Lothar Matthäus trainiert Rapid Wien

Deutscher von der Bank

Lothar Matthäus hat zwar kein Geld zum Spielerkauf zur Verfügung und wird von den Fans beschimpft, trotzdem genießt er seinen neuen Job als Trainer des Wiener Traditionsvereins Rapid.

Es gibt genau drei Eigenschaften, die alle Fußballfans in allen Stadien der Welt einen: Sie verfügen über den Sprachschatz eines sozial verwahrlosten Kanarienvogels, eine Alkoholfahne, die niemals auf Halbmast steht, und die Bildung eines Taschenrechners aus den siebziger Jahren.

Solch soziale Konditionierung nützt den Insassen der Fankurven dieser Welt auch bei der schnellen Kreation möglichst eingängiger Charakterbeschreibungen von Spielern oder Trainern: »Matthäus, du Häusel, Matthäus, du Häusel«, skandierten vor einem Monat etwa die Fans des SV Salzburg, als der Verein gegen Rapid Wien spielte. Häusel ist der österreichische Ausdruck für Wasserklosett, wobei mit diesem Ausdruck eher die heruntergekommene Version des Orkus bezeichnet wird.

Dass die Fans des Salzburger Vereins Lothar Matthäus als Trainer von Gegner Rapid in die Fäkalienliga versetzen, ist nicht weiter verwunderlich. Schlimm für Matthäus ist bloß, dass auch die Rapid-Fans selbst nicht ausschließlich beglückt über das Engagement des Deutschen sind. Im Forum der Website von Rapid war der meistgebrauchte Ausdruck für Lothar Matthäus das schöne, viel sagende wienerische »Ungustl«. Übersetzt bedeutet Ungustl ungefähr so viel wie Kotzbrocken oder Antipathieträger, und diese österreichische Einschätzung hat Matthäus eigentlich nur einem Umstand zu verdanken: dass er Deutscher ist. Denn die Deutschen können die meisten Wiener einfach nicht ausstehen. Wenn Deutsche als Touristen ins Land kommen, weiß der klassische Wiener sich zu helfen: Ist er im Gastgewerbe tätig, so schröpft er die Touris ohne schlechtes Gewissen, fragt ein Deutscher in Wien nach dem Weg, so wird er gerne schon mal in die entgegengesetzte Richtung geschickt.

Matthäus weiß immerhin um die Mittel, die Fans zurückzugewinnen: Dies funktioniere nur durch Siege. Aber um den Traditionsklub Rapid steht es schlecht. Einst war er ganz oben in den Tabellen der diversen Ligen, nun ist er entweder gar nicht mehr vertreten oder grundelt ganz unten rum. In der laufenden Meisterschaft hatte man sich schon vor Matthäus vom Titel verabschiedet. Letzte Woche verabschiedete sich der SK Rapid mit einem Remis gegen Paris Saint Germain auch vom letzten internationalen Bewerb, in dem der Verein vertreten war, dem Uefa-Cup. Diesmal mit Matthäus. Wobei der die Spieler dennoch lobte und auch schon das Rezept für anhaltenden Erfolg entwickelt hat: »Ich muss die Spieler aus der Ekstase holen.« Er glaubt an sein Rezept, obwohl er weiß: »Viele glauben, dass der Matthäus ein paar Schrauben im Gehirn locker ticken hat«.

Solche »Trial and Error«-Sager machen den Mann fast wieder sympathisch, doch sein ungestümes Temperament kann ihn auch zum Verbal-Pyromanen oder eben zur »Zeitbombe in Trainingshosen« (Der Spiegel) machen. Erst vor kurzem war es wieder so weit: Als bei einem Match ein schwarzer Spieler der gegnerischen Mannschaft einen Rapidler gar zu arg foulte, ergoss sich aus Matthäus ein Klassiker tiefsten Rassismus: »Du schwarze Sau, machst mir meine Spieler kaputt.« Mit solchen Aussagen bietet er zwar den österreichischen Medien, die Matthäus auch nicht leiden können, eine willkommene Angriffsfläche, bei den Fans macht er sich dadurch nicht wirklich unbeliebter.

Trotzdem passen die verbalen Ausritte des Mannes nicht wirklich zur Tradition von Rapid: Die Wuchteltreter Partie (Fußballverein) wurde nämlich 1919 als Arbeiterverein gegründet und gehört untrennbar zur guten alten österreichischen Sozialdemokratie. Deshalb ist auch grundsätzlich ein prominenter sozialdemokratischer Politiker Präsident von Rapid. Ungefähr sieben Generationen lang hatte dieses Amt der ehemalige sozialdemokratische Parlamentspräsident und Gewerkschaftsboss Anton Benya wahrgenommen, nun ist Rudolf Edlinger Präsident der Rapidler.

Edlinger ist sozialdemokratischer Abgeordneter und war in den Regierungen der sozialdemokratischen Bundeskanzler Franz Vranitzky und Viktor Klima Finanzminister. Im Parlament glänzt der Ex-Minister vor allem durch seinen giftigen Spott gegenüber den Freiheitlichen Jörg Haiders und der konservativen Volkspartei von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. So erzählt Edlinger am Rednerpult des Wiener Parlaments gerne, welche Krawatten er als politisches Statement trägt: »Heute habe ich eine Krawatte mit lauter blauen Schweinen an«, gluckste er kürzlich vergnügt über seinen geglückten Hinweis auf die Parteifarbe der Freiheitlichen. Legendär wurde Edlinger, von seinen Freunden nur »der rote Rudi« genannt, als er - damals noch Finanzminister - die sich abzeichnende Koalition zwischen Blauen und Schwarzen unter budgetären Gesichtspunkten beleuchtete: »Lieber lasse ich meinen Hund auf die Wurst aufpassen als die Konservativen auf unser Budget.«

Irgendwie über rote Bande wurde auch Lothar Matthäus ins Land geholt - und das geht so: Rapid ist eben eng mit den Sozialdemokraten verwoben, die wiederum sind die eigentlichen Besitzer von Österreichs größtem Geldinstitut, der Bank Austria. Diese Bank Austria fusionierte vor kurzem mit der Münchner Hypo Vereinsbank, und deren Chef Albrecht Schmidt ist eng mit Franz Beckenbauer befreundet. Dieses Netzwerk der Fußballervermittlung funktionierte also wohl so, dass Bankchef Schmidt Kaiser Franz half, den Lothar Matthäus bei dem der Bank Austria nahe stehenden Fußballverein Rapid unterzubringen.

Eine klassisch österreichische Lösung wurde auch gewählt, um das Manko auszugleichen, dass Matthäus eigentlich gar keine Lizenz zum Trainer besitzt: Matthäus brachte einfach einen Spezi mit, der die Lizenz, aber ansonsten nichts zu sagen hat. Womit wieder einmal bewiesen ist, was die Neue Zürcher Zeitung schon vor geraumer Zeit über Österreich gemutmaßt hatte: Es sei ein Land, das vor allem deshalb so grandios funktioniere, weil es zwischen Bevölkerung und Behörden ein stilles Einverständnis darüber gebe, dass man sich nicht ganz strikt an alle Gesetze zu halten brauche. Motto: Nur totes Recht ist gutes Recht.

Praktisch für Rapid ist das Spiel über die Bank Austria auch, weil die Bank die Gage von Matthäus zahlt - immerhin rund fünf Millionen D-Mark für drei Jahre Spielermalträtieren. Allerdings fehlt dem auch spielerisch maroden Verein das Geld für neue Spieler. »Im Tresor von Rapid ist nur ein Igel«, sagt Matthäus. Was auf wienerisch heißt: »Haut's euch über d'Heiser. Wir haben kan Groschen für neiche Haxen« (Etwa: Kratzt die Kurve. Wir haben keine Kohle für neue Spieler).

Also muss Matthäus aus den vorhandenen Grün-Weißen herausholen, was geht. Vor allem durch ungewohnt lange Trainingseinheiten: »Zwa Stunden trainieren's jetzt scho. Unsere Burschen werden fertig sein«, geben oft Fans bei der Beobachtung der Trainingsstunden zu bedenken. Doch Lothar weiß seinen Erfolg zu rechtfertigen, dass die Methapern knirschen: »Die Spieler überraschen mich immer wieder aufs neue. Als ich kam, waren sie taubstumm, jetzt leben sie.«

Auch Pünktlichkeit, eine in Österreich eher selten anzutreffende Eigenschaft, dürften sich die Spieler inzwischen angewöhnt haben: »Die Mannschaft war eine Stunde vor Beginn des Spiels umgezogen. Das hat es noch nie gegeben«, versucht ein Rapid-Sprecher, die neue Matthäus-Passion des Teams zu beschreiben.