Regionalisten fordern Autonomie

Kein Staat zu machen

Zehn Jahre nach der Sezession von Jugoslawien melden sich nun in Kroatien selbst separatistische Kräfte. Istrische und dalmatinische Regionalisten fordern vorerst jedoch nur mehr Autonomie von Zagreb.

Der kroatische Ministerpräsident Ivica Racan blättert im nationalen Familienalbum. Mit dem Appell an die »glorreichen und inspirierenden Tage« zwischen 1991 und 1995 versucht der sozialdemokratische Premier, rund eineinhalb Jahre nach dem Tod Franjo Tudjmans, seine Regierung aus einer Krise zu führen, die genau genommen Anfang letzten Jahres mit dem Antritt der Sechserkoalition unter Racan begann. In seiner Ansprache zum Tag der Souveränität am 30. Mai kündigte er die Errichtung eines Nationaldenkmals an, das »im Namen der nationalen Einheit zur Überwindung der Spaltung« beitragen soll. Denn bei den Wahlen zu den 21 Bezirksparlamenten Mitte Mai zeigte sich, dass das Regierungsbündnis kaum mehr auf Rückhalt in der kroatischen Bevölkerung zählen kann.

Stattdessen wurden jene Parteien gewählt, die am offensivsten die jeweiligen regionalen »Besonderheiten« propagieren. Racan kommentierte in wilhelminischer Manier den sich manifestierenden Regionalchauvinismus und erklärte: »Der Vaterländische Krieg hat Kroatien vereinigt wie nichts anderes in unserer langen Geschichte. Während dieser Zeit gab es keine Linken oder Rechten, es gab keine politischen, sozialen, kulturellen oder irgendwelche anderen Unterschiede.«

Die Reaktion der Regionalisten ließ nicht lange auf sich warten. Die Istrische Demokratische Partei (IDS) kündigte aus Protest ihre Mitarbeit an der Regierung. Das allein wäre für den Ministerpräsidenten kein Grund zur Sorge, denn seine Koalition ist auf die Stimmen der vier IDS-Abgeordneten nicht angewiesen. Schlimmer sind die unübersehbaren sezessionistischen Tendenzen auf der istrischen Halbinsel.

Bereits vor den Wahlen hatte die IDS-Mehrheit im istrischen Regionalparlament eine Quasi-Autonomie proklamiert. In dem dazu verabschiedeten Statut ist von größerer wirtschaftlicher und politischer Eigenständigkeit die Rede. Zudem will man Italienisch als zweite Amtssprache einführen und auf dem Gebiet der »Dieta Istriana« die Bezeichnung »Istrier« als offiziellen Ausdruck der »Zugehörigkeit zur multi-ethnischen Gemeinschaft Istriens« etablieren. Mit dem Parteivorsitzenden Ivan Jakovic, der im Kabinett Racans den Posten des Ministers für Europäische Integration innehat, hat das von deutschen Eurostrategen forcierte Konzept des »Europa der Regionen« gleich auch einen neuen Protagonisten gefunden.

Erst vor kurzem hatte sich eine Regierungskonferenz mit der Dezentralisierung Kroatiens beschäftigt und den regionalen Institutionen mehr Geld und Kompetenzen zugesprochen. Trotzdem wurde die sich selbst als liberal bezeichnende IDS unter Verweis auf die früheren Istrischen Autonomiestatute von 1921 und 1998 in anderen Teilen Kroatiens scharf attackiert.

Ausgerechnet die Abspaltungsprofis in Tudjmans Kroatischer Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) warfen der IDS Sezessionismus vor, während die Regierung den wachsenden Regionalismus für den Erfolg der HDZ bei den jüngsten Wahlen verantwortlich machte. Nachdem Racan das IDS-Statut an das Verfassungsgericht weitergeleitet hatte, warnten Regierungsvertreter davor, dass dieses Vorgehen des Premiers andere Minderheiten in Kroatien zur Nachahmung motivieren könne.

So erkennt die rechtspopulistische Tageszeitung Slobodna Dalmacija in den Wahlergebnissen der serbischen Parteien eine erneute Bedrohung durch »großserbische Bestrebungen«. In der Krajina und in Ostslawonien, wohin ein Teil der serbischen Bevölkerung nach ihrer Vertreibung zurückgekehrt ist, haben die serbischen Parteien zusammen 40 Prozent der Stimmen errungen. Doch auch die rechtsnationale ehemalige Regierungspartei HDZ konnte hier einen beachtlichen Stimmenanteil verbuchen.

Insgesamt ging die HDZ als stärkste Partei aus dem Wahlgang hervor, vor allem in der südlichen Region Dalmatien. Die dalmatinische Hauptstadt Split wurde von Tudjman systematisch zu einer militärisch-ideologischen Bastion aufgebaut. Deshalb konzentrieren sich heute dort die Kriegsveteranen und alten Tudjman-Anhänger, deren »Kommandos zum Schutz der Würde des Vaterländischen Krieges« äußerst aktiv sind. Zu diesem illustren Kreis zählt auch der konservative deutsche Tito-Biograph Carl-Gustaf Stroehm. Unter dem Motto »Ein kroatisches Split für ein freies Dalmatien« rufen die Kommandos zur Solidarität mit den vermeintlichen Opfern der nominell sozialliberalen Regierung in Zagreb auf. Zum politischen Repertoire der Tudjman-Fans in Split gehören bezahlte Demonstrationen gegen die Regierung und Terroranschläge. Zuletzt starteten sie eine Unterstützungskampagne für die noch von Tudjman eingesetzte und nun geschasste Chefredaktion der Slobodna Dalmacija.

Auch die Hooligans von Hajduk Split reihen sich in die örtliche Opposition ein. Der Fanblock schmückt sich mit Transparenten, die die »Ehre der vaterländischen Krieger« beschwören. In Anlehnung an die faschistische Ustascha (Aufständische) nennen sie sich »Neue Aufständische«. Anfang Mai kam es bei einem Meisterschaftsspiel gegen Dynamo Zagreb in der gesamten Innenstadt zu stundenlangen Straßenschlachten mit der Polizei und den verhassten Gegnern aus dem vermeintlichen »roten Norden«.

Racans völkische Rede entsprach jedoch nur seinen Konzessionen an die HDZ. So wurde der bisher einzige inhaftierte Tycoon der Tudjman-Ära, Miroslav Kutle, im vergangenen Monat wieder freigelassen, weil angeblich keine ausreichenden Beweise vorlagen.

Auch in den Beziehungen zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina bleiben die relevanten Punkte ungeklärt, etwa die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit. Stattdessen verabschiedete das Parlament im März eine Resolution, derzufolge Kroatien nie einen Aggressionskrieg gegen Bosnien geführt habe. Wer diesen Geschichtsrevisionismus kritisierte, wurde von Regierungsmitgliedern als »Vaterlandsverräter« tituliert.

Während die kroatische Regierung die regionale Zersplitterung des eigenen Staates aufhalten will, unterstützt sie jenseits aller offiziellen Verlautbarungen den Sezessionismus der bosnischen Kroaten. So bewunderte der Regierungsvertreter Zdravko Tomac im herzegowinischen Mostar sein Verständnis für die Unzufriedenheit der kroatischen Bevölkerung und schwadronierte über ein von Kroatien initiiertes zweites Dayton-Abkommen. Und Racan verteidigt offen den so genannten Budisa-Plan, der vorsieht, das gesamte bosnische Territorium in ein Dutzend Kantone aufzuteilen.

Konfrontiert mit den regionalistischen Tendenzen im eigenen Land, schreibt sich die Racan-Regierung die nationale Integration auf die Fahnen und übernimmt dabei mehr und mehr die völkische Rhetorik von Tudjmans »Regierung der demokratischen Einheit«. Die HDZ allerdings wird sich damit nicht zufrieden geben und fordert bereits vorgezogene Neuwahlen. Offenbar will sie sich auch vom rechtsradikalen Populismus verabschieden und eine »seriöse Form« annehmen. Erklärtes Vorbild des Parteichefs Ivo Sanader ist dabei die bundesdeutsche CDU.