Umstrukturierung des ORF

Eine Schüssel Buntes

Ein neues Gesetz zur Umstrukturierung des ORF macht aus dem Proporzsender das österreichische Kanzlerfernsehen.

Eine Rückkehr nach Wien wollte Helmut Thoma nicht ausschließen. »Ich würde mir das schon anschauen«, antwortete der gebürtige Wiener kürzlich auf die Frage, ob ihn ein Job beim staatlichen Österreichischen Rundfunk (ORF) interessieren würde. Seitdem der Mann, der das Privatfernsehen in Deutschland erfunden hat, sich vom Posten des RTL-Generalintendanten in den Beraterstab des Senders zurückgezogen hat, berät er den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in Medienfragen.

Auf die Idee, beim ORF anzufangen, hat den agilen 62jährigen Wiener wohl einer der Emissäre der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gebracht, die derzeit auf Headhunting in Deutschland gehen und insbesondere bei österreichischen Exilanten vorstellig werden. An denen herrscht kein Mangel. Helmut Brandstätter, der Programmgeschäftsführer des Nachrichtensenders n-tv, und Hans Mahr, der Chefredakteur von RTL, sind gebürtige Österreicher. Auch Helmut Thomas Nachfolger bei RTL ist ein Import aus Österreich, Gerhard Zeiler war zuvor Generalintendant beim ORF.

Neues Spiel, neues Glück. Gesucht wird momentan ein neuer ORF-Chef. Thoma kennt die Gepflogenheiten des Senders. Bevor er nach Köln ging, um mit RTL auch den Grundstein für »Big Brother« und anderen Blödsinn zu legen, werkelte er in der Rechtsabteilung des ORF.

Angefragt haben Vertreter der FPÖ wohl auch beim ehemaligen Pro 7-Chef Georg Kofler, so verlautete es aus gewöhnlich gut informierten Kreisen. Der aber soll abgewunken haben, schließlich möchte er in den nächsten Jahren noch am Aufbau der multimedialen Tupperware-Party Home Shopping Europe beteiligt sein.

Auch wenn die Freiheitlichen den Richtigen für den neu zu schaffenden Job eines Generaldirektors des ORF noch nicht gefunden haben, so zeigt die Hektik der blauen Jobvermittler doch, dass die Tage des bisherigen Managements gezählt sind. Schließlich hat die blau-schwarze Regierung in den vergangenen Monaten viel Kraft darauf verwandt, ein neues Gesetz zu basteln, das aus der öffentlich-rechtlichen Anstalt eine Stiftung mit einem Generaldirektor an der Spitze macht und die Managementstrukturen massiv verändert. Aus der ständigen politischen Interventionsversuchen ausgesetzten Anstalt soll ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen werden.

Eine »Entpolitisierung« des ORF versprach die schwarz-blaue Koalition. Das bisher von den Parlamentsparteien beschickte ORF-Kuratorium, das auch den Generalintendanten wählte, soll einem Stiftungsrat weichen. Das neue Gremium soll nicht mit Politikern besetzt werden, und aus der von den Interessenverbänden gestellten Hörer- und Sehervertretung soll zukünftig ein unabhängiger Publikumsrat werden. Der Generalintendant wird dann Generaldirektor heißen und weit mehr Rechte haben als bisher.

Insbesondere seit der Machtübernahme der national-konservativen Wiener Regierung fiel die für politische Interventionen anfällige ORF-Konstruktion unangenehm auf. Selbst arg verdunkelte österreichische Fernsehzuschauer konnten etwa an den Nachrichten unschwer erkennen, welcher Partei der jeweilige Redakteur angehörte und welches Parteibuch sein Chefredakteur hatte. Meist war es - das liegt in der Natur der Sache - ein blaues oder ein schwarzes, die Inhaber der roten wurden weitgehend entmachtet.

So erging es etwa dem bisherigen Chefredakteur der mitternächtlichen Sendung »Zeit im Bild 3« (ZIB 3), Armin Wolf. Der bekennende Linke wurde vor wenigen Wochen degradiert und muss nun im Redaktionsteam einer anderen Nachrichtensendung eher subaltern mitarbeiten. Auch das politische Mittagsmagazin kam ins Gerede. Weil dessen Leiter als Sympathisant der Blauen galt, wurde die »Mittags-ZIB« bald als »Mittags-FIB« (»Freiheitliche im Bild«) verspottet.

Gerade wegen dieser erbärmlichen Performance bastelte die Regierung an einem neuen ORF-Konstrukt. Doch was nun herauskam, erzürnt die rot-grüne Opposition umso mehr. »Dies ist das Konzept einer Zerstörung des ORF bzw. die totale Machtübernahme durch Kanzler Wolfgang Schüssel bis zum Tag der Zerstörung«, meinte der sozialdemokratische Fraktionschef im Parlament, Josef Cap. So ganz Unrecht hat er nicht. Zwar wird der Stiftungsrat, der das bisherige Kuratorium ersetzt, nicht mehr proportional zur Mandatsstärke der Parteien im österreichischen Parlament aus Parteigängern rekrutiert. Parlamentarier, deren Sekretäre, kurzum alle offensichtlich parteipolitisch gebundenen Personen, dürfen nach dem Gesetzesentwurf nicht im Stiftungsrat sitzen. Also wird fortan nicht mehr die Mandatsaufteilung im Parlament zählen, sondern die Laune des Kanzlers.

Der hat dem Entwurf zufolge den direkten persönlichen und weitgehend willkürlichen Durchgriff: Neun der 35 Mitglieder werden direkt von ihm bestellt, und zwar ziemlich freihändig. Politische Freunde und jobsuchende Günstlinge des Kanzlers könnten demnächst im Stiftungsrat sitzen. Weitere neun Mitglieder des Stiftungsrates werden von den Landeshauptleuten der neun österreichischen Bundesländer entsandt. Sechs der neun Landeshauptleute gehören Schüssels ÖVP an, womit schon mal 15 der 35 Mitglieder des Stiftungsrates der Regierung oder dem Kanzler persönlich verpflichtet sind. Und Clubmitglied Nummer 16 wird vom Landeshauptmann Jörg Haider gestellt. Besser und sanfter kann man keine politischen Tatsachen schaffen und gleichzeitig suggerieren, dass die Zeiten des Parteibuch-Journalismus vorbei seien.

Dieser Stiftungsrat wiederum wird den neuen Generaldirektor wählen, der im Gegensatz zum derzeitigen Generalintendanten Gerhard Weis nach dem neuen ORF-Gesetz weitgehende Mitspracherechte bei der journalistischen Arbeit im ORF hat. »Generell wurde mit der Stiftungsratskonstruktion und der angeblichen Entpolitisierung die Macht des Bundeskanzlers über den ORF gestärkt. Der ORF ist damit mehr denn je der Willkür der Regierung, ihren Besetzungswünschen und ihren inhaltlichen Vorstellungen ausgeliefert. Die Opposition wird ausgebootet, die politische Einflussnahme wird geschickt getarnt«, kritisierte der grüne Mediensprecher Stefan Schennach.

Auch der Redakteursrat fürchtet den Einfluss des Kanzlers auf die Redaktionen. »Das Weisungsrecht des Generaldirektors, gepaart mit den Kontroll- und Aufsichtsrechten des Stiftungsrates, kann nur als Verlockung verstanden werden, politischen Druck auszuüben. Ein gefährlicher Anschlag auf Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit«, heißt es in einer Stellungnahme.

Der bisherige Generalintendant wird da wohl nicht mitmachen können. »Gerhard Weis wäre ein idealer Kandidat für den Generaldirektor«, säuselte zwar unlängst ÖVP-Klubobmann Andreas Khol, doch tatsächlich stehen die Chancen schlecht, dass sich Weis selbst beerben wird. Obwohl selbst konservativ, führt er eine Fehde mit der Regierung und wehrte sich in den vergangenen Monaten nach Kräften gegen die Interventionen der blau-schwarzen Garde. Seine Chancen, vom neuen Stiftungsrat gewählt zu werden, stehen deshalb schlecht.

Immerhin führt er einen Privatkrieg gegen Kanzler Schüssel, und der ist die graue Eminenz des neuen Stifungsrates. »Der Weis kann nur verlieren, wenn er wieder kandidiert. Ich glaube, der will den Schüssel jetzt noch ein paar Monate reizen und dann den Heldentod sterben«, vermutet auch ein ORF-Mitarbeiter.

Anfang nächsten Jahres soll der neue Generaldirektor dann gewählt werden. Die Headhunter der FPÖ werden also noch bei etlichen Medienösterreichern in Deutschland anfragen lassen. »Ich glaube«, kommentierte Helmut Thoma einmal den Erfolg seiner Landsleute in der Branche, »dass Österreicher für diese Berufe eine besondere Begabung haben.«