Nach den Wahlen in Argentinien

Ohren zu und durch

Er werde vor der Stimme des Volkes »die Ohren nicht verschließen«, verkündete der argentinische Präsident Fernando de la Rùa, als er am Sonntag vorletzter Woche vor die Presse trat. Dass die Bevölkerung jedoch großteils die Aussage verweigert hatte, erwähnte er dabei nicht. Und doch können die Wahlen, bei denen außer der Hälfte des nationalen Parlaments und dem gesamten Senat etliche Provinzparlamente und ein Gouverneursposten neu besetzt wurden, nicht nur als erste offizielle Ohrfeige für die rigide Sparpolitik der Regierung, sondern als Debakel für das gesamte repräsentative System gelten.

Etwa ein Viertel der 24 Millionen Wahlberechtigten trat den Weg zur Urne erst gar nicht an, obwohl in Argentinien die Wahlpflicht besteht. Weitere 30 Prozent der Wähler gaben ungültige Stimmen ab. Sie kreuzten alle Parteien an, malten Comicfiguren auf die Stimmzettel oder legten Pulver in die Umschläge, was die Auszählung in einigen Bezirken wegen der mittlerweile auch in Argentinien verbreiteten Angst vor Milzbrand um einiges verzögerte.

In der Hauptstadt Buenos Aires gab es mehr ungültige Stimmen als gültige. In der nord-östlichen Provinz Santa Fe erreichten sie zusammen mit den Nichtwählern den nationalen Höchststand von 70 Prozent.

Vor diesem Hintergrund relativiert sich der Wahlsieg der Partido Justicialista (PJ). Sie hat ihre Mehrheit im Senat ausgebaut, in fast allen Provinzen einige Prozentpunkte hinzugewonnen, und das Entscheidende ist: Im Parlament ist die rechtskonservative Partei mit 113 Sitzen nun die stärkste Kraft. Zwar fehlen der PJ noch 16 Sitze an einer Zweidrittelmehrheit, doch müssen die Regierungsparteien der Mitte-Links-Koaliton, Allianz für Arbeit, Recht und Bildung, Uniòn Cìvica Radical (UCR) und Frepaso, gegen das erste oppositionelle Parlament in der Geschichte des Landes regieren.

Ob das jedoch große Hindernisse mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Argentinien hat ein Präsidialsystem, in dem das Staatsoberhaupt sich weitgehende Freiheiten verschaffen kann, indem es per Dekret regiert. Außerdem kommt de la Rùa mit einigen Vertretern der PJ besser zurecht als mit den Kritkern in den eigenen Reihen. Nicht umsonst wünscht er sich ein »homogeneres Kabinett«, in dem bisher nur sein Wirtschaftsminister Domingo Cavallo als sicherer Kandidat gilt.

Während de la Rùa im Laufe der letzten Woche versucht hat, mit den Gouverneuren der 22 Provinzen - ebenfalls in ihrer Mehrzahl Peronisten - eine Art »Neue Allianz« zu gründen, hat sich Cavallo im Laufe der letzten Woche Gedanken darüber gemacht, wie er seine Null-Defizit-Politik auch im letzten Drittel dieses Jahres durchpeitschen kann. Denn nur auf diesem Wege erfüllt das mit gut 130 Milliarden Dollar verschuldete Land die Konditionen des IWF.

Doch Cavallos ökonomische Erwartungen entsprechen kaum der Wirklichkeit. Er hofft auf eine nachträgliche Zinssenkung durch die internationalen Kreditgeber und auf ein wirtschaftliches Wachstum von sechs Prozent im kommenden Jahr. Dagegen hat eine Untersuchung des argentinischen Finanzministeriums ergeben, dass bei einer »realistischen« Kalkulation eine Neuverschuldung nur dann zu vermeiden wäre, wenn die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Sektor und die Renten ab November um 20 statt um 13 Prozent gekürzt würden und das Weihnachtsgeld komplett gestrichen würde.