Waffenstillstand und EU-Politik

Hintertüren offen

Der von CIA-Chef Tenet ausgehandelte Waffenstillstand scheint zu halten. Die EU konzentriert sich unterdessen auf die ökonomische Erschließung des Nahen Ostens.

Israelische Truppen haben sich von ihren vorgeschobenen Positionen zurückgezogen und die Blockade palästinensischer Städte gelockert, die Zahl der palästinensischen Angriffe ging zurück, der vom CIA-Chef George Tenet ausgehandelte Waffenstillstandsplan hat zumindest vorübergehend die befürchtete weitere Eskalation gestoppt. Allerdings misstraut der israelische Premierminister Ariel Sharon weiterhin den Beteuerungen Jassir Arafats, dass seine Autonomiebehörde (PA) nun einen Waffenstillstand durchsetzen werde. Dass von palästinensischer Seite sogleich Vorbehalte gegen einige strittige Punkte des Tenet-Plans angemeldet wurden, hat dieses Misstrauen nicht verringert.

Zu den in diesem Plan vorgesehenen Maßnahmen gehört die Verhaftung von »bekannten« Terroristen; Israel hat bereits eine Liste von 28 Islamisten vorgelegt, die für Terroranschläge verantwortlich gemacht werden. Vertreter der PA erklärten jedoch, dass sie keine »rückwirkenden« Verhaftungen wegen Gewalttaten vor der Ausrufung des Waffenstillstands vornehmen würden. Arafats Problem: In einer in der vorigen Woche veröffentlichten Umfrage der Bir Zeit-Universität bekundeten nur noch 23 Prozent der Befragten ihre Unterstützung für seine Fatah-Bewegung, Hamas und Islamischer Jihad kamen zusammen auf 24 Prozent. Damit haben die Islamisten die nationalistische Fatah erstmals überflügelt.

Angesichts dessen scheint Arafat nicht bereit zu sein, das nach dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada geschlossene taktische Bündnis der »nationalen Einheit« mit den islamistischen Kräften aufzukündigen. Er hofft, dass Israel mangelnde Anstrengungen bei der Verhaftung von Islamisten toleriert, wenn der Waffenstillstand hält. Obwohl die islamistischen Organisationen - ebenso wie viele nationalistische Politiker - den Waffenstillstand zunächst ablehnten, halten sie sich eine Hintertür offen. Wenn die PA auf Verhaftungen verzichtet und Israel sich aus vorgeschobenen Positionen zurückzieht, könnte Hamas »in eine Periode des Rückzugs statt der Eskalation eintreten«, erklärte ein führender Hamas-Politiker gegenüber Al-Ahram Weekly.

Die Signale aus den palästinensischen Gebieten sind widersprüchlich. 78 Prozent der Palästinenser, so die Bir Zeit-Umfrage, befürworten eine Fortsetzung der Intifada. Die Zahl der Demonstranten, die am Dienstag vergangener Woche vor Arafats Hauptquartier in Ramallah gegen Tenets Waffenstillstandsplan protestierten, blieb mit etwa 1 000 jedoch relativ niedrig. Und als am Samstag bewaffnete Palästinenser aus einem Wohngebiet im Gaza-Streifen auf israelische Soldaten feuerten, versuchten Anwohner, sie daran zu hindern. Die Bewaffneten schossen daraufhin in die Menge und töteten einen zwölfjährigen Jungen.

Der Al-Aqsa-Intifada fehlt eine greifbare Perspektive. Die Anschläge auf Zivilisten haben die Vorbehalte in der israelischen Gesellschaft gegenüber palästinensischen Forderungen verstärkt, und Arafats Bemühungen, den Konflikt zu internationalisieren, hatten nur geringen Erfolg. So hat die Annahme des Tenet-Plans die führende Rolle der USA bei den Vermittlungsbemühungen bestätigt. Zwar bemühte sich die EU, ohne israelische Zustimmung eine Beobachtertruppe in den palästinensischen Gebieten zu stationieren (Jungle World, 25/01), doch nach israelischen Protesten blieb es bislang bei der Entsendung einiger Geheimdienstler.

In den vergangenen Wochen bereisten mehrere EU-Gesandte und Delegationen die Region. Die EU will sich die Länder südlich und östlich des Mittelmeers als Hinterhof sichern, eine tendenziell pro-palästinensische Position ist dabei ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA. »Wir sind sehr viel engagierter, viel aktiver«, erklärte der EU-Sondergesandte Miguel Moratinos am vorletzten Montag nach Gesprächen mit dem ägyptischen Außenminister Ahmed Maher. Die vorsichtig formulierte Erklärung des EU-Gipfels in Göteborg, die sich positiv auf die von den USA ausgehandelten Vereinbarungen bezieht, deutet aber darauf hin, dass die EU eher auf eine langfristige Strategie der ökonomischen Erschließung setzt. So versprach Dimitris Kourkoulas, der Vorsitzende der EU-Delegation im Libanon, bei einer von der Saint-Joseph-Universität organisierten Tagung, nach einem Friedensschluss werde man »die Rechnung bezahlen«.

Die EU scheint sich in besonderem Maße für den Libanon zu interessieren, dessen christlich-maronitische Oligarchie traditionell enge Beziehungen zu Frankreich unterhält. Für Syrien, dessen Wirtschaft noch überwiegend staatskapitalistisch organisiert ist, ist der Libanon ein vorgelagerter Standort für Handels- und Bankgeschäfte; eine starke Stellung der EU im Libanon würde somit auch eine Erschließung des syrischen Marktes erleichtern. Für das syrische Regime war die andauernde Konfrontation mit Israel bislang die zentrale Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der Diktatur. Wenn Assad diese Rechtfertigung aufgibt, wäre Wirtschaftshilfe sicherlich willkommen, um das Regime zu stabilisieren.

Während für Assad der Frieden gefährlich ist, wird die jordanische Monarchie durch die Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes bedroht. Etwa 1,5 Millionen Palästinenser leben im Land, und mehr sollen es offenbar nicht werden. Am vergangenen Donnerstag traten Einreisebeschränkungen in Kraft. Sie sollen »die Standhaftigkeit des palästinensischen Volkes erhöhen« und es den Palästinensern »ermöglichen, in ihrem Heimatland zu bleiben«, so Innenminister Awad Khleifat.

Am Samstag verkündete König Abdullah dann eine Kabinettsumbildung und löste das Parlament auf. Die für kommenden November geplanten Wahlen aber werden wahrscheinlich verschoben; die Entscheidung des Königs soll in dieser Woche bekannt gegeben werden. Offiziell wird von der Notwendigkeit gesprochen, zunächst ein neues Wahlgesetz zu verabschieden. Tatsächlich aber ist die Regierung besorgt über die soziale Unzufriedenheit, die von der liberalisierten Wirtschaft verursacht wurde . Ein hoher Beamter erklärte gegenüber der Jordan Times: »Die Leute müssen eine Verbesserung in ihrem Leben sehen, und sie werden uns nicht zuhören, wenn wir darauf verweisen, dass alle regionalen Umstände gegen uns sind.«