Wenn Jäger sammeln gehen

Die Entwaffnungsaktion der Nato in Mazedonien hat begonnen. Einen dauerhaften Frieden wird die halbherzige Kollekte wohl kaum schaffen.

Beinahe täglich verbreitete die Nato in der vergangenen Woche Jubelmeldungen über den Stand der Waffensammlung in Mazedonien im Rahmen der Operation »Essential Harvest«. »Deutlich mehr als das angepeilte Drittel der 3 300 Waffen« der UCK-Terroristen wollten die Sammler der Nato am Freitag nachmittag bereits entgegen genommen haben, mehr als 1400 Stück. Die UCK kooperiere vorbildlich mit der Nato, in den 30 Tagen des Einsatzes werde man sicherlich die 3 300 Waffen eingesammelt haben.

Die fröhliche Waffensammelei ist jedoch nichts weiter als die Camouflage für ein äußerst zweifelhaftes Krisenmanagement. Inzwischen nämlich ist die Sammelaktion beinahe zum nebensächlichen Detail einer militärischen Operation geworden, die nur zwei Möglichkeiten vorsieht: Entweder nach 30 Tagen mit den eingesammelten Waffen abzuziehen und das völlig erodierte mazedonische Staatswesen seinem Schicksal zu überlassen. Oder aber sich mit dem Konzept einer »mission creep«, also eines erweiterten Mandats, anzufreunden und in einem immer unübersichtlicher werdenden Bürgerkrieg als Puffer zu dienen. Derzeitiger Status der militärischen Überlegungen der Nato: Variante eins, die »Nach uns die Sintflut«-Methode.

Wie leicht der ohnehin zähe Friedensprozess scheitern kann, zeigte schon das vergangene Wochenende. In Skopje kam es zu mehreren Bombenanschlägen, bei Tetovo wurden zwei Personen von Unbekannten entführt. Und am Samstag unterbrach eine Rede des extrem nationalistischen mazedonischen Parlamentspräsidenten Stojan Andov die Parlamentsdebatte über die politische Reform zur Besserstellung der albanischsprachigen Minderheit in Mazedonien: »Wir können nicht zulassen, dass unsere eigenen Bürger misshandelt werden.«

Es ist durchaus möglich, dass sich für die Reform der mazedonischen Verfassung keine Mehrheit findet. Denn der Auslöser für die Unterbrechung der Parlamentsdebatte war der Umstand, dass Albaner in der Nähe Tetovos einigen Hundert Mazedoniern den Weg zu ihren Wohngebieten versperrten, aus denen sie vor den Angriffen der UCK-Terroristen fliehen mussten. So wird die Rückführung der rund 70 000 innerhalb des Landes vertriebenen Mazedonier zur wohl größten Belastungsprobe für den derzeitigen Waffenstillstand. Nach dem Abrücken der Nato sollen die von der UCK ethnisch gesäuberten Gebiete wieder mit slawischsprachigen Mazedoniern besiedelt werden.

»Es sieht so aus, als hätte die Nato etwa die Rückführung der Flüchtlinge als Voraussetzung zur Umsetzung der politischen Reformen absichtlich vergessen«, meint der mazedonische Premier Ljubco Georgievski. Die schwache OSZE soll offenbar die Wiederansiedlung der Flüchtlinge nach dem Ende der Nato-Mission überwachen, was schon allein angesichts der personellen Stärke der Organisation ziemlich kühn anmutet. Nur 26 OSZE-Beobachter arbeiten derzeit in Mazedonien an vertrauensbildenden Maßnahmen. 25 weitere hat die Mission in Skopje angefordert, doch selbst das scheitert womöglich an politischen Differenzen im OSZE-Hauptquartier in Wien. Einige Mitgliedsstaaten wollen nun die Uno mit dem Nachkriegs-krisenmanagement betrauen. Den Realisten innerhalb der OSZE kommt das durchaus gelegen. »Wir können das Vakuum nach dem Abzug der Nato nicht füllen. Und selbst wenn wir es personell könnten, würden wir das nicht wollen«, sagte Harald Schenker, Sprecher der OSZE-Mission in Skopje, der Jungle World.

Zu frisch sind noch die Erinnerungen an die politische Niederlage der OSZE im Kosovo vor zwei Jahren. Ein wesentlicher Grund für die Skepsis ist auch die magere Ernte an Waffen, die die Nato einsammeln will. Sämtliche Beobachter gehen davon aus, dass jene 3300 Waffen nicht ein Drittel des gesamten Reservoirs der UCK darstellen. Je mehr militärisches Gerät aber in den Händen der UCK bleibt, desto größer ist das Risiko eines neuen Waffengangs nach dem Abzug der Nato. Immerhin sieht das Abkommen zwischen der westlichen Interventionsmacht und der mazedonischen Regierung vor, dass nach der Teilentwaffnung wieder mazedonische Armee-Einheiten in die von der UCK kontrollierten Gebiete vorrücken.

»Das Einsammeln der Waffen ist rein symbolisch. Binnen weniger Tage ist die UCK wieder einsatzbereit. Eine vollständige Entwaffnung ist in 30 Tagen nicht möglich und ich bin sicher, dass die UCK auch ohne diese 3 300 Waffen kämpfen kann«, schätzt Pieter Wezeman, Mitarbeiter des Stockholmer International Peace Research Institute (Sipri). Übersehen hat die Nato offensichtlich auch, dass für eine Armee nicht unbedingt nur die Waffenstärke, sondern auch die Kommunikation von Bedeutung ist. »Sämtliche Kommunikationseinrichtungen kann die UCK behalten, damit bleibt sie jederzeit einsatzbereit«, sagt Wiezeman.

Eine mögliche Quelle für die schnelle Wiederbewaffnung der UCK bleibt das Kosovo. Die Kfor kontrolliert die Grenzen zu Mazedonien weiterhin so nachlässig, als handle es sich um eine EU-interne Staatsgrenze. Wer die laschen Kfor-Patrouillen kennt, kann sich leicht ausrechnen, wie viele Waffen tatsächlich über die Grenze geschafft wurden. »Der Waffenschmuggel hat seit Beginn der Nato-Aktion nicht aufgehört, er geht unvermindert weiter«, sagt Victor Gobarev vom US-amerikanischen Polit-Institut stratfor.

Antonio Milososki, der Sprecher des mazedonischen Premiers Ljubco Georgievski, weist darauf hin, wie sehr die Nato-Aktion den Nationalisten auf Seiten der slawischsprachigen Mazedonier hilft: »Die Hardliner fühlen sich durch alles bestätigt, was die Nato macht.« Einen ersten Vorgeschmack darauf haben jene scheinbar spontanen Proteste geliefert, die am vergangenen Freitag die erste Parlamentsdebatte über das Friedensabkommen verhinderten. Hunderte aufgebrachter Mazedonier blockierten die Eingänge des Parlaments, die Abgeordneten wurden am Betreten des Gebäudes gehindert, Abgeordnete der Parteien der albanischen Minderheit mussten vor der Menge fliehen. Aufgelöst wurde die Demonstration von der Polizei nicht.

In Skopje halten sich hartnäckige Gerüchte, dass der als Hardliner bekannte Innenminister Ljube Boskovski die spontanen Volkserhebungen steuert. Solche Demonstrationen sind eine wertvolle wahltaktische Hilfe für die Nationalisten. Im Januar stehen in Mazedonien Wahlen an, und die derzeitige Regierung könnte sie verlieren. »Ich glaube nicht, dass die wiedergewählt werden. Da werden andere Mächte antreten. Das heißt aber auch, dass es wahrscheinlich keine albanische Partei mehr in der Regierung geben wird, denn Albaner und Mazedonier sind sich auch in der Regierung spinnefeind«, prognostiziert der OSZE-Diplomat Schenker das endgültige Zerbrechen des aus Gründen der Staatsräson aufrecht erhaltenen ethnischen Proporzes.

Einerseits treibt die Nato also die slawischsprachigen Mazedonier in einen neuen Nationalismus und andererseits versäumt sie es, den albanischen Terroristen Einhalt zu gebieten. Sie sind nicht mehr nur in der UCK organisiert, sondern haben sich aufgeteilt in überschaubare Einheiten, die verschiedenen Warlords dienen.

Auch der politische Führer der Albaner, Ali Ahmeti, scheint die Kontrolle über seine Kämpfer verloren zu haben. Er möchte nun ähnlich wie sein kosovarischer Kollege Hashim Thaci mit einer eigenen Partei zum Demokraten werden. Das aber dürfte ihm kaum gelingen, denn er wird mit möglichen Kriegsverbrechen der UCK in Zusammenhang gebracht. »Wir haben unsere Ermittlungen begonnen, aber wir können eben nicht wegen Terrorismus, sondern nur wegen Kriegsverbrechen ermitteln«, versteckt sich Jean-Jaques Joris, Sprecher des Haager Tribunals, gegenüber Jungle World hinter juristischen Spitzfindigkeiten.

»Ich muss mich darüber sehr wundern, denn wir haben dem Tribunal in den letzten Wochen schon genug Dokumente übergeben«, kontert Antonio Milososki. Fest steht: Die Zaghaftigkeit des Westens auch in dieser Frage wird die Mazedonier nicht unbedingt milder stimmen. Vielleicht aber schlägt die kaum geschwächte UCK nach dem Abzug der Nato ohnehin von allein wieder zu.