Tourismusminister ermordet

Land gegen Terror

Nach der Ermordung des israelischen Tourismusministers Ze'evi durch die PFLP bricht der wacklige Waffenstillstand zusammen.

Vor einer Woche wirkte die Lage im Nahen Osten noch vergleichsweise übersichtlich. Yassir Arafat, der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), hatte nach dem 11. September, im Gegensatz zu seiner strategischen Fehleinschätzung der Golfkrise vor zehn Jahren, als er sich als einziger Verbündeter Saddam Husseins ins Abseits begeben hatte, erkannt, dass es für seine Sache günstiger sei, sich diesmal an die Seite der USA zu stellen. Sein israelischer Widerpart, Ministerpräsident Ariel Sharon, musste nach seiner aktuellen strategischen Fehleinschätzung, er werde mit seiner Darstellung, Arafat sei »Israels bin Laden«, in den USA Anklang finden, murrend Verhandlungen seines Außenministers Shimon Peres mit der PA zulassen.

Während bisher als »Schurkenstaaten« geltende arabische Länder von den USA zur Herstellung und Aufrechterhaltung ihres »Anti-Terror«-Bündnisses umworben wurden, musste Israel, wie schon vor zehn Jahren, nicht nur draußen bleiben, sondern sich auch noch dem Wunsch seines einzigen Verbündeten beugen, trotz täglicher palästinensischer Terroranschläge wieder mit den Palästinensern zu verhandeln.

Bis zum Dienstag vergangener Woche waren die Ergebnisse dieser Konstellation für Israel so untragbar nicht. Zwar weigerte sich die PA, über 100 von Israel für den Terror verantwortlich gemachte Personen zu verhaften und auszuliefern; dafür hatte Arafat erstmals, auch in arabischer Sprache im palästinensischen Fernsehen, zugegeben, dass einzelne palästinensische Gruppen die vereinbarte Waffenruhe nicht einhielten. Er kündigte an, dass sie in Zukunft mit einem härteren Durchgreifen der PA-Kräfte rechnen müssten. Trotz vereinzelter Anschläge und kleinerer Scharmützel waren schließlich - auch nach israelischen Angaben - die gewalttätigen Auseinandersetzungen spürbar weniger geworden.

So lockerte Israel erstmals seit Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada Blockaden in der Westbank und zog sich aus Bereichen zurück, die die israelische Armee zur Unterbindung palästinensischer Attacken eingenommen hatte, etwa in Hebron. Die ganze Entwicklung war dem extrem rechten Flügel der israelischen Koalition der »Nationalen Einheit« derart zuwider, dass dessen radikalste Vertreter schließlich den Abzug aus Hebron zum Anlass nahmen, ihre bereits vor zwei Wochen ausgesprochene Drohung wahr zu machen und Sharons Regierung zu verlassen.

Das kleine Parteienbündnis Nationale Union - Unser Heim Israel mit seinen lediglich sieben Knessetabgeordneten ging in die Opposition, seine prominenten Vorsitzenden, der Infrastrukturminister Avigdor Lieberman und der Tourismusminister Rechavam Ze'evi, traten am vergangenen Montag von ihren Posten zurück. Der linke Flügel der Koalition unter Führung von Außenminister Shimon Peres von der Arbeitspartei schien damit zunächst seine Position gefestigt zu haben.

Am vergangenen Mittwoch war es dann wieder endgültig vorbei mit der Übersichtlichkeit und den möglicherweise aufkeimenden Hoffnungen auf eine Lösung des Nahost-Konflikts. Ein Kommando der links-nationalistischen Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP) erschoss den Tourismusminister Ze'evi, wenige Stunden vor dem offiziellen Inkrafttreten seiner Demission.

Der 75jährige hat eine bewegte Karriere hinter sich. Ursprünglich aus dem Spektrum der Arbeitspartei kommend, erwarb er sich als Mitglied der militärischen Eliteeinheit Palmach und später als General der israelischen Armee einigen Ruhm. In den siebziger Jahren, als sich die politischen Koordinaten des israelischen Systems verschoben, empfand Ze'evi die linken Parteien als zu kompromisslerisch gegenüber den Palästinensern. Doch erst in den achtziger Jahren betrat er selbst die politische Bühne.

Als Vertreter der von ihm selbst gegründeten Moledet-Partei wurde er 1988 erstmals Abgeordneter der Knesset. Die Partei, die später in der Nationalen Union aufging, stand dem rechten Flügel des Likud nahe, war allerdings hauptsächlich bekannt für ihren Programmpunkt »Transfer«: Die arabischen Bewohner der besetzten Gebiete sollten in andere arabische Länder, z.B. nach Jordanien, ausgewiesen werden. Zwar beteuerte Moledet (etwa: Vaterland), dass man einen freiwilligen Transfer anstrebe, doch da weder die betroffene Bevölkerung noch die betroffenen Länder freiwillig zugestimmt hätten, wurden Moledet und Ze'evi wohl nicht ganz zu Unrecht von Palästinensern und linken Israelis als Vorkämpfer einer Vertreibung wahrgenommen.

Es ist allerdings unklar, ob das für die PFLP das Hauptmotiv bei Ze'evis Ermordung war. In ihrer Erklärung jedenfalls wurde das Attentat als Vergeltungaktion für den Tod des PFLP-Chefs Ali Mustafa dargestellt, der Ende August bei einem israelischen Raketenangriff auf sein Büro in Ramallah ums Leben gekommen war. Aus israelischen Sicherheitskreisen hieß es, dass Ze'evi möglicherweise bloß deshalb ausgewählt wurde, weil er als einziger israelischer Minister stets Bodyguards abgelehnt hatte und somit kaum geschützt wurde. So konnten ihm seine Mörder im Ost-Jerusalemer Hyatt-Hotel auflauern, ihn - dank der Verwendung eines Schalldämpfers zunächst unbemerkt - erschießen und unerkannt fliehen.

Zudem dürfte der PFLP klar gewesen sein, dass die Ermordung eines derart hohen Politikers selbst für linke Israelis eine Ungeheuerlichkeit bedeutet, die die letzten großen Selbstmordanschläge noch übertrifft und die tiefgreifende Konsequenzen nach sich ziehen muss. Für die PFLP, die zwar als Teil der PLO institutionell von den Verträgen von Oslo profitiert hat, aber als Bewegung schon lange nur noch eine marginale Rolle spielt, war es offenbar auch der Versuch, sich bei ihrer potenziellen Anhängerschaft wieder ins Gespräch zu bringen - zu einem Zeitpunkt, als der Friedensprozess von Oslo, den die Volksfront von Beginn an abgelehnt hatte, den Versuch einer Wiederbelebung erfuhr.

Seit der vergangenen Woche kommen nun auch alle anderen Fragen und Konflikte, die vorher zwar nicht gelöst, aber zumindest vertagt wurden, wieder an die Oberfläche. In verschiedenen Städten und Ortschaften rückten israelische Truppen wieder auf palästinensisches Gebiet vor, unter anderem in Dschenin, Ramallah und Bethlehem. Dabei gab es heftige Feuergefechte, mehrere Palästinenser kamen ums Leben. Der Jerusalemer Stadtteil Gilo wurde von palästinensischen Milizen beschossen.

Jenseits dieser blutigen Auseinandersetzungen steht aber noch viel mehr auf dem Spiel. Sharon hat Arafat, der aus israelischer Sicht die Verantwortung für das Attentat trägt, ein Ultimatum gestellt. Sollte die PA nicht innerhalb von sieben Tagen nach Ze'evis Ermordung die Täter festgenommen und an Israel ausgeliefert und im übrigen nicht alle Terrororganisationen verboten haben, würde die Autonomiebehörde ebenfalls als Terrororganisation betrachtet werden. Der israelischen Tageszeitung Ma'ariv zufolge hat Sharon für diesen Fall sogar angekündigt, dass Israel dann gegen Arafat »in den Krieg ziehen« werde.

Allerdings wird Sharon schon jetzt wieder aus Washington vor »Überreaktionen« gewarnt. So kann Arafat, trotz des direkten mörderischen Angriffs auf einen Teil der Regierung Israels, verkünden, er fühle sich weiter an den Waffenstillstand gebunden. Kristallisiert sich in der derzeitigen Situation doch immer mehr heraus, dass er die israelischen Ultimaten, die er, ohne einen Bürgerkrieg in den eigenen Reihen zu provozieren (Jungle World, 41/01), kaum erfüllen könnte, nicht besonders zu fürchten hat. Schließlich handeln die USA gegen israelische Interessen, um ihre »Anti-Terror-Allianz« nicht zu gefährden. So war an den Berichten vom 2. Oktober in der New York Times und der Washington Post über eine vor dem 11. September geplante US-Initiative zur Errichtung eines Palästinenserstaates vor allem interessant, dass US-Präsident Bush sie nicht dementierte, sondern bestätigte und damit de facto die palästinensische Position unterstützte.

Nicht ohne Grund wurden Bushs Äußerungen fast in der gesamten arabischen Welt begrüßt. Auf palästinensischer Seite verstärken sie den Eindruck, dass man mit der Al-Aqsa-Intifada erfolgreich dem Zermürbungskrieg der Hisbollah im Südlibanon nacheifere. Umgekehrt macht sich in Israel das Gefühl breit, dass die USA von den Israelis verlangen, nicht mehr gemäß dem offiziellen Prinzip »Land gegen Frieden« - bzw. in modifizierter Form »Teilrückzug gegen Waffenstillstand« - zu handeln, sondern »Land gegen Terror« als neues Prinzip anzuerkennen. Gibt es bald als Belohnung für ein Jahr Intifada die Arabische Republik Palästina?