Verschwörungstheoretiker im Fernsehen und im Internet

Sorry für die Story

Der aktuelle »Krieg gegen den Terror« taugt nicht für die Inszenierung der Medien. Deshalb haben Verschwörungstheoretiker alle Hände voll zu tun, im Fernsehen und im Internet.

Eine Nacht vor der Glotze überzeugt endgültig. Die großen News-Networks wie CNN, BBC oder Fox-News laborieren an einem für Fernsehsender tödlichen Defizit. Vom großen »Krieg gegen den Terror« fehlen schlicht die Bilder. Alle paar Minuten wird der Bildschirm ziemlich schwarz, und hin und wieder blitzen grüne Punkte auf. Was normalerweise auf einen irreparablen Schaden in der Bildröhre des Fernsehgerätes hindeutet, ist seit etwas mehr als einer Woche der Krieg in Afghanistan, der »erste Krieg des 21. Jahrhunderts«.

Hin und wieder gibt das US-Pentagon zwar seltsame Bilder frei, auf denen angeblich Umrisse von Flugzeugen, Militärbasen oder Luftabwehrstellungen zu erkennen sind und - ebenso angeblich - nach wenigen Augenblicken in die Luft gebombt werden. Die gleichen Bilder kennt man aus dem Golfkrieg im Jahre 1991 und aus dem Kosovo-Krieg 1999, an der Bildqualität der Kameras an Bord der Bomber und Jagdflugzeuge hat sich inzwischen offenbar nichts geändert.

Strafverschärfend kommt noch die klassische amerikanische Informationspolitik hinzu. Tatsächliche Informationen zum US-Gegenschlag verbreiten Politiker wie Präsident George W. Bush oder Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nur sparsam, das Einzige, was bei den Presse-Briefings im Pentagon und im Weißen Haus verteilt wird, sind patriotische Botenstoffe.

Für amerikanische Medien aber ist das nichts Ungewohntes. Wer jemals zwei Stunden einem Presseoffizier einer US-Militärbasis gegenübergesessen hat und die ewig gleichen Phrasen (»Dazu kann ich nichts sagen«) gehört hat, der weiß, dass es Journalisten in einer beliebigen Diktatur auch nicht schwerer haben. Also wird das gemacht, was Journalisten immer tun, wenn es nichts zu berichten gibt: Sie produzieren Background-Stories, Content für ihre Websites und basteln an »exklusiven« Geschichten.

Oft genug gehen sie dabei Verschwörungstheorien diverser Nachrichtenjunkies auf den Leim, und die beste aller Verschwörungstheorien kam einen Tag nach dem großen Terrortag aus Brasilien: Der Student Marcio Carvalho postete bei indymedia.org ein arges Gerücht. Die Bilder von jubelnden Palästinensern, die sich in Ost-Jerusalem angeblich über den Terroranschlag freuten, seien »schon 1991 aufgenommen worden«. Sie sollen beim Einmarsch der Irakis in Kuwait gedreht worden sein. Marcio wollte das von einer Professorin wissen, die ihm erzählt habe, ein Videoband davon zu besitzen. Als die Lehrerin von Marcio einen Tag später plötzlich davon nichts mehr wissen wollte, bekannte Marcio beschämt: »Ich entschuldige mich aufrichtig für diese ungeprüften Informationen, leider kann ich sie nicht belegen«. Aber da war es schon zu spät.

Das Gerücht verbreitete sich in den unendlichen Weiten des Web in Windeseile und wurde dabei auch gleich mal verändert. So leitete ein »urbi« auf indymedia die Spekulation weiter, es würde sich um Palästinenser handeln, die »anlässlich der Invasion der Amerikaner in Kuwait« gemacht worden seien. »urbi« blieb allerdings die Erklärung schuldig, warum ausgerechnet Palästinenser jubeln sollten, wenn die Amerikaner Saddam Husseins Streitmacht niedersäbeln.

Dem stern war die Geschichte mangels Verfügbarkeit der Tagebücher Ussama bin Ladens aber doch eine Story wert: stern-Reporter Bernd Dörfler setzte sich ins Flugzeug, reiste nach Jerusalem und produzierte eine medienkritische Story unter dem Titel »Gekaufter Jubel«. Das Ergebnis: Die jubelnden Palästinenser seien mit Knafeh von den anwesenden Medienvertretern zum Jubeln animiert worden. Knafeh ist aber nicht der palästinensische Ausdruck für Knete oder einen nahöstlichen Luxuswagen, sondern bezeichnet bloß einen in der Region sehr beliebter Kuchen, der in den Palästinensergebieten zum Preis von umgerechnet 50 Pfennig zu erstehen ist.

Dörfler präsentierte eine Kronzeugin für die Medienmanipulation mittels Süßspeisen. Eine ältere Frau namens Fatma Hussein soll sich nach den Jubelszenen furchtbar geschämt haben, weil sie sich - obgleich voll der Trauer über die Terror-Opfer in den USA - zum Jubeln habe überreden lassen.

Auch wenn tatsächlich irgendein Kameramann irgendeines Senders Fatma Hussein ein Stück Knafeh gegeben hat und die Frau sich dadurch zum Jubeln bewogen fühlte, an einer großangelegten Bestechungsaktion muss gezweifelt werden. Die palästinensische Polizei hatte jedes erdenkliche Interesse, Jubelbilder zu verhindern und ging scharf gegen den einen oder anderen Heißsporn vor, der es wagte, sich über die 6 000 Toten in New York und Washington offensichtlich zu freuen. In jenen Tagen kam es immer wieder zu Verhaftungen in den palästinensischen Gebieten. Immerhin hatte Yassir Arafat hatte als erste Reaktion auf die einmalige Katastrophe die Worte »unglaublich, unglaublich, unglaublich« in die Kameras gesprochen.

Es ist also schwer nachzuvollziehen, warum sich die Palästinenser angesichts schwerer Strafandrohungen durch Arafats Regime für eine Kuchen im Wert von 50 Pfennig zum Jubeln hinreißen hätten lassen sollen und dafür riskierten, von der Polizei schwere Prügel einzustecken und eventuell auch noch international ein mieses Image zu haben. Natürlich gab es in den Palästinensergebieten Jubel, aber sicher nicht, weil westliche Reporter Knafeh regnen ließen.

Eine Gemeinsamkeit haben die auf den ersten Blick recht konträren Geschichten von den Bildern aus dem Jahre 1991 und den scheinbaren Bestechungsversuchen dennoch. Sie sagen schlicht nichts aus über die Situation in den palästinensischen Gebieten.

Aber auch amerikanische Medien sind in ihrer Jagd nach exklusiven Flanken-Stories nicht vor seltsamen Enthüllungen gefeit. So erzählte wenige Tage nach den Terrorattentaten eine Kellnerin aus einer Bar, sie hätte die beiden mutmaßlichen Piloten Ussama bin Ladens in der Nacht vor den Anschlägen bedient. »Sturzbetrunken« seien die beiden gewesen. Fox News wertete die Alkoholisierung als Zeichen für die besonders fiese Tarnung von angehenden Massenmördern.

Aber: warum Tarnung? Hat vielleicht einer der Thekenkollegen der beiden schon in der Nacht vor den Attentaten geahnt, dass die beiden jungen Männer ganz so aussehen, als würden sie Handlanger Ussama bin Ladens sein und am nächsten Tag mit zwei Maschinen in die beiden Türme des World Trade Centers krachen, 6 000 Menschen mit in den Tod nehmen und sich jetzt nur deshalb den Alkohol-Overkill geben, damit niemand merkt, dass sie strenggläubige Muslime sind und eigentlich keinen Alkohol trinken dürften?

In den nächsten Wochen wird die Flut an Gerüchten, Verdächtigungen und wirren Verschwörungstheorien wohl noch zunehmen. Schließlich hatten die Fernsehsender und Nachrichtenagenturen in den Tagen nach dem 11. September genügend Material. Schon alleine die spektakulären Bilder von den ins World Trade Center krachenden Flugzeugen oder jene von den einstürzenden Türmen reichten zur tagelangen Bestückung der Nachrichten.

Jetzt kommt die Zeit der Bilderflaute und der militärisch begründeten Nachrichtensperren. »Ich werde nichts über unsere militärischen Planungen sagen«, meinte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bisher noch in jeder Pressekonferenz des US-Pentagons. Danach präsentiert er stets die Bilder von angeblich chirurgischen Eingriffen ohne Kollateralschäden irgendwo in Afghanistan. Da bedarf es schon äußerster Zurückhaltung des journalistischen Instinkts, nicht nach Skandalen und Komplotten zu buddeln.

Aber natürlich sind die schönsten Geschichten jene, die das Leben oder John de Mol schreibt. So erfuhren die Bewohner der belgischen Variante des Container-Spektakels »Big Brother« erst fünf Tage nach dem Terrortag, was geschehen war. Wahrscheinlich brauchten die Regisseure der Show so lange, um herauszufinden, dass auch ein Verwandter einer Bewohnerin von »Big Brother« unter den Trümmern des World Trade Center begraben liegt.

Die junge Frau wurde in den Interviewraum gebeten, erlitt vor den Kameras einen Nervenzusammenbruch, weinte, schrie und entschied sich dann, trotzdem im Container zu bleiben. Immerhin hatte »Big Brother« geschafft, was nur wenigen Fernsehmachern gelang: Eine Betroffene direkt bei der ersten Reaktion auf die Nachricht vom Tod eines nahe stehenden Menschen zu filmen. In Afghanistan wird das nicht gelingen. Schade für CNN.