Kommerzialisierung der Olympischen Spiele

Für eine Handvoll Oliven

Vor 20 Jahren stellte der 11. Olympische Kongress die Weichen für die Kommerzialiserung des Sports. Ein Rückblick

Die Folgen der ökonomischen Revolution, die vor 20 Jahren über den Leistungssport hereinbrach, sind heute der Normalzustand. Ein Weltrekord in der Leichtathletik brachte bei der WM in Edmonton 100 000 US-Dollar, für den Sieg in der Grand-Prix-Wertung kassierte der 800m-Läufer André Bucher sogar 150 000. Die Fachverbände, allen voran die Leichtathleten und Schwimmer, profitieren von den hohen Umsätzen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das zwischen 1996 und 2000 über 3,6 Milliarden US-Dollar verfügte.

Ermöglicht hat das der 11. Olympische Kongress, der zwischen dem 23. und 28. September 1981 im beschaulichen Baden-Baden tagte. Die Empfehlungen der 630 Delegierten, die sich aus dem IOC, den Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und den Internationalen Fachverbänden rekrutierten, öffneten das Tor zum Kommerz. Verblüffend ist angesichts der heutigen Symbiose von Sport und Geld, dass es Sportlern, die bei Olympischen Spielen starten wollten, vor diesem Kongress tatsächlich noch strengstens verboten war, mit dem Laufen, Springen oder Werfen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die strikte Interpretation des Amateurgedankens verhinderte seinerzeit, zumindest offiziell, Antrittsgelder und Prämien.

Diese Ideologie war im 19. Jahrhundert von Angehörigen der englischen Oberschichten entwickelt worden, um sich wenigstens beim Sport vom Pöbel abzugrenzen, und der französische Baron Pierre de Coubertin hatte sich, als er das IOC 1894 in Paris konstituierte, jener elitären Idee angeschlossen. Fortan durfte nur der an Olympischen Spielen teilnehmen, der mit dem Sport kein Geld verdiente.

Indes, bereits die erste Austragung der Spiele im Jahre 1896 machte die Absurdität dieser Bestimmung deutlich, als die Londoner Times, bestens orientiert über die Gepflogenheiten des Sportbetriebes, die recht süffisante Frage stellte: »Es berührt angenehm, dass die neuen Olympischen Spiele nur für Amateure offen sein werden. Wird aber der moderne Amateur seine Beschäftigung verlassen und sich die Last einer Reise nach Athen auferlegen, um einen Kranz von wilden Oliven zu gewinnen?«

Die Verstöße gegen den olympischen Amateurgedanken, die bis 1981 aufgedeckt wurden, sind gar nicht alle aufzuzählen. Die bekanntesten »Sünder« waren sicherlich der Indianer Jim Thorpe, der seine 1912 im Mehrkampf errungenen zwei Goldmedaillen zurückgeben musste, weil er zuvor ein paar Dollar beim Baseball eingesteckt hatte, sowie der finnische Wunderläufer Paavo Nurmi, der, als Profi enttarnt, seine olympische Siegesserie 1932 in Los Angeles nicht fortsetzen durfte.

Diese Jagd auf die Verräter am Amateursport wurde noch unter dem IOC-Präsidenten Avery Brundage energisch betrieben, sein seit 1972 amtierender Nachfolger Michael Killanin jedoch ließ die Zügel schleifen. Als aber in den siebziger Jahren vermehrt Sponsoren und Ausrüster in den Sport drängten, um von seiner Ausstrahlung zu profitieren, da musste der »wahre Sport« olympischer Couleur endgültig zur »Ware Sport« werden.

Eine unaufhaltsame Entwicklung. Auch das IOC mit seinem neuen Präsidenten Antonio Samaranch an der Spitze trug dem Rechnung. »Wir müssen« , sagte Samaranch bereits im Januar 1981 in Rom, »nicht mehr definieren, wer ein echter Amateur ist, sondern wer ein echter Profi ist. Olympische Spiele zählen zu den herausragenden Ereignissen in dieser Welt. Deswegen müssen die Spiele auch ein echtes Gipfeltreffen sein. Die wirklich weltbesten Sportler müssen daran teilnehmen können, nur die nicht, die offiziell als Berufssportler gelten.« Darauf verkaufte das IOC, kurz vor dem Konkurs stehend, alle Rechte an den nächsten Sommerspielen 1984 in Los Angeles für 225 Millionen US-Dollar. Von nun an floss viel Geld, das vor allem von den Fernsehanstalten kam, in die olympischen Organisationen.

In dieser Situation musste auch Willi Daume, der sich bis dahin gegen die Profisportler einsetzte, im Kongressbulletin »Sport und Geld« die Beteiligung des Athleten am neu zu verteilenden Umsatz konzedieren. »Was sollte der Sportler dazu sagen, der sich jahrelang unter Entsagungen bis zum Ruhm hinschindet, belobigt zwar und gefeiert, aber ohne Lohn, während seine Leistung, sein Wert in den Kassen und Bilanzen der Medien, Industrie, Promoter, Sponsoren, Veranstalter als klingende Münze umgesetzt wird?« fragte das deutsche IOC-Mitglied, und die Frage war in jeder Hinsicht berechtigt.

Daume hatte längst die Zeichen der Zeit erkannt, und er fand es auch nicht verwerflich, wenn die Welt des Geldes sich langsam des Sports bemächtigte, Lizenzen für Übertragungsrechte, Werbeflächen und Werbespots bezahlte, Sponsorships übernahm. »Die Showstars der Arena, Halbgötter des Sports, kassieren nach dem uralten Gesetz von Angebot und Nachfrage.«

Seine Worte klingen noch heute aktuell. Die Vollversammlung des IOC, die im Anschluss an den Kongress tagte, lockerte tatsächlich die Zulassungsvoraussetzungen der Athleten zu Olympischen Spielen, indem sie die Ausführungsbestimmungen der Regel 26 der Olympischen Charta modifizierte. Zunächst noch in Maßen. »Direktzahlungen und Verträge zwischen Athleten und Unternehmern sind in jedem Fall auszuschließen«, hatte Daume verlangt, »doch je nach Wirtschafts- oder Gesellschaftsordnung können Gelder staatlicher, industrieller oder privater Herkunft in zentrale Fonds fließen, die unter der Kontrolle der zuständigen Sportorganisationen stehen.«

Und so wurden die Aktiven weiter von den Verbänden gemaßregelt. Professionelle Sportler blieben noch immer ausgeschlossen, so hieß es in dem Beschluss, wenn nicht »ihr NOK, ihr internationaler oder nationaler Verband einen Förderer- oder Ausrüstungsvertrag abgeschlossen haben. Alle Zahlungen dürfen nur an das NOK, den internationalen oder nationalen Verband geleistet werden und nicht an den Sportler.«

Auch Werbung durfte sich noch nicht auf den Trikots befinden, »ausgenommen Warenzeichen auf technischen Ausrüstungsgegenständen oder Kleidungsstücken entsprechend der Vereinbarung zwischen dem IOC und den Internationalen Fachverbänden.« Das war offenkundig eine Konzession an das Faktotum des Weltsports und den Freund Samaranchs, Horst Dassler aus Herzogenaurach.

Kaum zu glauben, dass diese Bevormundung der Sportler von ihren erstmals bei einem Olympischen Kongress anwesenden Vertretern gebilligt wurde. »Wir Athleten«, tat der heutige IOC-Vizepräsident Thomas Bach damals kund, »erstreben nicht eine Zulassung von Profisportlern, also solchen, die ausschließlich vom Sport leben und keinen anderen Beruf anstreben, zu den Olympischen Spielen. Wir Athleten wollen nicht als wandelnde Litfasssäulen missbraucht werden.«

Das sollte ein frommer Wunsch bleiben, bald nämlich überrollte die Kommerzialisierung die offenbar anachronistischen Ideale der Olympischen Bewegung. Mit dem Olympiasieg Steffi Grafs 1988, spätestens jedoch mit dem Auftritt des Basketball-Dreamteams der USA, der Ikone des Profitums, in Barcelona wurde der Amateurismus zum Fremdwort.

Gleichzeitig bekam der Sport mit dem Doping ein neues Problem. Es mehren sich inzwischen die Stimmen derer, die auch hier eine Freigabe - unter ärztlicher Aufsicht - fordern. Zukunftsmusik? Wer weiß, vielleicht spricht in 20 Jahren keiner mehr über Doping.