Sport in Afghanistan

Szenen aus dem Strafraum

Nicht nur diplomatisch, auch sportlich ist Afghanistan seit Jahren isoliert. Die Taliban haben die meisten Sportarten verboten, Stadien dienen als Hinrichtungsstätten.

Die Frau am Telefon der afghanischen Botschaft in Berlin wundert sich. »Pardon, Sie interessieren sich für Sport in Afghanistan?« Mit allen möglichen Auskünften könne die Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan dienen. Welche Auswirkungen haben die Bombardements der Amerikaner? Können die Rebellen im Norden wirklich die Taliban stürzen? Gibt es die Möglichkeit, der Not leidenden Bevölkerung des Landes zu helfen? Aber Sport in Afghanistan? Die Frau überlegt. Der Botschaftsrat, Herr Nadjib, könne vielleicht helfen.

Abed Nadjib ist ein ungemein freundlicher und redseliger Mensch. Auch zum Thema Sport in Afghanistan fällt ihm aus dem Stegreif eine Menge ein. »Dort wo die Taliban das Land kontrollieren«, sagt Nadjib, »liegen nahezu sämtliche sportlichen Aktivitäten brach.« Anders schaue es im Gebiet der Nordallianz aus. An 470 Schulen werde dort Sport getrieben. Dort dürfen sich auch die Mädchen sportlich betätigen, während die Taliban den Frauen den Sport verboten haben. Zudem seien Ringer, Boxer, Leichtathleten, Fußballer und Volleyballer im Norden aktiv.

Vielleicht muss Nadjib so reden, er arbeitet schließlich als diplomatischer Vertreter der Nordallianz in Berlin. Ob sich die Sportler aus dem Norden Afghanistans mit Kollegen aus anderen Ländern messen? »Wohl eher nicht«, räumt Nadjib ein. Afghanistans Sportler leben und trainieren vornehmlich im Exil.

Ahmadscha Faizy wohnt in Essen. Er arbeitet als Taekwondo-Trainer an der dortigen Sportschule Samurai. Geboren wurde Faizy 1968 in Kabul, zwölf Jahre später floh seine Familie vor den Sowjets. Dennoch hält Faizy Kontakt nach Afghanistan, seine Verwandten leben noch immer dort. Auch für den Sport in Kabul interessiert sich Faizy. »Taekwondo ist sehr populär in Afghanistan«, sagt er.

Doch die Athleten hätten, kaum verwunderlich, den Anschluss an das internationale Niveau längst verloren. »Es kommen keine Trainer aus anderen Ländern nach Afghanistan. Taekwondo ist dort taktisch und technisch sehr zurückgeblieben.« Vor zwei Jahren kämpfte Faizy um einen Startplatz bei Olympischen Spielen in Sydney. Bei der Qualifikation in Kroatien schied er jedoch früh aus. Doch selbst wenn er sich für die Spiele qualifiziert hätte, das Turnier in Sydney hätte er nur am Bildschirm verfolgen können. Afghanistan wurde ausgeschlossen. Faizy kann diese Entscheidung nicht verstehen: »Warum bestraft man die Sportler meines Landes für die Politik des Taliban-Regimes?«

Allahdad Noori lebt in Kabul. Er ist der Kapitän des afghanischen Cricket-Teams und zählt somit zu den privilegierten Sportlern des Landes. Die Taliban dulden Cricket, da die Akteure bei ihrem Spiel konservative Kleidung tragen. »Wir haben kein Problem mit der Regierung, sie ermutigt uns vielmehr«, sagte Noori im Interview mit dem britischen Sender BBC. Die Duldung der Taliban führt dazu, dass der afghanische Cricketsport nicht gänzlich isoliert ist. Sogar nach dem Beginn der US-Angriffe nahm die Auswahl Afghanistans an einem Cricket-Turnier in Pakistan teil. Diese internationale Anerkennung ist jedoch die Ausnahme im afghanischen Sport.

Afghanistan ist weltweit isoliert. Lediglich Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate hatten vor den Terroranschlägen des 11. Septembers das Taliban-Regime anerkannt. Mittlerweile hält nur noch Pakistan diplomatische Kontakte zu dem Land, diese Isolation betrifft auch den Sport.

Seitdem das Regime weite Teile des Landes kontrolliert, gibt es für die Athleten rigide Beschränkungen. Frauen dürfen gar keinen Sport treiben. Männer müssen auf eine Rasur verzichten und unterliegen einer strikten Kleiderordnung. Die BBC meldete jüngst, dass die Taliban ein pakistanisches Fußballteam verhaften ließen. Die Kicker hatten mit kurzen Hosen auf dem Fußballplatz gestanden und damit gegen die Kleiderordnung des Landes verstoßen. Die Pakistanis durften zwar wieder nach Hause fahren, mussten sich aber zur Strafe den Kopf rasieren lassen.

Weit zynischer als solche Strafmaßnahmen ist die Zweckentfremdung der Sportstätten in dem Land. Unlängst war in einer auch auf deutschen Sendern ausgestrahlten BBC-Reportage zu sehen, wie die Schergen der Taliban im Stadion von Kabul öffentliche Hinrichtungen veranstalten und dabei die Torstangen als Galgen und den Strafraum als Erschießungsplatz missbrauchen. Der Außenminister der Taliban erklärte dem Reporterteam: »In Afghanistan liegt alles in Trümmern. Wenn der Westen uns unterstützt, um eine angemessene und moderne Hinrichtungsstätte zu bauen, dann kann im Stadion wieder Fußball gespielt werden.«

Ein Anruf beim Nationalen Olympischen Komitee (NOK) in Frankfurt, beim Referat für internationale Kontakte. Hier hält Georg Kemper die Verbindung zu Sportverbänden in der ganzen Welt. Nur mit der Republik Afghanistan, sagt Kemper, pflege man keine Beziehungen. »Das erklärt sich doch schon aus der politischen Gesamtlage.« Immerhin erkenne das Internationale Olympische Komitee Afghanistan bereits seit 1998 nicht mehr an. Das Land zähle folglich nicht mehr zur olympischen Familie. »Offizielle Kontakte wird es deshalb auch in Zukunft kaum geben.«

Nach 1936 hatte Afghanistan mehr oder minder regelmäßig an den Olympischen Spielen teilgenommen, die Aufmerksamkeit der Welt erlangte das Land jedoch vorwiegend zu Krisenzeiten. Auch 1980 stand Afghanistan im Fokus der Weltöffentlichkeit, als die Sowjetunion in das Land einmarschierte. Damals boykottierten westliche Nationen deswegen die Spiele von Moskau. Knapp zwanzig Jahre später sorgte Afghanistan wieder für Aufsehen. Das Internationale Olympische Komitee hatte wegen der Machtübernahme der Taliban die Hilfen für das NOK Afghanistans eingestellt.

Aber selbst wenn afghanische Athleten in absehbarer Zeit wieder bei den Olympischen Spielen starten dürften, bleibt die Frage, in welchen Disziplinen sie überhaupt mithalten könnten. »Fußball, Volleyball, Leichtathletik - da haben wir gute Sportler«, sagt Ahmadscha Faizy. Man dürfe jedoch nicht vergessen, dass das Land seit Jahren von Bürgerkriegen gequält werde, und dass die Menschen in Armut leben. »Viele Afghanen haben nicht genug zu essen, da fehlt ihnen einfach die Kraft, Sport zu treiben.«

Dennoch gibt es eine Disziplin, in der es die Afghanen zur Meisterschaft gebracht haben: im Buzkashi, dem Nationalsport Afghanistans. Bei diesem Spiel wetteifern die Reiter zweier Mannschaften darum, den enthaupteten Körper einer Ziege zum Ende des Spielfelds zu befördern. »In dieser Disziplin«, sagt Botschaftsrat Abed Nadjib und lacht dabei laut, »könnten wir vielleicht die Goldmedaille gewinnen.«