Anschlag von deutschen Linksradikalen auf russische Juden?

Gemeinsame Fronten

Geschichte wird gemacht: Waren deutsche Linksradikale an einem Anschlag auf russische Juden in Ungarn beteiligt?

Sie hatten schon einen langen Weg hinter sich, als es plötzlich krachte. Neben den jüdischen Reisenden aus Russland, auf einer ungarischen Landstraße, explodierte ein abgestelltes Auto. Rund 30 Kilogramm Sprengstoff sollten die Auswanderer in die Luft sprengen, doch die Sache ging verhältnismäßig glimpflich aus. Drei der 28 Businsassen wurden leicht, zwei Polizeibeamte schwer verletzt. Die Mission der »Bewegung zur Befreiung Jerusalems« war also nicht in vollem Umfang erfolgreich, die Juden und Jüdinnen erreichten letztlich ihr Ziel: Israel, das Land, in das damals Hunderttausende aus der ehemaligen Sowjetunion einwanderten, um vor antisemitischen Angriffen sicher zu sein.

Wer sich hinter der »Bewegung« verbarg, die an jenem 23. Dezember 1991 den Anschlag verübte, war lange Zeit nicht bekannt. Seit Mitte dieses Jahres glauben die Ermittler nun, schlauer zu sein. Eine DNA-Analyse des Bundeskriminalamtes (BKA) hat ergeben, dass für die Tat zwei Deutsche verantwortlich sein sollen, die lange Zeit als RAF-Mitglieder gesucht wurden: Andrea Klump und ihr damaliger Lebensgefährte Horst-Ludwig Meyer. Die Wiesbadener Fahnder ordnen den beiden genetische Spuren zu, die in einer von den Tätern benutzten Wohnung in Budapest gefunden wurden.

Offenbar wollten die deutschen Behörden den Verdacht nicht an die große Glocke hängen. Erst nachdem die ungarische Tageszeitung Nepszabadsag einen entsprechenden Bericht veröffentlicht hatte, bestätigte Ende September auch die Bundesanwaltschaft (BAW), dass sie im Juli ein neues Ermittlungsverfahren gegen Klump aufgenommen habe. Und noch immer geben sich die Karlsruher Strafverfolger wortkarg. Um »die Ermittlungen nicht zu stören«, habe ihre Behörde erst jetzt die Öffentlichkeit informiert, erläuterte BAW-Sprecherin Frauke Scheuten der Jungle World.

Selbst Klumps Rechtsanwalt Wolfgang Kronauer hat von den Vorwürfen erst durch die Presse erfahren. Dass wahrscheinlich Deutsche an der Aktion beteiligt waren, wissen die Fahnder jedoch schon lange. Das Tatfahrzeug war von einem Mann mit einem gefälschten deutschen Führerschein gemietet worden.

Ob Klump nun ein neuer Prozess droht? Scheuten will das »nicht ausschließen«. Vorstellbar ist aber auch, dass die Sache anders geregelt wird. Nicht etwa, weil die Karlsruher Bundesanwälte plötzlich gentechnischen Untersuchungen misstrauten. Aber schon das erste Verfahren der 44jährigen verlief erstaunlich glatt. Sie legte vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) ein Geständnis ab und zog in einer ausführlichen Erklärung einen »Schlussstrich« unter ihre Vergangenheit. Dafür verurteilten die Richter die Angeklagte im Mai dieses Jahres zu einer Haftstrafe von »nur« neun Jahren, der Vorwurf der Mitgliedschaft in der RAF wurde fallen gelassen. Klump hatte zugegeben, an einem gescheiterten Anschlag auf eine US-Militärbasis im südspanischen Rota im Juni 1988 beteiligt gewesen zu sein. Dazu erklärte sie: »Es handelte sich nicht um eine Sache der RAF.«

Wie ihr späterer Lebensgefährte Meyer und andere Personen aus der antiimperialistischen Linken tauchte die Frankfurterin Mitte der achtziger Jahre unter, um sich ständiger Observation und drohender Verhaftung zu entziehen. Da sie sich an den politischen Vorgaben der RAF orientierten, galten Klump und Meyer bald als deren Köpfe. Tatsächlich aber gehörten beide nicht der RAF an. Sie hielten sich nachweislich in palästinensischen Lagern im Libanon auf.

Dem alten Weltbild blieben die Exilanten jedoch treu. Zumindest Andrea Klump. Es sei »ein Leben in einer Welt« gewesen, »in der das Denken und Fühlen von Freund-Feind-Kategorien beherrscht wird«, sagte sie den Richtern des OLG. Welchen Feind es zu bekämpfen galt, daran ließen die »Antiimps« ebenso wenig Zweifel wie ihre politischen Vorfahren: »Israels Nazi-Faschismus«, wie die RAF anlässlich des Überfalls des Kommandos »Schwarzer September« auf die israelische Olympia-Mannschaft in München 1972 formulierte.

Und natürlich den US-Imperialismus, den man als konkrete Erscheinung eines komplizierten gesellschaftlichen Prozesses der Einfachheit halber zum »Todfeind der Menschheit« erklärte. Innerhalb dieser binären Ordnung galten palästinensische Organisationen als natürliche Verbündete, der »Kampf um Befreiung« wurde als militärischer betrachtet, in dem es primär galt, den Gegner durch gezielte Anschläge zu schwächen.

Nahe liegend also, dass Klump zusagte, als sie im Libanon darauf angesprochen wurde, sich »im Rahmen des palästinensischen Widerstandes an einer Mission gegen eine amerikanische militärische Einrichtung zu beteiligen«. Und so reiste sie gemeinsam mit Meyer ins spanische Rota, um den Sprengsatz gegen die US-amerikanischen Militärs zu legen.

Das war im Juni 1988. Wenig später kamen die ersten russischen Einwanderer nach Israel. Viele Araber fürchteten, dass die Siedlungspolitik des damaligen Wohnungsbauministers Ariel Sharon zu einer umfassenden Konfiszierung ihres Landes führen könnte. Zudem wuchs die Angst, von den Neuankömmlingen aus den Arbeitsplätzen verdrängt zu werden. Für Palästinenser wurden die russischen Juden also zur Verkörperung der verhassten zionistischen Bevölkerungspolitik und damit auch zur Zielscheibe für militante Antisemiten wie jene der »Bewegung zur Befreiung Jerusalems«, die den Anschlag in Ungarn 1991 verübte.

Klump äußerte sich in ihrer Erklärung vor dem Stuttgarter OLG nicht über ihre Aktivitäten in diesem Zeitraum. Gemeinsam mit Meyer lebte sie seit dem Oktober 1995 in Wien. Vier Jahre später wurden beide von der österreichischen Polizei überwältigt, Meyer starb im Kugelhagel der Beamten.

Ob neben der DNA-Analyse weitere Beweise gegen Klump vorliegen, die den aktuellen Vorwurf erhärten, kann auch ihr Verteidiger Kronauer nicht sagen. Bisher habe er »keine Akteneinsicht« erhalten, erklärte der Frankfurter Anwalt der Jungle World. Eine Anklage gegen seine Mandantin schließe er nicht aus. Allerdings müsse man sehr skeptisch sein, wenn zehn Jahre alte Spuren für DNA-Untersuchungen verwendet würden.

Die radikale Linke interessieren diese Vorgänge offenbar nicht. Noch heute, rund vier Wochen nach dem Bekanntwerden des Vorwurfs, sucht man jedenfalls vergeblich in einschlägigen Publikationen nach einer Stellungnahme zu Klumps möglicher Beteiligung an dem antisemitischen Terror.