»Der Holocaust wird verniedlicht«

Interview mit dem Senior Associate National Director der Anti Defamation League (ADL), Kenneth Jacobson

Was halten Sie von der Forderung, den Zionismus als eine rassistische Ideologie zu verurteilen?

Wir sind äußerst besorgt, dass auf dieser Konferenz, die wir unterstützen, einmal mehr innerhalb der UN der Zionismus einseitig verurteilt und der Holocaust verniedlicht werden soll. Wir haben zusammen mit der US-Regierung versucht, die Vorbereitungssitzungen zu beeinflussen, damit diese Punkte nicht zu offiziellen Resolutionen werden.

Aber es ist klar, dass die Ereignisse der letzten zehn Monate in Israel diese Debatten stark beeinflussen und den radikalen arabischen Ländern helfen, wieder ihre Propaganda zu verbreiten.

Eine Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus durch die UN wurde schon mehrfach gefordert. Was unterscheidet die heutige Situation von früheren Versuchen?

Diese anti-israelische Strategie ist zwar niemals wirklich verebbt, sie hatte aber nach der Beendigung des Kalten Krieges und dem beginnenden Friedensprozess deutlich an Bedeutung verloren. 1991 wurde ja auch die »Zionismus ist Rassismus«- Resolution von der UN zurückgezogen.

Dabei ist es immer noch eine kontroverse Frage, wie tief der Antisemitismus in der arabischen Welt verankert ist. Manche Leute sehen ihn nur als Teil des Nahost-Konfliktes, der in Krisensituationen stärker in den Vordergrund tritt. Auch ich habe daran geglaubt, bis ich jetzt feststellen musste, dass es eine explosionsartige Zunahme antisemitischer Äußerungen in den arabischen Ländern gibt, die von den Regierungen nicht nur toleriert, sondern sogar gefördert werden.

Am Beispiel der arabischen Haltung gegenüber dem Holocaust lässt sich diese Veränderung zeigen. Früher hieß es: Warum sollen wir, die Araber, den Preis zahlen für das, was die Europäer, beziehungsweise die Deutschen, den Juden angetan haben? Das war zumindest ein plausibles Argument, auch wenn ich damit nicht übereinstimme. Neuerdings wird der Holocaust immer häufiger ganz geleugnet, und die Araber erklären, dass die Juden übertreiben oder den Holocaust erfunden hätten, um sich so die Unterstützung der Welt zu sichern. Das ist ein grundlegender Wandel. In den arabischen Ländern hat immer eine gewisse Feindschaft gegenüber Israel existiert, doch das ist jetzt eine manifeste antisemitische Haltung.

Handelt es sich nicht um eine neue Qualität, wenn in den UN-Papieren sogar die Vertreibung der Palästinenser als weiterer Holocaust bezeichnet wird?

Sie haben völlig recht. Diese Argumentation breitet sich aus, entwickelt eine eigene Dynamik und findet jetzt sogar Eingang in offizielle UN-Papiere. Das funktioniert nach einem bekannten Muster. Zuerst hält man derartige antisemitische Diffamierungen für verrückt; wenn sie jedoch ständig wiederholt werden, fangen die Leute an, irgendwann ein Körnchen Wahrheit in ihnen zu entdecken. Und das ist sehr gefährlich, weil es dem Konflikt die rationale Grundlage nimmt und ihn antisemitisch auflädt.

Glauben Sie, dass der arabische Antisemitismus inzwischen ein Massenphänomen, ein kultureller Code geworden ist?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben es mit Manifestationen zu tun, die nicht unbedingt die Meinung der Öffentlichkeit widerspiegeln. Aber wenn antisemitische Äußerungen dauernd und unwidersprochen wiederholt werden, haben sie das Potenzial, sich zu einer Massenkultur zu entwickeln. Es hat immer eine feindliche Grundstimmung gegen Juden in der arabischen Welt gegeben, aber sie ging nie sehr tief. Ich war bislang nicht bereit, der These zuzustimmen, dass die arabische Öffentlichkeit antisemitisch ist. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht, ohne dass es vehementen Einspruch gibt, könnte das eines Tages passieren. Der arabische Antisemitismus sollte viel ernster genommen werden, als der Westen ihn gerade nimmt. Bisher ist die Haltung: Es gibt einen bewaffneten Konflikt, und da machen eben beide Seiten ihre Propaganda.

Aber die USA haben doch sogar mit einem Boykott der UN-Konferenz gedroht, sollten die antisemitischen Stellen nicht gestrichen werden?

Die USA bekämpfen diese Entwicklung bislang auf eine großartige Art, die Europäer aber leider nicht, obwohl sie das Problem und die von ihm ausgehende Bedrohung sehr wohl verstehen. Selbst Kofi Annan hat die »Zionismus-ist-Rassismus«-Resolution von 1975 als den Tiefpunkt in der Geschichte der UN bezeichnet. Die Frage ist jedoch: Wie geht man damit um? Die Europäer nehmen den Nahost-Konflikt völlig verzerrt wahr. Das mindert auch ihre Bereitschaft, sich klar gegen diese Form des Antisemitismus zur Wehr zu setzen.

Das hat politische Konsequenzen und Auswirkungen auf die öffentliche Meinung. Häufig höre ich, die amerikanischen Medien neigten zu einer einseitigen Berichterstattung über Israel. Diesen Leuten pflege ich zu sagen: Wenn Ihr wirklich ein einseitiges Bild sehen wollt, müsst Ihr nach Europa gehen.

Es ist doch wahnwitzig, wie jetzt in Europa versucht wird, Israel die Schuld an diesem Konflikt zu geben, obwohl in Camp David die Grundlage für eine Einigung gelegt war und Israel so klar wie nie demonstriert hat, dass es Frieden will und zu weitgehenden Kompromissen bereit ist, während die Palästinenser sich keinen Millimeter bewegt haben.

Welches Verhältnis zu Europa hat Israel?

Ein ambivalentes Verhältnis. Es gibt zwar sehr enge ökonomische Beziehungen, aber wenn es um den Friedensprozess geht, hat Israel keine guten Erfahrungen gemacht. Als Joseph Fischer während des Diskotheken-Attentats in Israel war, hat er gegenüber Arafat eine ziemlich deutliche Sprache gebraucht. Für mich war das ein gutes Beispiel, welchen Einfluss die EU und Deutschland auf die Palästinenser haben.

In Deutschland wurde der Fischer-Besuch aber anders wahrgenommen. Man forderte einen stärkeren Einfluss Europas und Deutschlands.

Ich sehe diesen Punkt, und ich will natürlich nicht, dass Deutschland jetzt irgendwelche Alleingänge unternimmt. Ich meine aber, die EU als Ganzes müsste zusammen mit den USA endlich Druck auf Arafat ausüben, den Terror einzustellen. Zwar glaube ich nicht, dass dies passiert, aber es ist meine einzige Hoffnung für den Fortgang des Friedensprozesses. Ich habe das Gefühl, dass die Europäer mit ihrem Verhalten nur Arafats augenblicklichen Kurs stärken. Und es wäre ein weiterer Rückschlag, wenn sich in Durban die Positionen der Radikalen durchsetzen. Das würde Arafat in seiner unnachgiebigen Haltung bestärken, weil es die Unterstützung wäre, die er momentan braucht.