansa-Maschine hatte zu Protesten gegen die Fluglinie geführt. Ageeb ist bereits der zweite Flüchtling, der bei seiner Abschiebung in einer Lufthansa-Maschine zu Tode kam. Wegen ihrer nicht zu unterschätzenden Rolle für den reibungslosen Ablauf von Abschiebungen ist die Lufthansa ins Visier des antirassistischen Netzwerkes geraten (Jungle World, 18/00).

Außerdem ist das Unternehmen leicht verwundbar. Eine Aktiengesellschaft mit Passagieren aus aller Welt achtet auf ein unbeflecktes Image. Berichte über Erstickungstode in Lufthansa-Maschinen, über Menschen, die - zusammengeschnürt wie eine Teppichrolle - auf die hinteren Plätze verfrachtet werden und dort um ihr Leben schreien, kommen bei der Kundschaft nicht gut an.

Neben Flughäfen und Reisebüros ist auch das Internet zum Aktionsfeld der Aktivisten geworden. »Wenn Konzerne, die mit Abschiebungen Geld verdienen, ihre größten Filialen im Internet aufbauen, muss man auch genau dort demonstrieren«, so die beiden Initiativen in einem Aufruf. Die Online-Demonstranten wollen, ähnlich wie bei einem Sit-In in einem Reisebüro, den Zugang der Lufthansa-Homepage verriegeln. Dafür stellen die beiden Initiativen auf ihren Internetseiten (u.a. www.stop-depclass.scene.as) eine Software zur Verfügung, die Anfragen an die Lufthansa-Seite automatisiert. Damit die Homepage der Aktivisten von den erwarteten Massen nicht blockiert wird, sollen die Teilnehmer die Software bereits vor dem Tag X herunterladen.

Am 20. Juni um 10 Uhr sollen mehrere tausend Demonstranten gleichzeitig auf die Lufthansa-Websites zugreifen. Der Datensturm, so hoffen die Initiatoren, überfordert den Großrechner und blockiert diesen für kurze Zeit. Daten sollen dabei weder zerstört noch gestohlen werden. Die Aktion ist angekündigt und die Protest-Software im Internet offen gelegt.

Transparenz der Aktion sei ein wichtiges Merkmal der politischen Hackactivists, so Ricardo Dominguez, der Mitbegründer des New Yorker Electronic Disturbance Theatre (EDT) und Unterstützer der Online-Demonstration. Gemeinsam mit dem EDT entwickelte er ein Programm für den elektronischen zivilen Ungehorsam. »Die Software betätigt die Reload-Taste automatisch, so dass die Zeigefinger nicht wund werden«, sagt Dominguez. Für ihn ist der Online-Protest eine reine Taktik: »Was bei Offline-Aktionen zählt, gilt auch für den E-Protest. Wichtig ist, die Information, wann, wo, wie und vor allem warum eine Aktion gemacht werden soll, so weit wie möglich zu verbreiten. E-Protest ist ohne Aktionen auf der Straße bedeutungslos.«

Ziel der Netzaktionen ist es nicht allein, die Technik lahm zu legen. Im Vordergrund steht vielmehr, die tägliche Routine zu unterbrechen, um einen politischen und symbolischen Raum zu eröffnen. »EDT ging auf die Webserver des Pentagons, der Frankfurter Börse und der mexikanischen Regierung los. Wir haben nie Server zum Absturz gebracht. Wir erzeugten aber viel Medienecho und Auseinandersetzung um unser Thema, die Zapatisten«, sagt Ricardo Dominguez. In Deutschland ist noch offen, ob die geplante Online-Demonstration eine Debatte um die Sicherheit im Internet eröffnet oder ob tatsächlich das Thema Abschiebung stärker in die Öffentlichkeit rückt.

Ob die Lufthansa am 20. Juni tatsächlich offline gehen muss, ist unklar. Zwar gibt es laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in Bonn keinen sicheren Schutz in Form einer Software, um die Attacke abzuweisen. Doch die Rechnerkapazitäten sind groß. Das Unternehmen treffe Vorkehrungen, so die Lufthansa. Außerdem behalte man sich strafrechtliche oder zivilrechtliche Klagen gegen die Initiatoren vor.

Die Aktivisten gehen gelassen mit den angedrohten juristischen Konsequenzen um. Es gebe keinen Grund dafür, dass ein demokratisches Grundrecht im Internet außer Kraft gesetzt werden sollte, sagt Sven Meier von der Gruppe libertad. »Cyberspace ist ein weiterer öffentlicher Raum des digitalen Zeitalters.«

Die Kritik des antirassistischen Netzwerkes an den Abschiebungen weist das Unternehmen von sich. Die Lufthansa sei dazu verpflichtet, Personen zu befördern, die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren abgeschoben werden müssen und ein gültiges Ticket haben. Seit dem letzten Todesfall von 1999 befördert die Lufthansa nach eigenen Angaben keine Personen, die »erkennbar Widerstand leisten«. Aus diesem Grund habe das Unternehmen im vergangenen Jahr rund 200 Abschiebeversuche abgebrochen. Die Initiative kmii aber verlangt von der Lufthansa die Garantie, dass vor jedem Abflug geprüft wird, ob alle Passagiere mit dem Flug einverstanden sind.

Nach Protesten kritischer Aktionäre verkündete Lufthansa-Vorstand Jürgen Weber auf der Hauptversammlung vor einem Jahr, das Unternehmen werde in direkte Verhandlungen mit dem Bundesinnenministerium treten, um von der Beförderungspflicht entbunden zu werden, auf die sich die Lufthansa bei Abschiebungen stets beruft.

Ob das Bundesinnenministerium (BMI) und die Lufthansa wohl in ihren Gesprächsrunden aneinander vorbei reden? BMI-Sprecher Rainer Lingenthal meint, Webers Ankündigung sei so nie gefallen, die Lufthansa habe sie längst dementiert. »Es finden immer wieder mal vertrauliche Gespräche statt. Es gibt aber derzeit keine gravierenden Probleme«, sagt Dirk Inger, ein anderer BMI-Sprecher. Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty bestätigte dagegen Webers Aussage und einschlägige Gespräche: »Wir möchten mögliche Inhalte jedoch nicht in der Öffentlichkeit diskutieren.« Am 20. Juni wird Lufthansa-Chef Weber Gelegenheit haben, sich persönlich dazu zu äußern.