Paul Spiegels Rede beim öffentlichen Bundeswehrgelöbnis

Freibrief für die Truppe

Für stramme Militaristen war's sicher der Horror. Ein Ungedienter, ein Schwuler und ein Jude schritten die Formation der zum feierlichen Gelöbnis Angetretenen ab, und zwar am Gedenktag für die Widerständler um Claus Graf Schenk von Stauffenberg, die in solchen Kreisen mit dem Ruch des Eidbruchs und des Landesverrats behaftet sind. Riecht nach Festakt eines modernen demokratischen Nationalstaats, eines geläuterten Deutschland.

Genau darin liegt der politische Irrtum, genau das ist die Falle, in die Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, tappte. Er glaubt daran, dass eine Großmacht ein moderner demokratischer Nationalstaat sein kann, mit einer Armee, die kein Fremdkörper in der Demokratie wäre, sondern sogar das Multikulti-Ideal realisierte. Schlimmer noch: Spiegel sieht diese Möglichkeit im neuen Deutschland verwirklicht, zumindest sieht er Deutschland auf dem besten Wege dahin. Seine Rede bei dem Gelöbnis soll wohl ein weiterer Schritt gewesen sein.

Ach, wenn Spiegel mit seiner Einschätzung doch wenigstens nicht völlig daneben läge! Doch er wusste nur wenig aufzubieten, was ihn bestätigte. Einige Soldaten hätten am Victor-Klemperer-Wettbewerb teilgenommen, es gebe zahlreiche Soldaten nicht deutscher Herkunft in der Bundeswehr, und zwar »aus über 80 Nationen«.

Und sonst? Gewiss entbehrte Spiegels Rede nicht einiger kritischer Spitzen, angefangen damit, dass ausgerechnet bei einem militärischen Zeremoniell von anno dazumal die zentrale Botschaft »Zivilcourage« lautete. Doch Ort und Anlass der Rede setzten dem Sagbaren enge Grenzen.

In Spiegels Rede klaffen Lücken; kaum vorstellbar, dass er es nicht besser wusste. Der Antisemitismus mancher Männer des 20. Juli kam nicht zur Sprache; es blieb bei der trockenen Bemerkung, dass diese Militärs doch arg spät ihren Versuch unternahmen, Hitler auszuschalten. Als Spiegel von den 100 000 jüdischen Deutschen sprach, die im Ersten Weltkrieg für das Kaiserreich kämpften, blieb nicht nur das Verbrechen dieses Griffs nach der Weltmacht ungenannt. Ungenannt blieb auch die der antisemitischen »Drückeberger«-Propaganda folgende Judenzählung in der Armee, die dem deutschen Antisemitismus weiteren Aufwind gab. Bedauernd stellte Spiegel nur fest, dass die Deutschen den jüdischen Kriegsteilnehmern ihren Einsatz für das vermeintliche Vaterland später nicht dankten.

Anders als sein Vorgänger, Ignatz Bubis, annahm, legt die rot-grüne Bundesregierung doch Wert auf das Tüv-Siegel des Präsidents des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er soll die innen- und außenpolitische »Normalisierung« absegnen, von der der damalige Außenminister, Klaus Kinkel, in seinem »Manifest für den dritten deutschen Versuch« (Jürgen Link) im März 1993 sprach: »Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht.«

Diese Rückkehr zur »Normalität«, ein Deckwort für »Großmacht«, ist nun, in anderer Regierungskonstellation, vollbracht. Wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping zur Vorbereitung der deutschen Beteiligung am Nato-Angriffskrieg auf Jugoslawien im Februar 1999 Bundeswehrsoldaten durch das Vernichtungslager Auschwitz stapfen ließ, so lud er am Vorabend des Einsatzes in Mazedonien, in Vorausschau auf den übernächsten, wohl im Nahen Osten, Spiegel ans Rednerpult. Und dem bereitete die Einladung durch den neben Joseph Fischer wohl schlimmsten praktischen Relativierers von Auschwitz »keine Kopfschmerzen«. Er kam »gerne« und verlieh, man mag es nicht glauben, das Tüv-Siegel für die Großmacht.