Ewald Lienen, Bilanz einer Karriere

Zettels Albtraum

Ewald Lienen ist als Trainer des 1. FC Köln gescheitert. Die Bilanz eines verpfuschten Lebens.

So ganz kann er es nicht lassen. Als im Gefolge des Terroranschlags auf Manhattan am 11. September dieses Jahres auf eine Anregung des DGB für fünf Minuten die Arbeit ruhte, da ließ Ewald Lienen auch den Waldlauf der von ihm trainierten Fußballprofis des 1. FC Köln kurz anhalten, und seine Spieler schauten fünf Minuten lang sehr ernst und sehr betroffen auf das Moos in Köln-Müngersdorf.

Schon in den siebziger Jahren hatte Lienen gerne den Sport mit politisch begründetem Unfug gepaart, sein Image ist davon bis heute geprägt. 1977 war der Spieler Ewald Lienen von Arminia Bielefeld zum Bundesligaclub Borussia Mönchengladbach gewechselt, damals ein Spitzenteam im deutschen Fußball. Ob's an der Position als Linksaußen lag, an seinen langen Haaren, an dem Umstand, dass er im Fach Pädagogik an der Universität immatrikuliert war oder an seinen damaligen Beratern - Lienen jedenfalls engagierte sich zunächst bei der Initiative »Weg mit den Berufsverboten«, ließ sich Unterschriftenlisten kommen und versandte sie an alle Bundesligaclubs, verbunden mit der Bitte, sie an die Spieler weiterzuleiten. 20 Spieler unterschrieben und sandten die Listen auch zurück.

Wegen Lienens arroganter Art - er gab etwa prinzipiell keine Autogramme - war er bei den Kollegen aber nicht so recht beliebt. Winfried Schäfer, damaliger Profi- und heutiger Trainerkollege, schimpfte: »Da malochen die Leute die ganze Woche, zahlen für ein Spiel 20 Mark Eintritt, und der Lienen gibt nicht mal 'ne Unterschrift, baut sich stattdessen von seinen 250 000 Mark im Jahr drei Eigentumswohnungen.«

Lienens Agitprop-Aktivitäten sorgten immerhin dafür, dass das CSU-Blatt Bayernkurier ihn als Beispiel »erfolgreicher Unterwanderung« ausrief. Sein politischer Höhenflug setzte ein, als er 1981 von Mönchengladbach zurück nach Bielefeld wechselte. Sportlich war das eine Verschlechterung, aber zum einen formierte sich ja gerade die neue Friedensbewegung gegen amerikanische Raketen, und da wollte Lienen unbedingt dabei sein, mit seinem »Sportler für den Frieden«-T-Shirt rannte er sogar in die »Sportschau«.

Zum anderen passierte ihm am 14. August 1981 auf dem Fußballplatz etwas, das ihn so richtig bekannt machen sollte. Beim Spiel von Arminia Bielefeld bei Werder Bremen wurde Lienen vom damaligen Bremer Verteidiger Norbert Siegmann gefoult. Lienens rechter Oberschenkel war dabei, von Fernsehkameras gut und richtig ekelhaft eingefangen, etwa zwanzig Zentimeter lang aufgeschlitzt worden. Ein keifender Lienen rannte daraufhin auf Bremens Trainer Otto Rehhagel zu, den er beschuldigte, Siegmann zu diesem Foul animiert zu haben. Lienen reichte später sogar Klage gegen Rehhagel ein, die vom Gericht jedoch nicht angenommen wurde.

Dank Siegmann hatte der Kicker plötzlich Zeit, auf Ostermarsch-Kundgebungen zu reden. Auf sein fußballerisches Engagement angesprochen, gab er stets von sich, dass er ohnehin bald aufhöre. Konkret schrieb 1980 über ihn: »Was ihn bis jetzt noch in der Bundesliga hält, ist natürlich einmal das Geld und zum anderen die Gewissheit, als anerkannter Sportler politisch mehr Einfluss nehmen zu können.«

Immerhin half Lienen mit, die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (vdv), umgangssprachlich Fußballergewerkschaft genannt, zu gründen. Abseits des Fußballplatzes trat Lienen 1985 auf der von der DKP inspirierten Friedensliste als Kandidat für den nordrhein-westfälischen Landtag an - neben Figuren wie Uta Ranke-Heinemann.

An seine Versprechen, im jeweils nächsten Jahr endlich mit dem Fußball aufzuhören und sein Studium zu beenden, hielt er sich selbstverständlich nicht. Bis ins Jahr 1992, da war er 38, blieb er Bundesligaprofi, zuletzt beim MSV Duisburg. Unmittelbar danach begann seine Trainerkarriere. Sein Pädagogikstudium schloss er nie ab.

Den Fußballlehrerschein schaffte Lienen immerhin mit der Note eins. Und seinem Drang, gebildet zu wirken, ohne je den Nachweis erbringen zu müssen, ging er nach, indem er während eines Spiels unendlich viele Karteikarten beschrieb. Lienens erste Trainerstation war die Verbandsligamannschaft des MSV Duisburg, aber als 1993 in der als Aufsteiger gehandelten Zweitligamannschaft des gleichnamigen Vereins Trainer Uwe Reinders rausflog, trat Lienen seinen ersten Cheftrainerposten an.

Damals versuchte er noch, seinem Ruf als umgänglicher Zeitgenosse gerecht zu werden. Zunächst hatte er Erfolg, der Aufstieg klappte, und die Saison 1993/94 schloss der MSV auf Platz 9 ab. Doch dann gab es ein Phänomen, das Lienen fortan immer wieder in seiner Trainerlaufbahn zusetzen sollte: das verflixte zweite Jahr; genauer: die zweite Erstligasaison.

Denn er bekam bei den Profis Autoritätsprobleme. Als einer der MSV-Profis, der Torwart Jürgen Rollmann - der nebenbei übrigens Vizepräsident der von Lienen mitinitiierten vdv war - seine Auswechslung bei einer 0:3-Niederlage gegen Bayern München kritisierte, nannte Lienen die Kritik eine »öffentliche Enthauptung«. Im November 1994 verlor der Trainer dann endlich seinen Job beim MSV, er ging nach Teneriffa, wo er Co-Trainer von Jupp Heynckes wurde.

Nach zwei Jahren kehrte er in die Bundesliga zurück, als Cheftrainer von Hansa Rostock. Dort war man stolz, ein rein ostdeutsches Präsdium zusammengestellt zu haben, und warum der neue Westtrainer dort sehr gut reinpasse, begründete ein Vorstandsmitglied so: Wegen seiner DKP-Vergangenheit habe Lienen ja früher viel mit der DDR zu tun gehabt und wisse deswegen eher, wie die Mentalität sei. Das hörte Lienen nicht gerne. Und auch bei Hansa legte er eine gute erste Saison hin - Platz 6 in der Spielzeit 1997/98 -, doch danach gelang ihm wieder nichts. Im März 1999 flog Ewald Lienen trotz aller DDR-Meriten raus.

Am 1. Juli 1999 trat er als Nachfolger des glücklosen Bernd Schuster sein Amt beim kurzzeitigen Zweitligisten 1. FC Köln an. Der teure Kader erreichte die erste Liga, Lienen ließ sich feiern und führte die Mannschaft in der ersten Saison sogar auf Platz zehn. Doch dann kam das berüchtigte zweite Erstligajahr. Vor dem Heimspiel gegen Bayern München am vergangenen Wochenende sah Lienens Bilanz so aus: Zuletzt eine 0:3-Schlappe in Rostock. Davor eine 0:4-Niederlage zu Hause. Davor eine 0:3-Schlappe in Berlin.

Lienen ist nervös, und nur für die Galerie pflegt er ab und an das Image des linken Nonkormisten, etwa vor kurzem bei der »taz-muss-sein«-Kampagne, der er sich so andiente: »Weil es die taz einzigartig politisch einzuschätzen weiß, wenn einer wie ich auf dem Platz versagt.«

Ende der Siebziger hatte sich Ewald Lienen noch, damals ganz der linksradikale Pädagogikstudent, darüber mokiert, dass die Arbeitsverträge der Profispieler an die Verhältnisse auf einem »Schweinemarkt« erinnerten. Da werde etwa vorgeschrieben, wieviel Orangensaft man pro Tag zu trinken habe und dass zweieinhalb Stunden Mittagsschlaf einzuhalten seien. So etwas sei, vermutete Lienen damals, »eines erwachsenen Menschen unwürdig«.

Beim 1. FC Köln hat dieser ehemalige Pädagogikstudent seinen Profis den Verzehr von Vollwertkost vorgeschrieben. Und am Abend vor dem Spiel gegen Bayern München am vergangenen Wochenende legte er die Bettruhe auf 21 Uhr fest.