Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen

Riots ohne Perspektive

In Nigeria fordern harte Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und christlichen Gangs mehrere Hundert Todesopfer.
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Eine einfache Erklärung kam von der Ordnungsmacht. »Der Riot war keine religiöse Angelegenheit. Die Strolche wollten nur stehlen«, analysierte Polizeichef Bello Yakubu Uba.

Ausschreitungen in der nordnigerianischen Metropole Kano hatten vor zehn Tagen nach Polizeiangaben 36 Menschenleben gefordert. Das Rote Kreuz spricht von 122 Toten, während andere Schätzungen sogar von über 200 Opfern ausgehen. Nach einer friedlich verlaufenen antiamerikanischen Demonstration im Anschluss an das Freitagsgebet kam es in den Außenbezirken der Stadt zu schweren Zusammenstößen zwischen muslimischen und christlichen Jugendlichen, die sich auch am folgenden Tag fortsetzten. Geschäfte wurden geplündert, Kirchen, Moscheen, Medienbüros sowie das Privathaus des Außenministers Sule Lamido gingen in Flammen auf.

Der Außenminister, selbst islamischen Glaubens, wurde von einigen muslimischen Gruppen kritisiert, nachdem er den USA Nigerias »Unterstützung für die gemeinsamen internationalen Anstrengungen in der Terrorismusbekämpfung« einschließlich der Militärschläge gegen Afghanistan zugesichert hatte.

Den Auseinandersetzungen in Kano gingen ähnliche Ereignisse in der Stadt Jos voraus, bei denen 500 Menschen ums Leben gekommen sein sollen. In Kano, seit langem eine Hochburg verschiedener muslimischer fundamentalistischer Bewegungen, finden Porträts von Ussama bin Laden nach Aussagen von Straßenhändlern reißenden Absatz. Doch die internationalen Entwicklungen bilden allenfalls den Auslöser für die Gewalt in der fragmentierten nigerianischen Gesellschaft.

»Unsere Menschen leben zusammen, aber sie sind nicht integriert. Nur durch Integration werden wir einen Gemeinschaftssinn entwickeln, und unsere Communities werden in Krisenzeiten unabhängig von ethnischen, religiösen oder politischen Ansichten zusammenhalten.« Mit diesen Worten rief Präsident Olusegun Obasanjo in der vergangenen Woche zur Einheit auf.

Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1960 wurde das mit geschätzten 120 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas lediglich zwölf Jahre lang nicht von einer Militärdiktatur regiert. Die Kolonialmacht hatte eine von nördlichen Muslimen, etwa der Hälfte der Bevölkerung, dominierte Armee aufgebaut, um ein Gegengewicht zum ökonomisch dominierenden, vornehmlich christlichen Süden zu schaffen. Das Übergewicht der nördlichen Eliten in der mit den Öleinnahmen finanzierten Zentralregierung führte zu einem starken Ethno-Nationalismus vor allem unter der Yoruba- und Igbo-sprachigen Bevölkerung im Süden und Südwesten des Landes.

Obasanjo, ein ehemaliger Armeegeneral, wurde 1999 als Kandidat der People's Democratic Party (PDP) zum Präsidenten gewählt. Obwohl er selbst christlicher Yoruba ist, stützte er sich auf eine zerbrechliche Koalition aus verschiedenen Fraktionen des militärischen Establishments. Seitdem versucht er, die Machtstrukturen des Landes neu zu gestalten.

Doch angesichts der Wahlen im Jahr 2003 ist vor allem innerhalb der PDP bereits der Machtkampf um die besten Positionen entbrannt, und paradoxerweise beklagen alle gesellschaftlichen Gruppen ihre Marginalisierung im politisch-ökonomischen Gefüge des Landes.

Gewalttätige Auseinandersetzungen, die seit der Wiedereinführung der parlamentarischen Demokratie im Jahr 1999 stark zugenommen haben, könnten eine Strategie sein, das Land unregierbar zu machen, um Obasanjos Wiederwahl zu verhindern. Ein Minister beschuldigte ungenannte »diskreditierte Politiker«, hinter den Ausschreitungen zu stecken. Auch das Militär wurde in der Vergangenheit verdächtigt, Feindseligkeiten anzufachen, um sich selbst wieder als einzige effektive Ordnungmacht zu profilieren und so einen erneuten Putsch zu rechtfertigen.

Trotz staatlicher Aufrufe zur Ruhe heizen auch verschiedene militante Gruppen die Gewalttätigkeiten weiter an. Frederick Faseun, der Anführer einer Fraktion des Oodua People's Congress (OPC), einer militanten Yoruba-Miliz in Lagos, der größten nigerianischen Stadt, sprach von einem »Genozid« an den Yoruba in Kano. Im Radiosender Voice of America kündigte er an, die Geschäftsinteressen nördlicher Eliten zu schädigen: »Wir missbilligen den Genozid in Kano und rufen zu einem sofortigen Ende auf - oder unsere Gruppe sieht sich gezwungen, im Yoruba-Land Vergeltung zu üben.«

Die OPC war bereits an früheren Auseinandersetzungen in Lagos beteiligt, die sich vor allem auf den Märkten der Stadt abspielten. Auch in Kano stand der Markt im zum Teil von Migranten aus den südlichen und südwestlichen Landesteilen bewohnten Stadtteils Sabon Gari im Mittelpunkt der Unruhen. Der Handel in Nigeria wird von ethnischen Netzwerken dominiert. Insofern haben die Unruhen auch mit dem Kampf um Marktanteile zu tun.

Die US-Angriffe auf Aghanistan haben bereits bestehende Gegensätze zwischen Christen und Muslimen weiter verstärkt. Die umstrittene und nicht verfassungsgemäße Einführung der Sharia in einem Dutzend vorwiegend muslimischer Bundesstaaten im Norden zu Beginn des letzten Jahres hatte christliche Organisationen aufgebracht.

Die Christian Association of Nigeria, eine Organisation im mehrheitlich muslimischen Norden, forderte Präsident Obasanjo nun auf, Berichten nachzugehen, wonach die Gouverneure verschiedener muslimisch dominierter Bundesstaaten Waffen kauften. Der Gouverneur des Staates Zamfara, in dem die Sharia zuerst eingeführt wurde, soll sogar zum »Djihad« aufgerufen haben.

Der Wochenzeitung Weekly Trust zufolge riefen Igbo-Jugendliche in Kano hingegen Slogans, in denen sie die erneute Abspaltung von Biafra forderten. Der Krieg zwischen dem separatistischen Staat Biafra und der Zentralmacht Nigerias Ende der sechziger Jahre, durch den die Einheit des Landes wiederhergestellt wurde, hatte eine Million Opfer gefordert.

An separatistischen Tendenzen dürfte jedoch keine der drei großen ethnisch-religiösen Gruppen des Landes ein Interesse haben. Die Ökonomie Nigerias hängt von den Ölvorräten im Niger-Delta im Süden ab, ohne die der Rest des Landes nicht überleben könnte. Dort kämpfen die Menschen seit Jahren um einen gerechteren Anteil an den Öleinnahmen, und verschiedene Organisationen haben wiederholt mit Separation gedroht.

Insofern ist das Öl der einigende und gleichzeitig der spaltende Faktor für die Eliten des Landes. Deswegen dürfte auch die US-Regierung wachsam sein: Acht Prozent der Ölimporte kommen aus Nigeria. Außerdem trainieren US-Truppen nigerianisches Militär für so genannte Peacekeeping-Einsätze, seitdem durch den Besuch des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton im vergangenen Jahr die Beziehungen zwischen den beiden Ländern verbessert wurden. Nigeria gilt als militärisches und ökonomisches Schlüsselland in Westafrika.