Krieg in Afghanistan

Hungrige Wölfe im Hinterhalt

Der Bombenkrieg hat die Taliban nicht entscheidend geschwächt. Auch die Bemühungen, eine Koalitionsregierung der Warlords gegen die Taliban zu bilden, kommen nicht voran.

Konteradmiral John Stufflebeem war konsterniert über die Hartnäckigkeit der Taliban: »Ich bin etwas überrascht darüber, wie verbissen sie an der Macht festhalten«. Die Militäroperationen in Afghanistan bezeichnete er am vergangenen Freitag sogar als »die schwierigste Aufgabe, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg hatten«.

Nach drei Wochen Bombardement haben die USA und Großbritannien keines ihrer Kriegsziele erreicht. Ussama bin Laden bleibt verschwunden. Ihn gefangenzunehmen oder zu töten, so US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sei »sehr schwer«. Auch der erhoffte Zerfall des Taliban-Regimes blieb bislang aus, und der oppositionellen Nordallianz gelang es nicht, bedeutende Geländegewinne zu erzielen. Als einzigen Erfolg kann das Pentagon die Zerstörung einiger zuvor geräumter Trainingscamps der al-Qaida vorweisen.

Den Einsatz einer größeren Anzahl von Bodentruppen haben die USA bislang vermieden. Allein auf die Nordallianz aber soll sich der Kampf gegen die Taliban auch nicht stützen. Pakistan opponiert vehement gegen eine solche Lösung, und in den meisten Landesteilen sind die Warlords der Nordallianz mindestens ebenso unbeliebt wie die Taliban. Das Misstrauen beruht weniger auf der Spaltung zwischen der größten afghanischen Bevölkerungsgruppe, den Paschtunen, aus denen die Taliban ihre Krieger rekrutieren, und den überwiegend aus Usbeken, Tadschiken und schiitischen Hazaras zusammengesetzten Truppen der Nordallianz.

Vor allem der Bürgerkrieg in den Jahren 1992 bis 1996, als die jetzigen Mitglieder der Nordallianz sich in wechselnden Allianzen bekämpften, hat die beteiligten Warlords diskreditiert. Die Revolutionäre Vereinigung der Frauen von Afghanistan (Rawa), die im Taliban-Gebiet ein Netz von Untergrundschulen organisiert hat, bezeichnete in einer Erklärung vom 11. Oktober diese Zeit als »die schlimmsten Jahre«. Wenn die Warlords der Nordallianz jetzt, so die Rawa-Erklärung, »wie hungrige Wölfe im Hinterhalt liegen«, um von den Militärschlägen der USA zu profitieren, fürchtet nicht nur diese demokratisch-feministische Organisation eine Wiederholung des Bürgerkrieges.

Der usbekische Warlord Rashid Abdul Dostum, der dem Nadschibullah-Regime bis kurz vor dessen Sturz gedient hatte, hatte sich damals zunächst mit der Islamischen Vereinigung Burhanuddin Rabbanis verbündet und bekämpfte die Islamische Partei Gulbuddin Hekmatyars. Bald darauf fand man seine Truppen an der Seite Hekmatyars im Kampf gegen Rabbani. 1995 unterstützte er die Taliban gegen Hekmatyar und Rabbani, um sich im folgenden Jahr mit beiden gegen die Taliban zu verbünden.

Dass sich die Warlords nach einem neuen Vormarsch friedlich über die Verteilung der Beute einigen werden, ist bestenfalls eine vage Hoffnung. Zusammengehalten wird die Nordallianz allein durch die Feindschaft gegen die Taliban. Und diese Feindschaft ist nicht grundsätzlich ideologischer Art. Bereits vor dem Einmarsch der Taliban wurden Frauen in Kabul aus der Berufstätigkeit gedrängt und unter die Burqah gezwungen. Die Warlordgruppen setzten die Sharia allein deshalb nicht konsequent durch, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, zu plündern, zu vergewaltigen und sich gegenseitig umzubringen. Auch heute lässt Rabbani keinen Zweifel daran, dass er die Einführung der Sharia anstrebt. Sie soll allerdings gemäßigter angewendet werden als unter den Taliban.

Die vermeintlich ethnische Spaltung ist vor allem eine Folge der Warlordisierung. Warlords rekrutieren ihre Kämpfer in der Regel nach ethnischen Kriterien, um über den Sold hinaus einen gewissen Zusammenhalt unter ihren Truppen zu schaffen, und behandeln eroberte Gebiete anderer Bevölkerungsgruppen als Feindesland. Als Vertreter ihrer Bevölkerungsgruppe können die Warlords der Nordallianz ebensowenig gelten wie die Taliban.

Die viel beschworene politische Lösung, die Bildung einer Koalitionsregierung, in der alle ethnischen und religiösen Gruppen vertreten sein sollen, ist letztlich ein Versuch, das Land unter den regionalen Warlords zu verteilen. Die formale Schirmherrschaft über diese Koalition soll der ehemalige König Mohammed Zahir Schah übernehmen. 1973 gestürzt, spielte der Monarch in den innenpolitischen Auseinandersetzungen fortan keine Rolle mehr. Das gereicht ihm jetzt zum Vorteil, denn er ist der einzige potenzielle Anwärter auf eine Regierungsposition, der nicht mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht werden kann.

An paschtunischen Vertretern für die Koalitionsregierung mangelt es aber noch. US-Außenminister Colin Powell stimmte daher der Ansicht des pakistanischen Militärregimes zu, auch »gemäßigte Taliban« könnten in eine Koalitionsregierung integriert werden. Was unter so einem gemäßigten Taliban zu verstehen ist, verriet er nicht. Vielleicht wird ja der Sehschlitz in der Burqah ein paar Zentimeter größer.

Die Hoffnung, das Taliban-Regime spalten zu können, beruht vor allem darauf, dass in dessen Herrschaftssystem auch zahlreiche lokale Kommandanten integriert sind, die keine Anhänger der Taliban-Ideologie sind. Sie dienten zuvor anderen Warlords und könnten sich nun entscheiden, wieder die Seiten zu wechseln. Offenbar um solche Verbündeten zu gewinnen, machte sich Abdul Haq, ein ehemaliger Mudschaheddin-Führer mit großem Ansehen in der paschtunischen Bevölkerung, auf den Weg nach Afghanistan. Doch schon kurz nach Beginn seiner Mission wurde er am vergangenen Freitag von den Taliban gefangen genommen und noch am gleichen Tag hingerichtet.

Haqs Familie bestreitet, dass er im Auftrag der USA unterwegs gewesen sei. Von Taliban-Truppen umstellt, informierte Haq jedoch über sein Satellitentelefon einen befreundeten US-Politiker. Die eilends eingeleitete Rettungsaktion scheiterte - keine besondere Ermutigung für andere paschtunische Notable, ähnliche Unternehmen zu versuchen. Die Taliban jedenfalls haben bewiesen, dass ihr Spitzelsystem noch funktioniert und sie die Kontrolle nicht verloren haben. Ein Zerfall ihres Regimes ist nur dann möglich, wenn unzufriedene Militärkommandanten sicher sind, dass die Taliban den Krieg verlieren werden.

Das Problem der US-Strategen ist, dass sie zwanghaft dem Drehbuch bin Ladens (Jungle World, 40/01) folgen müssen. Ihre Stellung als Weltmacht und der innenpolitische Druck ließen den USA keine andere Wahl, als den von al-Qaida provozierten Krieg zu führen. Bündnisse mit islamischen Staaten sollten die erwartete antiamerikanische Reaktion abfedern, dennoch wurde bin Laden zum Helden vieler radikalisierter Jugendlicher. Auch die islamistische Mobilisierung in Pakistan, ohne dessen Unterstützung ein Bodenkrieg gegen die Taliban nicht möglich ist, macht Fortschritte.

In Karachi fand am vergangenen Freitag mit 40 000 bis 50 000 Teilnehmern die bisher größte antiamerikanische Demonstration statt. Am Tag darauf setzte sich in Nordostpakistan ein Konvoi mit mehr als 5 000 bewaffneten Kriegsfreiwilligen in Richtung Afghanistan in Bewegung. Brisanter noch ist die Blockade des Karakoram Highway, der wichtigsten pakistanisch-chinesischen Handelsroute, durch Sympathisanten der Taliban. Die zum Teil mit automatischen Gewehren und Raketenwerfern bewaffneten Islamisten sollen die Umgebung der Straße vermint haben. Nach Angaben eines Sprechers der islamistischen Jamiat Ulema-e Islami hat die pakistanische Regierung Maulana Fazl ur-Rahman, den unter Hausarrest stehenden Führer der Organisation, gebeten, in diesem Konflikt zu vermitteln.

Kein Wunder, dass der pakistanische Militärherrscher Pervez Musharraf auf ein schnelles Ende des Krieges drängt. Eine zeitliche Begrenzung der Untertützung für die USA gebe es nicht, doch wenn die Angriffe nicht »in einer gewissen Zeit ihre militärischen Ziele erreichen, müssen wir uns auf eine politische Strategie verlegen.«

In den USA aber geht man mittlerweile davon aus, dass der Krieg länger dauern wird. Ein Rückzug ohne vorweisbare Erfolge ist unmöglich. Mit Luftangriffen aber kann dieser Krieg nicht entschieden werden. Wenn es nicht eine überraschende Wende in den innerafghanischen Machtkämfen gibt, ist der nächste notwendige Schritt die Entsendung von Bodentruppen. Der Guerillakrieg gegen leicht verwundbare Infanteriesoldaten aber ist auch der nächste Schritt im Szenario der al-Qaida.