Der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel zum Streit in der SPD

»Es geht nicht um Gehorsam«

Heftige Vorwürfe wurden in der vergangenen Woche vom SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Peter Struck, und vom SPD-Generalsekretär, Franz Müntefering, gegen die Abweichler in den eigenen Reihen erhoben. 19 Abgeordnete hatten vor zwei Wochen gegen die Entsendung deutscher Soldaten nach Mazedonien gestimmt und damit dazu beigetragen, dass die rot-grüne Bundesregierung zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt 1998 keine eigene Mehrheit im Bundestag zustande brachte. Klaus Barthel ist einer der 19 Abweichler. Der Abgeordnete aus dem oberbayrischen Miesbach sprach sich schon 1999 gegen den Kosovo-Krieg der Nato aus.

Wie fühlt man sich als Abweichler?

Zwiespältig. Auf der einen Seite glaube ich nach wie vor, dass ich in der Sache Recht habe. Auf der anderen Seite ist die Geschlossenheit der Regierung und meiner Partei ein wichtiger Wert, und es hat für mich eine große Bedeutung, dass die Partei und die Fraktion zusammenhalten.

Warum haben Sie gegen den Einsatz in Mazedonien gestimmt?

Im Wesentlichen möchte ich erreichen, dass auf dem Balkan eine andere Politik gemacht wird. Sowohl von der Nato als auch von der EU. Ich habe in den vergangenen Jahren den Eindruck bekommen, dass immer recht schnell über militärische Einsätze entschieden wird und dass die für den dauerhaften Frieden wesentlichen Komponenten, eine zivile und staatliche Ordnung zu schaffen, die wirtschaftlichen Perspektiven zu verbessern und einfach den Menschen, die dort leben, eine Zukunftsperspektive zu geben, zu sehr in den Hintergrund geraten.

Der Generalsekretär Ihrer Partei, Franz Müntefering, scheint nicht so viel Verständnis für Ihre Position zu haben. Er meinte, die so genannten Abweichler hätten die »Dimension« ihres Verhaltens nicht verstanden. Einige Ihrer Kollegen dagegen sagten, dass durch ihr Abstimmungsverhalten die Unterstützung im Wahlkreis größer geworden sei. Ist das so?

Ich habe vorher schon einen großen Rückhalt für mich im Wahlkreis empfunden, daran hat sich überhaupt nichts geändert, im Gegenteil, es haben sich viele positiv geäußert und sich gegen die Äußerungen von Herrn Müntefering und hinter mich gestellt.

Sie haben es nicht bereut, gegen den Einsatz gestimmt zu haben?

Nein, keineswegs.

Müssen Sie nicht Angst um ihren Sitz im Bundestag haben?er Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel zum Streit in der SPD

Das liegt in den Händen der SPD in Oberbayern, und so wie ich die bisher kennen gelernt habe, rechne ich weiterhin mit großem Rückhalt.

Wie ist das Verhältnis zu Parteikollegen im Bundestag, die nicht Ihrer Meinung waren?

Wenn man inhaltlich unterschiedlicher Meinung ist, gibt es auch innerhalb der Fraktion kontroverse Diskussionen. Allerdings haben wir uns in der Fraktionssitzung am vergangenen Donnerstag, aber auch in persönlichen Gesprächen darum bemüht, keine Zerwürfnisse aufkommen zu lassen. Eigentlich ist von allen Seiten Respekt für die jeweilige andere Meinung ausgedrückt worden. Wir haben uns darüber verständigt, dass wir uns in der Sache gründlicher darüber auseinandersetzen müssen, was die Zukunft der Außen- und Sicherheitspolitik, die Zukunft der Nato und die Rolle Deutschlands in Europa betrifft. Es geht nicht darum, gehorsam gegenüber der Nato oder gegenüber der Bundesregierung zu sein, sondern um eine Entscheidung aus der Sache heraus, auf der Grundlage einer inhaltlichen Diskussion.

Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, äußerte den Verdacht, einige der Abweichler wären nicht ihrem Gewissen gefolgt, sondern hätten dem »Kanzler, Scharping oder mir eins vor den Bug geben wollen«. Was sagen Sie dazu?

Das hat in der Fraktion insgesamt Unverständnis hervorgerufen, weil viele, und ich zähle mich auch dazu, sagen, es ist nicht legitim, über die Motive anderer zu spekulieren. Wenn man zu rätseln anfängt, wer könnte eigentlich warum was gesagt oder getan haben, dann kommen wir nicht weiter. Ich fühle mich von solchen Vorwürfen überhaupt nicht betroffen. Aber es trägt natürlich nicht zur Verbesserung der Stimmung bei. Wir haben auch versucht, Struck von diesem Dampfer runterzubringen, auf den er sich selbst gesetzt hat und der in eine völlig falsche Richtung fährt.

Ist es Ihnen gelungen, Herrn Struck wieder auf den richtigen Kurs zu bringen?

Ich hoffe es, ich habe selbst einmal mit ihm darüber gesprochen und ich denke schon, er nimmt das zur Kenntnis. Es haben sich eben viele in dieser Richtung geäußert.

Auf der anderen Seite ist es doch für die Regierung ein großer Imageschaden, wenn die Kanzlermehrheit nicht zustande kommt.

Ja, das muss man durchaus ernst nehmen. Wir sollten alles daran setzen, dass sowas nicht mehr vorkommt. Es kann aber auch in Zukunft nicht so sein, dass irgendjemand Geschlossenheit anordnet und sagt, das machen wir jetzt so, weil es die Nato entschieden hat, und dann die Regierungsfähigkeit daran festgemacht und sozusagen verordnet wird.

Was sagen Sie zu dem Missverhältnis, dass einerseits die Bevölkerung mehrheitlich nicht für diesen Einsatz in Mazedonien ist, wie es in verschiedenen Umfragen zum Ausdruck kommt, andererseits im Bundestag eine sehr große Mehrheit dafür stimmt?

Ich sehe da durchaus ein Problem. Wenn wir wollen, dass Europa gemeinsam handelt und dass wir globale, internationale Zusammenhänge aktiv gestalten, dann ist es wichtig, die Bevölkerung von unserer Politik auch zu überzeugen. Wenn es Bedenken gibt, dann müssen sie zumindest artikuliert und ernsthaft diskutiert werden. Da kann nicht einfach gesagt werden, wir brauchen jetzt Bündnissolidarität, deswegen muss das Parlament zustimmen und Punkt. So eine Haltung, mit der dann auch Abgeordnete unter Druck gesetzt werden oder für nicht regierungsfähig erklärt werden, trifft ja nicht nur die Abgeordneten, sondern tangiert auch viele Menschen persönlich, die sagen, wir wollen, dass unser Parlament ernst genommen wird und wir wollen unter Europäisierung nicht verstehen, dass irgendwo am Schnürchen gezogen wird und dann passiert das einfach alles so.

Es ist absehrbar, dass der Einsatz in Mazedonien nicht in den geplanten 30 Tagen über die Bühne gehen wird. Überlegen Sie trotz der jüngsten Querelen, ob Sie einer Verlängerung des Einsatzes zustimmen würden?

Ja, das werde ich mir sehr gut überlegen und die Entwicklung in den nächsten Wochen beobachten. Es gibt Licht und Schatten, im Moment gibt es Bewegung nach vorne. Ich halte es auch nicht für einen Zufall, dass nach der Diskussion, wie wir sie in Deutschland jetzt erlebt haben, darüber nachgedacht wird, ob man die OSZE und die Uno ins Spiel bringen soll und das lieber nicht wie bisher die Nato machen soll. Auch dass darüber geredet wird, wie es denn langfristig in Mazedonien weitergehen und wie das Problem im Kosovo gelöst werden könnte, was ja seit dem Ende des Kriegs kaum noch diskutiert wurde. Das sind erste Erfolge der Diskussion, die wir mit herbeigeführt haben. Genau das ist es, was ich erwarte, dass Bewegung in die Balkanpolitik kommt und wir nicht einfach von einem Militäreinsatz in den nächsten stolpern.

Wie ist nach all dem die Stimmung in der SPD? Sind da nicht Dissonanzen spürbar?

Das würde ich so nicht sagen. Viele innerhalb, aber auch außerhalb der Partei sind der Meinung, dass diese Diskussion über Mazedonien die Partei eigentlich ehrt und zeigt, dass sie noch lebendig ist und es sich nicht leicht macht mit solchen Entscheidungen. Das ist in der Tradition der Sozialdemokratie die Solidarität, die sich aus gemeinsamer Überzeugung und Auseinandersetzung entwickelt und nicht wie bei den Konservativen durch Befehl und Gehorsam.