Fernsehen nach dem Ende der Spaßgesellschaft

Kummer im Stuckrad-Barrio

Bin Laden würde nicht einmal unter der Folter singen: Macht Fernsehen noch Spaß, wo die Spaßgesellschaft am Ende ist? Eine Blitzumfrage

Ein Heidenspaß

»In Afghanistan lügen die Leute wie gedruckt.« Dieses Zitat, dessen Wahrhaftigkeit heutzutage niemand mehr in Frage stellen möchte, stammt nicht etwa von Peter Scholl-Latour oder einem beliebigen anderen Experten, sondern aus der Feder einer schwedischen Autorin, deren gewaltverherrlichende Werke auch ich mit größtem Vergnügen las, wenn ich nicht fernsah. Damals, es waren Zeiten, da man noch Mühe hatte, die guten Bonbons aus dem Papier zu schälen, war die Welt noch in Ordnung, die tägliche Dosis Vietnam gehörte zur Bildung, und auch der eben erwähnte Scholllatourist, ein Kriegsreisender mit Halbpension, wenn überhaupt, war mir bekannt. Niemand verschwendete einen Gedanken an die muntere Präsentation des Kriegsgeschehens auf der Welt. Das Fernsehprogramm war einfachst ziseliert, und man konnte an jedwedem Feature Freude finden.

Heutzutage darf man sich jedoch nicht länger der heiteren Abfolge »Erst schau' ich die Nachrichten, dann backt Rumpelstilzchen der Königin ihr Kind im Kinderfilm darauf« ergeben. Nach den Untaten des 11. September (gern würde ich auf das nervtötende Elfterseptember verzichten) ist der Fernsehgucker gehalten, gänzlich auf die sinnlosen News zu verzichten, um einen gesunden Spaß beim Gucken zu erfahren. Die uralten, nichtrecherchierten Neuigkeiten sind keine, waren keine und werden keine sein, solange die Herren Nachrichtenredakteure sich daran ergötzen, wochenaltes Geschwafel zu wiederholen. Ähnlich wie in der neuartigen deutschen Literatur erfindet man eine neue Art derselben, sie heißt Popliteratur, betet zu Gott, inhaltslos schreiben zu können, und legt damit den Grundstein für das neue Elendsviertel der neuen deutschen Literatur, das Stuckrad-Barrio. Hier erfand man die fernsehgerechte Poplitanei, quatschte wochenlang vom Anschlag auf den Flugzeugträger Cole im Jemen, der eine Fregatte ist, leierte pathetisches Enyagewinsel runter und spielte öde bin Laden-Clips, obschon der nicht mal sänge, würden wir ihn foltern. Solange man ergo auf Nachrichtensendungen verzichtet, macht Fernsehen einen Heidenspaß, der uns Ungläubigen ja wohl zusteht.

naatz (der)

 

Der Sex geht weiter

Samstag morgen zehn vor zehn auf n-tv: »Sagen Sie, kann man nach dem 11. September noch Bücher schreiben wie vorher?«, wird die »sympathische Schriftstellerin« Amelie Fried gefragt. Es ist vorbei mit dem nichtsnutzigen, entspannten Rumgeflimmer. Jeder, der im Fernsehen auch nur »piep« sagen darf, wird entweder dazu genötigt oder fühlt sich dazu berufen, seine Tätigkeit in Beziehung zur Weltlage zu setzen. Darf man nach dem 11. September noch Gitarre spielen, Auto fahren, Gedichte schreiben, Computerspiele spielen oder ins Theater gehen? Und wie ist es mit essen, trinken, lachen, weinen, schlafen oder gar Sex haben?

Tag für Tag werden solche Fragen gestellt, und die Antwort könnte man so zusammenfassen: »Zuerst habe ich gedacht, dass meine Schlager, Bilder, Theaterstücke und Kaschmirpullover in dieser Welt absolut überflüssig sind, aber ich habe schnell gemerkt, dass die Terroristen ja genau das wollen, und deshalb ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen und weiterzumachen. Auch um den Menschen was zu geben.« Wie ein Mantra wird dieser Satz vom Homeshopping-Kanal bis zu Arte täglich in verschiedensten Varianten heruntergesendet. Heimtückisch schleicht er sich in jede Sendung und führt zu Nervenverspannung diesseits des Bildschirms.

Fazit: Alle würden lieber weinen und haben nur weiter Spaß, damit die Terroristen sich ärgern. Ein Hossa gegen Ussama. Die Spaßgesellschaft tritt dem Feind in trotziger Fröhlichkeit entgegen und strotzt vor Vitalität. Das macht keinen Spaß.

heike blümner

 

Ussama? Ossama? Omassa? Usambara? Urmel?

Legt man sich derzeit die Frage vor, ob das Fernsehen noch Spaß mache, dann möchte man vor dieser Frage schon allein deshalb glücklich aufseufzend ins Knie brechen, weil mit ihr endlich wieder ins Gedächtnis gerufen wird, dass es noch Fragen gibt, die man nicht nach dem Jauch-Prinzip beantworten kann, das derzeit alle denkbaren und undenkbaren Quizsendungen in seinem Quadrat-Raster vergattert, mit welchem das ehedem ehrbare Prinzip »Multiple Choice« endgültig auf den Pawlowschen Hund gekommen ist.

Ich meine das Prinzip der vierfachen Antwort, aus der man nur eine richtige auswählen darf. Dieses Prinzip ist a) ein malignes Melanom, b) Lungenfibrose, c) Milzbrand oder d) die Pest. Tja, wer weiß, oder anders: all of the above. Wenn wenigstens noch echte Fangfragen dabei wären, etwa: Georg Jauch ist a) ein als Mensch zurechtfrisierter schlampig klonierter EC-Kartenautomat, b) George W. Bushs intellektueller Rettungsanker in Momenten, in denen sich der Präsident fragt, ob es noch einen ratloseren in die Ecke gedrängten Handlungsbedürftigen als ihn selber gibt, c) Thomas Gottschalk für Skinheads oder d) der hinteroberletzte Depp. Auflösung: Die Frage war falsch gestellt. Jauch heißt mit Vornamen gar nicht Georg. Sondern Golo. Falsch: Gero. Nein, Moment, gleich hab' ich's: Gustav. Oder Ussama. Beziehungsweise Osama. Ossama? Omassa? Usambara? Urmel?

Allgemeinbildung, meine Damen und Herren ist der Grund, warum das Fernsehen verboten gehört. Denn Allgemeinbildung ist der Totengräber der a) Spaßgesellschaft, b) Gesellschaftsspiele, c) Spieleabende oder d) westlichen Wertegemeinschaft der patriarchalisch-kapitalistisch-rassistisch-islamisch-sozialdemokratisch-freiheitlich-demokratisch-fundamentalistischen Totalzivilisationsexzessdiskursanalysensonntagszeitungsleserei.

dietmar dath

 

Die »Spaßgesellschaft« zeigt Verantwortung

Da nach dem »11. September« bekanntlich nichts mehr so ist, wie es war, hat sich auch die »Spaßgesellschaft« verändert, man weiß nur noch nicht genau wie. Das liegt vor allem daran, weil man nicht weiß, was die »Spaßgesellschaft« eigentlich war oder ist - nur, dass sie Spaß machen sollte, darauf konnte man sich einigen. Ein Zentralorgan der »Spaßgesellschaft« war und ist dabei das Fernsehen, das auch einmal das Zentralorgan der »Informationsgesellschaft« war, aber das ist möglicherweise schon lange her.

Wie hat sich also die Rolle des Fernsehens in der »Spaßgesellschaft« seit dem »11. September« gewandelt? Zunächst im Tonfall. Eine Schwere drückte die Stimmung, und Heiterkeit schien unangemessen. Denn die »Spaßgesellschaft«, so hieß es, sei am Ende. Das dauerte eine Woche. Dann hieß es, dass der »11. September«, von dem es auch hieß, dass er ein Anschlag auf die »Spaßgesellschaft« gewesen sei, erst dann zur vollen Wirkung kommen würde, wenn man das Ende der »Spaßgesellschaft« zulasse. Von diesem Moment an lebte die »Spaßgesellschaft« in veränderter Form weiter und wurde dabei zu einer »Jetzt-erst-recht-Gesellschaft«, über deren Beschaffenheit man allerdings ebenso wenig weiß wie über die »Spaßgesellschaft« selbst. Das Fernsehen fühlt sich jedenfalls dazu verpflichtet, auch weiterhin für Spaß zu sorgen, allerdings für Spaß unter veränderten Vorzeichen. Dieser Spaß ist aber nicht mehr Spaß um des Spaßes Willen, sondern Spaß, der Verantwortung zeigt, gegenüber den Menschen und der Welt. Wie könnte man das besser als auf Benefiz-Veranstaltungen?

Auch beim ZDF wollte man den Spaß und das Gute verbinden, denn die einen brauchen bekanntlich Unterstützung und die anderen etwas Frohsinn in schwierigen Zeiten wie diesen. Also organisierte man für den 1. November eine Benefiz-Show für die Unicef und kam dabei auf den sinnvollen Namen »Lachen tut gut«. Weil dabei ungefähr alle zu Gast waren, war auch Thomas Gottschalk zu Gast, und weil Thomas Gottschalk zu Gast war, dachte man, man müsste etwas wetten, weswegen man auf die Wette kam, dass man Dirk Bach mit Kleingeld aufwiegen müsste. Obwohl Dirk Bach ohnehin schon recht dick ist, wollte er noch dicker werden, denn die Wette sollte man nicht so leicht gewinnen. Deshalb aß er Torte, tat dabei sich und anderen Gutes und sorgte für einige Lacher.

Dirk Bach wurde damit zum Sinnbild der »Jetzt-erst-recht-Gesellschaft«. Er war das Gesicht der »Spaßgesellschaft«, die Verantwortung zeigt. Ob das Fernsehen noch Spaß macht? Ich denke schon.

harald peters