Algerien bereichert den deutschen Ethnozoo um

Die Masiren

Im Falle Algeriens zeigt sich wieder einmal, dass gesellschaftliche Konflikte in Deutschland durch die völkische Brille gesehen und ihre Akteure zu ethnischen Zwangskollektiven essenzialisiert werden. Während bei den längst nicht mehr in erster Linie von kabylischen Jugendlichen ausgehenden Unruhen oder auf der Großdemonstration in Algier vorige Woche Parolen wie »Wir haben die Schnauze voll von diesem Regime« und »Weg mit dem Regime der Mörder« skandiert wurden, erteilten die hiesigen Agenturberichte völkerkundlichen Unterricht. »Die Berber, die sich in ihrer eigenen Sprache Imazighen nennen, gehören zu den europid-mediterranen Völkern und sind die älteste Bevölkerungsgruppe Nordwestafrikas«, erklärt uns der deutsche Dienst von Associated Press (AP) den berberischen Volkskörper. Entsprechend rückten randständige kulturelle Forderungen wie die Anerkennung der Berbersprache in den Vordergrund der Berichterstattung.

Im Gegensatz dazu hatten die kabylische Regionalpartei FFS und andere Kräfte bereits den sehr »ethnischen« Tonfall einer Resolution des Europaparlaments kritisiert, die vom »berberischen Volk« spricht, während ein Aktivist der Proteste seinerseits auch den FFS kritisierte, er wolle ebenso wie »die Staatsmacht versuchen, die Selbstorganisation zu blockieren und die Bewegung in das Fahrwasser einer regionalistisch-folkloristischen Bewegung zu bringen« (Jungle World, 23/01).

Eine solche Ethnisierung des Protests betreibt mit Entschiedenheit die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker. In einer Presseerklärung vom 14. Juni, dem Tag der Demonstration in Algier, verlangte sie, die algerische Regierung »müsse endlich die Hauptforderung der Demonstranten erfüllen und die Berber-Sprache Tamazight neben dem Arabischen als gleichberechtigte Sprache anerkennen«, und erklärte das Begehren nach »regionaler Autonomie« zum wichtigsten Anliegen der Bewegung. Es folgte das bei dieser völkischen Gesellschaft übliche völkerkundliche Geschwafel von der »Kultur der Masiren« und den »bekanntesten Masiren-Gruppen, (...) Kabylen und Tuareg«, das sich dann in Agenturmeldungen wie der von AP wiederfand. Das Ziel des Ganzen ist genau die von der FFS kritisierte Intervention der EU zugunsten einer vermeintlich unterdrückten »ethnischen« Minderheit. »Angesichts der anhaltenden Massenproteste der Kabylen kann die EU die Verweigerung grundlegender Menschenrechte in Algerien nicht länger ignorieren«, zitiert die Erklärung den »Afrika-Experten der GfbV, Ulrich Delius«.

Mittlerweile wurden über 80 Demonstranten von den algerischen Sicherheitskräften ermordet. Einen Vorstoß in Sachen völkischer Solidarität hatte bereits nach den ersten Unruhen Mitte Mai die Deutsch-Kurdische Gesellschaft unternommen. Sie protestierte gegen die »Massaker« und beeilte sich in einem Brief an den Arbeitskreis Tazmalt Tighri Umazigh di Lalman e.V. Die Freunde der Berberischen Kulturbewegung, »dem Volk der Masiren (Berber) unsere vollste Solidarität« zu bekunden und die »Diskriminierung der berberischen Kultur und Identität« in Algerien zu beklagen. »Wie die Masiren lebt das kurdische Volk als nationale Minderheit aufgesplittert auf mehrere Staaten.« Und weil das Herz für alle kämpfenden Völker pocht, wünscht man sich schließlich eine Intensivierung der Zusammenarbeit »zwischen unseren Organisationen und Kulturen«.

Während die kabylische Protestbewegung sich bisher aus guten Gründen ethnizistischer oder gar separatistischer Forderungen enthält und sich gegen ihre Folklorisierung wehrt, wird sie von den manischen deutschen Völkerfreunden flugs zum ethnischen Kollektiv erklärt. So wird für eine weitere »Menschenrechtsintervention« der EU getrommelt.