»The Golden Age« von Bobby Conn

Wie war das Leben in der Blase?

Die Zeiten des unbeschwerten Spaßes sind over, auch wenn »The Golden Age« von Bobby Conn eine höchst amüsante Platte ist.

Bobby Conn wird gerne als durchgeknallter Entertainer rezipiert, der in seinen Songs ein buntes Panorama aus Whitesoul, Glamrock, Easy Listening und frühem Heavy Metal bietet. Auf seiner neuen Platte »The Golden Age« thematisiert der 34jährige Songschreiber, Crooner und Gitarrist aus Chicago aber kongenial wie kaum ein anderer den Horror der Adoleszenz. »Die süchtige Pflicht, unaufhörlich mit Musik, Essen und Trinken, Sport, Fotografie, Geselligkeit, Reisen und Liebe beschäftigt zu sein, hebt jedes Geschehen auf«, schrieb Frank Böckelmann vor 35 Jahren, als er noch kritischer Theoretiker war, in seinem Pamphlet »Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit«. Die Songs von Bobby Conn liefern dazu das Anschauungsmaterial. Verpackt mit einer sardonischen Leidenschaft in genau die Form, die für alle Adorniten der wahre Horror des Spektakels ist: in Popmusik. Freilich in hysterisch überdrehte Popmusik. Conn singt die Hymnen der Reaktion.

»Jeden Song meiner neuen Platte muss man sich als dampfende, schön gekräuselte Scheiße vorstellen. Nicht nur, weil ich die besten Einfälle morgens auf der Toilette habe. Wir sind bemüht, all das frische, leckere Zeug zu essen. Und was dann herauskommt ist extrem verdichtet, sehr konzentriert. Nur ein kleines Stückchen Scheiße gibt einem ein komplettes Bild von dem, was wir den ganzen Tag gegessen haben. So stelle ich mir meine Songs im Idealfall vor. Als eine Art besonderes Konzentrat.«

Das sind doch die vom Körper ausgeschiedenen Stoffe, die er nicht mehr gebrauchen kann, die ihn belasten. Das passt doch gar nicht zu Deinen schön ausgeschmückten Arrangements.

»Stimmt. Gut, lass es mich anders formulieren: meine Musik ist wie (...) Leber. Gänseleber. Das ist ja eine Delikatesse.«

Trotzdem sollte man davon nicht allzu viel essen.

»Du meinst wegen des rausgefilterten Giftes? Ah ja. Wir kommen der Sache näher. Meine Musik ist dann vielleicht wie Plutonium. Giftig, radioaktiv, dense and heavy. Und die Halbwertzeit ist verdammt lang.«

Das erste Album veröffentlicht er 1997. Eine Mischung aus »White Album«-Zitaten, Death-Metal-Avancen sowie sehr eigenwilligen Funk-Adaptionen. Eine merkwürdige Platte. Ziemlich unausgegoren. 1998 erscheint dann »Rise Up«. Zur Platte gibt es auch ein Video. Es ist wie ein Ausschnitt aus einer billigen Seventies-Show, gedreht auf schlechtem Filmmaterial und mit Komparsen, die offensichtlich direkt aus der Post-Hippie-Ära in die Jetztzeit gebeamt wurden. Bobby ist die Diva. Er tanzt, singt, schreit, leidet theatralisch. Nur eben nicht lippensynchron zum Playback und schon gar nicht in die richtige Kamera blickend. Das kann man lustig finden. Es ist aber ein Albtraum. Ein Beitrag zur Unmöglichkeit von Glamour. Der Mann nimmt seine Sache sehr ernst. Auf der 99er-EP »Llovessongs« schluchzt er im Falsett zu einem Kinderpiano »I can't liiiiiiiiiivvve / If living is without youuuu/ I can't giiiivvee anymoooore/ Oh no«.

»Nostalgie ist die Sehnsucht nach Konformität, nach Hingabe gegenüber der Autorität, der Zeit als die Erziehungsberechtigten über das Autoradio herrschten«, gibt er in einem Spex-Interview zu Protokoll.

Auf dem Cover von »The Golden Age« ist eine gemalte pralle Orange. An einer Stelle ist sie aufgepellt. Aus ihr heraus läuft ein stilisierter Bobby Conn in Badehose, an der Hand eine schöne Frau. Im Hintergrund, im Inneren der Orange, blauer Himmel, weißer Strand. Der Hintergrund der Orange ist schwarz.

Das goldene Zeitalter ist eine rein retrospektive Angelegenheit. Man kann von einem Zeitalter als einem goldenen immer nur dann sprechen, wenn es bereits vorbei ist.

»Das stimmt schon. Es ging mir aber nicht um das goldene Zeitalter. Es gibt so viele davon, z.B. meine behütete Jugend in einem Chicagoer Suburb, die TV-Commercial-Musik der späten sechziger Jahre, der Heavy Rock der frühen Siebziger, als noch niemand von dem Punkfuror wusste. Auch die späten Neunziger sind so eine vermeintlich glückliche Zeit. Eine Epoche des Stillstandes. Mir ging es darum, diese ganzen Epochen auf ihre musikalische Essenz und ihren juvenilen Impetus hin zu untersuchen. Diese Platte dreht sich aber vor allem um Adoleszenz. Und Nostalgie ist vielleicht der wichtigste Part der Adoleszenz. Ich habe den Großteil meiner Jugendzeit damit verbracht, mir zu wünschen, fünf, sechs Jahre älter gewesen zu sein. Ein Leben in einem persönlich imaginierten goldenen Zeitalter«, sagt Bobby Conn am ersten Oktober in einem schmucken Kölner Hotel. Nichts liegt in diesem Herbst so fern wie jene neunziger Jahre.

»Als ich die Arbeit an meinen Songs beendet hatte, endeten die Neunziger sehr drastisch. Ich schrieb die meisten Songs 1999 und arrangierte sie letztes Jahr. Als die Börse im April 2000 zum ersten mal crashte, war das schon ein deutliches Zeichen. Seit dem 11. September gibt es keinen Zweifel mehr. Die Kaugummiblase ist geplatzt. Das war es also, das Golden Age. Die Songs auf dem Album drehen sich um die Frage: Wie ist das Leben in so einer Blase?«

Die Antwort lässt wenig zu wünschen übrig: »And we'll be golfing for our charities/ Playing bingo with our memories/ They always kiss your ass when you live in the past/ And we're lost inside the best years of our lives«, heißt es in »The Best Years Of Our Lives«.

»Zu jeder Dekadenz gehört auch ein schlechtes Gewissen. Zu jeder Selbstgefälligkeit das whistling in the dark. Und in jedem emphatischen Schrei 'Ich bin der Größte' steckt Angst.«

Genau diese Beobachtung, wie ein, sagen wir warmes, angenehmes Lebensgefühl aus sich selbst heraus in fröstelnde Unbehaglichkeit umschlägt, wendet Conn auf seine eigenen Texte an: Die Kapitalismuskritik klingt auf einmal zu offensichtlich, zu plakativ, zu hohl. Auch die Kritik am Falschen ist davon infiziert. Conn ist ein genauer Beobachter dieser Rückkoppelungen, die die Kritik des Bestehenden zwar nicht unmöglich machen, aber an den Rand der Lächerlichkeit drängen.

Das Witzige ist, dass seine Musik überhaupt nicht zynisch oder düster klingt. Er mag sie gerne leicht und fluffig. Er liebt Anspielungen, Softjazz, Tropicalismo, vergessene The-Who-Platten aus den frühen siebziger Jahren, exaltierte Stimmen, leicht verstrahlte Pianoakkorde. Und er liebt abwechslungsreiche Arrangements, fast jeder Song ist eine kleine Suite. »The Golden Age« ist richtig gut produziert, versammelt die Creme der aufgeklärten Chicagoer Musiker zwischen Improvisierter Musik und Post-Rock, nicht zuletzt die Produzenten Jim O'Rourke und John McEntire.

Manchmal wird die Musik sogar uplifting. Gibt es da nicht diesen Song, in dem »Revolution! Revolution!« skandiert wird?

Der Song heißt »No Revolution«, der Text ist eine Apologetik des Bestehenden: »And I don't really want to change it, 'cuz I like it just like that/ I'm a shark that can't slow down, if I do I'll surely drown/ Paranoia makes me move/ If you're waiting for a sign/ Armageddon action time/ There will be no revolution, no revolution here«.

»Wenn ich live spiele, gibt es eine Menge Leute, die sagen: diesen Revolutionssong, den finde ich richtig gut. Das ist halt die Kraft der Musik. Wenn du die Songs auf den Punkt genau hinbekommst, dann interessiert der textliche Bestandteil kaum noch. Bei mir stehen die Texte diametral zum musikalischen Impact. Schwere Texte, leichte Musik - das geht bei mir nicht zusammen, das bleibt ein Widerspruch. Ich wüsste nicht, wie ich es anders machen könnte. Das ist ein Grund, warum ich mich so für das Scheitern interessiere. Wir alle scheitern irgendwann. Das verbindet. Der Markt produziert nur Sieger und Verlierer. Und die Illusion, wir könnten alle Sieger sein.«

Bobby Conn möchte nicht auf Spaß verzichten und auch nicht auf Politik und Systemkritik. Er weiß aber, dass die Zeiten des unbeschwerten Spaßes vorbei sind (vielleicht noch nie existiert haben) und dass Systemkritik im Popkontext ein Produkt der Kulturindustrie ist. Auch funktioniert die einfache Übersetzung von Spaß in Subversion resp. umgekehrt schon lange nicht mehr. Er reagiert darauf nicht mit schlechter Laune, auch nicht mit einem verzweifelt optimistischen: »Weitermachen!« Als Groteske, als Überzeichnung und Perversion finden Spaß und Politik in seine Songs Eingang. Vielleicht die zur Zeit letzte Arbeitsweise, mit der doch noch beides zusammen innerhalb des Korsetts eines strengen musikalischen und performativen Arrangements artikuliert werden kann.

Bobby Conn, »The Golden Age« (Thrill Jockey/ EFA)