Fahndung nach 1. Mai-Demonstranten

Die Polizei bittet um Mithilfe

Behörden und WG-Küchen schmücken sich mit der vielleicht letzten Reliquie des autonomen 1. Mai.
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Das Springer-Blatt B.Z. hatte die Berlinerinnen und Berliner anlässlich des 1. Mai in dufte und doofe Berliner eingeteilt. Die duften verbrachten diesen Tag friedlich in irgendeinem Außenbezirk, die doofen schlugen mal wieder in Kreuzberg alles kaputt. Nun hat die Berliner Polizei ein Plakat mit 85 doofen Berlinern drucken und in Behörden aufhängen lassen. Die Porträts sollen Steinewerfer am 1. Mai rund um den Kreuzberger Mariannenplatz zeigen. Auf jeden Abgebildeten wurde ein Kopfgeld von 1 000 Mark ausgesetzt.

Das ist die konsequente Fortsetzung der Strategie des Innensenators Eckart Werthebach (CDU), die jährlichen Scharmützel am 1. Mai zu blankem Terrorismus hochzureden. Hinweise, die vor einer möglichen Bewaffnung der Täter warnen, fehlen allerdings. Nach Angaben der B.Z. sollen bereits die ersten Täter überführt worden sein. Drei hätten sich selbst gestellt, drei weitere seien denunziert worden. Wie vielen Leuten am Ende tatsächlich der Prozess gemacht wird und wie viele dann verurteilt werden, bleibt abzuwarten.

Werthebach, ein dufter Berliner, wird die Strafprozesse jedenfalls nicht mehr in seiner Funktion als Innensenator erleben. Der 1. Mai dieses Jahres dürfte eher sowas wie sein ganz persönlicher Showdown gewesen sein. Selten endet ein Western so bitter für den Sheriff. Erst stößt man ihn vom Pferd, dann übernehmen auch noch ausgerechnet die Indianer das Kommando. Dabei sollte er es positiv sehen. Am nächsten Tag der Arbeit kann er ausschlafen.

Berlins Autonome, die im Gegensatz zu Werthebach auch im kommenden Jahr wieder im Einsatz sein werden, haben zur Zeit hauptsächlich ein Problem. Woher bekommt man denn wenigstens eines der vier verschiedenen Fahndungsplakate für die eigene WG-Küche?

Andere beschäftigen sich mit der Frage, warum nur 85 Personen abgebildet, die Bilder jedoch bis 91 durchnummeriert sind. Offenbar wurden die Bilder 5, 23, 28, 41, 47, und 52 nachträglich wieder herausgenommen. Werthebachs Lieblingsfeindin, die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB), vermutet, dass es sich bei den fehlenden Bildern um Fotos von Zivilbeamten der Polizei gehandelt habe. Den Verantwortlichen für das Plakat sei das jedoch zu spät aufgefallen, um noch einmal alles neu zu nummerieren. Die Provokateure fürchteten offenbar, wiedererkannt zu werden, nachdem die AAB vor dem 1. Mai am Polizeipräsidium Fotos von Polizisten geschossen hatte, um eventuelle Straftäter aus den Reihen der Polizei überführen zu können.

Eine andere Erklärung wäre, dass sich die Polizeibeamten bei der Erstellung des Fahndungsplakates schlicht verzählt haben. Wer schon mal einen duften Berliner Wachtmeister an der Schreibmaschine bei der Aufnahme eines Protokolls erlebt hat, kann diese Möglichkeit jedenfalls nicht ausschließen.

Aus gewöhnlich schlecht informierten, aber zuverlässig kreativen Kreisen hört man, Werthebach habe nun sogar vorgeschlagen, dass nächstes Jahr von vornherein jeder Demonstrant gut sichtbar eine Nummer tragen müsse. »Wer nichts zu befürchten hat, braucht sich nicht zu verstecken«, soll er - wie aus diesen Kreisen verlautet - gesagt haben. Das würde der Polizei jedenfalls viel Kopfarbeit abnehmen. Und auch die Handarbeit ginge leichter vonstatten. Denn wer ständig mit dem Taschenrechner durch die Gegend laufen muss, hat keine Hand frei für den Knüppel.

Schade fast, dass es zu dieser Innovation des Demonstrationsrechts nicht mehr kommen wird. Denn nächstes Jahr gibt es ja keine Randale mehr am 1. Mai, wenn der Regierende Bürgermeister Gregor Gysi (PDS) und der Innensenator Wolfgang Wieland (Grüne) die Polizei ausschließlich zur Nazi-Abwehr nach Hohenschönhausen schicken.

Dann warten die Autonomen am Mariannenplatz vergebens, dass ein Wasserwerfer um die Ecke biegt, um die brennende Mülltonne zu löschen, die man feierlich angezündet hat. Vielleicht gehen die Abgebildeten auf dem Fahndungsplakat irgendwann als die letzten Helden des 1. Mai in die autonome Geschichte ein. Dann wird das Plakat vielleicht die letzte Reliquie dieses Mythos sein. Wer sich jetzt keines sichert, wird sich später garantiert ärgern!