Der Fußballverein Roter Stern Leipzig

Linksaußen in der Kreisklasse

Rebellion oder Aufstieg? Über den Alltag des etwas anderen Fußballvereins Roter Stern Leipzig

Ein Fußballveteran mit orangefarbenem Anglerhut legt Kampflieder aus den Dreißigern und Hiphop aus der Gegenwart auf. Jemand grillt Bratwurst, es gibt Bier und Eis am Stiel. Es ist Sonntag und die Sonne scheint auf 200 Fans im Sportpark Dölitz, während ihr Verein spielt: Roter Stern Leipzig. Es gab schon Spiele, bei denen wohl für Hunderte Mark Böller und Nebelgranaten verschossen wurden. Heute ist Gelassenheit angesagt. Für Fußball der dritten Kreisklasse ist es aber allein schon unerhört, eine derart große Anzahl Leute zu ganz normalen Punktspielen zu locken. In der Regel finden sich außer den Mannschaften höchstens ein paar Familienmitglieder, Kumpels oder Freundinnen ein. Doch Roter Stern ist alles andere als ein ganz normaler Sportverein. Zumindest im Fanzine Prasses Erben gilt seit dem Start der Sterne in der Saison 1999: Sieg oder Spielabbruch. Und so begann die erste Männermannschaft mit ihrem Durchmarsch in der dritten Kreisklasse, setzte ihn in der zweiten fort und bereitet sich an der Tabellenspitze auf den weiteren Aufstieg vor. Der Mob kümmerte sich derweil um den Abbruch, etwa als einem Schiedsrichter irgendwann zuviele Knaller auf den Platz flogen und die Beschimpfungen Überhand nahmen. Da konnte die Lokalpresse aufgeschreckt vom ersten Spielabbruch seit Jahren schreiben. In der zweiten Mannschaft geht es dagegen um den puren Spaß am Spiel. Im Mittelfeld der dritten Liga kann man nicht absteigen. Neben klassischem Männerfußball trainiert beim Roten Stern seit geraumer Zeit auch ein Frauenteam, das zur nächsten Saison in die dann neu eröffnete Leipziger Liga einsteigen will. Volleyball wird auch gespielt, und sogar eine Schachabteilung gibt es, von der aber selbst der Vorstand nicht genau sagen kann, was sie eigentlich gerade macht. Als sich letztes Jahr in Sachsen Flüchtlinge selbst organisierten, gründete sich aus fußballbegeisterten Bewohnern diverser Heime Leipzigs und der Umgebung ein Team, das beim Roten Stern angesiedelt wurde. Der Verein besorgte einen Satz Schuhe, einige Zeit trainierten die Migranten auch in Dölitz und in einem Freundschaftsspiel gegen Roter Stern II gewannen sie haushoch. Mittlerweile ist das Ganze jedoch wieder eingeschlafen. Die Schuhe stehen unbenutzt in der Kabine. In Leipzigs linker Szene war Roter Stern dagegen ein Shootingstar, der zur festen Größe wurde. Auf der neuesten Aufkleberkollektion steht's noch deutlicher: »eine Religion«. Selbst Fußballhasser stehen bisweilen auf dem Rasen und sonntags um eins heißt es: sehen und gesehen werden. Am Anfang standen aber tatsächlich nur einige Leute, die Fußball spielen wollten und die Nase voll von klasssischer Vereinsmeierei mit Bierbauch und Oberlippenbart hatten. Es sollte ein etwas anderer Verein werden, und »weil sie Zecken waren«, nannten sie sich Roter Stern. Obwohl der Verein nicht gegründet wurde, um Politik zu machen, gab es doch von Anfang an einen politischen Anspruch. Auf den wöchentlichen Plena wurde ein antifaschistisches, antirassistisches und antisexistisches Selbstverständnis definiert, und es sah eine Zeit lang so aus, als stecke in den Scharen der Stern-Fans ein Mobilisierungspotenzial wie schon lange nicht mehr. Bei Demos gab es Blöcke des Vereins mit eigenem Transparent, nach Konzerten der vereinsnahen Band - auch so etwas gibt es - S.U.F.F. gab es Randale mit der Polizei, aus Leipzig fuhr ein Bus zur Antirassistischen Weltmeisterschaft nach Italien. Als von einem Spieler bekannt wurde, dass er sich als Bundeswehrsoldat freiwillig für das Kosovo gemeldet hatte, wurde er aus dem Verein gemobbt. Aber ebenso, wie Dreadlocks an der Uni noch lange nicht auf linkes Potenzial schließen lassen, machen Hunderte Kapuzenshirts mit roten Sternen im Straßenbild des Leipziger Südens noch keine Weltrevolution. »Es gibt halt verschiedene Leute mit verschiedenen Interessen. Für die einen ist es eher Fußball, für die anderen Politik«, erzählen Aktivisten, wenn man nach der Rolle der Politik im Verein fragt. »Es ist nicht der Verein, der Politik macht, sondern im Verein kann Politik gemacht werden.« Roter Stern Leipzig ist also zunächst ein subkulturelles Projekt, in dem auch politisch diskutiert wird. Man wird außer den erwähnten Grundsätzen aber von niemandem eine vorgeschriebene Meinung, »so 'ne Art Parteiprogramm des Vereins«, wie ein Mitglied es nennt, zu hören bekommen. Als im letzten Dezember der sächsische Verfassungsschutz bekannt gab, er halte den Verein für eine Organisation der extremen Linken, die mithilfe des Sports versuche, Jugendliche in die linksradikale antifaschistische Szene zu locken, erschraken einige Mitglieder. Gerüchte, die Stadt Leipzig und der Stadtsportbund planten Sanktionen, führten dazu, dass einige Vereinsmitglieder in einem Interview mit der Szenezeitschrift KlaroFix erklärten, sich »von der Idee verabschiedet zu haben, Politik zu machen, weil unsere Gemeinnützigkeit auf dem Spiel steht und wir ja unpolitisch sein müssen«. Die Vereinspräsidentin und andere Aktive wollen das aber keinesfalls so stehen lassen. »Das Dogma vom unpolitischen Sport lehnen wir ab.« Dafür spricht nicht nur die massive Beteiligung in sportpolitischen Zusammenhängen wie dem Bündnis Aktiver Fußball-Fans (Baff). Unpolitisch kann der Verein schon deshalb nicht sein, weil Aktive und Fans sich auch immer wieder mit dem Thema Sexismus beschäftigen müssen. Es gab dazu ausdauernde Debatten, und die Leute wissen, dass bestimmte Sprüche auf dem Platz nicht geduldet werden, wenn die Sterne spielen. Gerade beim Fußball ist das ein hartes Stück Arbeit. Männer bilden die Mehrheit der 100 Vereinsmitglieder, und da wird »zum Teil gut geprollt«, wie ein Mitglied sagt. Im Forum auf www.roter-stern-leipzig.de stößt man auch mal auf einen Beitrag, der mit »Forza Roter Stern! Vergewaltiger-Front gegen Rechts« unterzeichnet ist. Darauf angesprochen, wiegeln die einen ab: »Die wollen halt bloß provozieren ...«, während andere Mitglieder die Schließung des Forums fordern. Politischer Anspruch und Szenewirklichkeit gehen eben oft auseinander. Aber im Vergleich zum Alltag in normalen Fußballvereinen herrscht beim Roten Stern dennoch ein deutlich besseres Klima. Der Altersdurchschnitt der Sterne liegt bei 23 Jahren, für viele ist es das erste Mal, dass sie aktiv werden. Deshalb krankt das Ganze auch an den einschlägigen Problemen wie informellen Hierarchien und Plena, wo wenige hingehen und kaum jemand den Mund aufmacht. Es soll zwar vermieden werden, dass immer dieselben Leute Verantwortung übernehmen, »aber das läuft schlecht«, nörgelt die Präsidentin. So kommt es auch mal vor, dass sich Mitglieder, die im Nebenberuf PDS-Mitarbeiter sind, zu Vereinssprechern ausrufen. Der Richtungsstreit um Aufstieg oder Rebellion geht indes weiter. Mit Kampfliedern und HipHop.